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1. Tagung der 2. Synode des Bundes der Ev. Kirche

26. November 1973
Information Nr. 1188/73 über die erste Tagung der zweiten Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR vom 26. bis 28. Oktober 1973 in Elbingerode, Bezirk Magdeburg

Dem MfS wurden Einzelheiten über den Verlauf der ersten Tagung der zweiten Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR1 bekannt, über die im Folgenden, soweit sie bemerkenswert erscheinen, informiert wird.

Die Synode tagte mit 57 Synodalen aus den acht zum Bund gehörenden Landeskirchen der DDR. Als Gäste wurden begrüßt:

  • Domkapitular Dr. Langsch,2 als Vertreter der Katholischen Kirche der DDR,

  • Präsident Pietz,3 Berlin, als Vertreter der »Evangelischen Kirche der Union«,4

  • Oberkirchenrat Heidler,5 als Vertreter der »Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in der DDR«.6

Von Erzbischof Filaret,7 Russisch-Orthodoxe Kirche, Berlin-Karlshorst, wurde ein Grußwort verlesen.

Nach der Eröffnung der Synode durch eine Andacht sowie der Begrüßung gab Pastorin Radke/Görlitz8 eine Information zu den Empfehlungen der ersten an die zweite Synode.9 (Diese Empfehlungen waren den Synodalen als sogenannte Vorpapiere bereits vor der Synode zugestellt worden.10) Die Ausführungen der Pastorin Radke hatten Probleme zur Arbeitsweise des Bundes zum Inhalt.

Pfarrer Henkys,11 Petershagen bei Berlin, erstattete den Zwischenbericht zu den Arbeiten am sogenannten Glaubensbuch, einer Art Katechismus für Erwachsene, dessen Herausgabe 1975 erfolgen soll.12

Bischof Braecklein,13 Eisenach, informierte die Synode in seiner Eigenschaft als Interimspräses über die der Synode vorliegenden Eingaben, unter denen sich eine Eingabe des Ephorenkonvents der Landeskirche Sachsen zu Problemen der angeblichen Benachteiligung christlicher Kinder im Rahmen der Volksbildung befindet.14

In der Eingabe werden vier Fälle von »Benachteiligungen« aufgeführt, ohne Namen zu nennen. Weiterhin ist die Rede vom »Ausschluss christlicher Frauen aus den Elternaktiven« sowie von Bausoldaten15 vom Studium. Die zweite Synode wird aufgefordert, sich weiterhin mit diesen Problemen zu befassen und Verhandlungen mit der Regierung anzustreben. Es käme darauf an, »in der DDR nach ihrem Beitritt zur UNO und UNESCO die Menschenrechte durchzusetzen«.16

Die Eingabe ist unterschrieben von Superintendent Stiehl,17 Leipzig, Senior des Ephorenkonvents, dem 33 Superintendenten angehören.

Der Synode wurde danach mitgeteilt, dass von den Vertretern der Konferenz der Kirchenleitungen,18 die am Weltfriedenskongress in Moskau19 teilnehmen, ein Telegramm eingegangen sei, in dem, ausgehend vom Geist der Moskauer Konferenz, der Synode ein erfolgreicher Verlauf gewünscht wird.20

Als Sprecher des Nominierungsausschusses unterbreitete Dozent Dr. Kühn,21 Leipzig, folgende Vorschläge zur Wahl des Präses der Synode.

  • 1.

    Landessuperintendent Schröder,22 Parchim,

  • 2.

    Pfarrer Kramer,23 Magdeburg.

Bei der Begründung der Vorschläge betonte Kühn, die Funktion des Präses erfordere einen hohen Zeitaufwand, den ein Laie kaum aufbringen könne. Deshalb habe man sich entschlossen, Theologen für diese Funktion in Vorschlag zu bringen.24

Die geheime Wahl hatte folgendes Ergebnis:

Superintendent Schröder wurde mit 42 Stimmen zum Präses der zweiten Synode des Bundes gewählt. (Pfarrer Kramer erhielt nur neun Stimmen.)

Als Vizepräsides wurden gewählt:

Ofensetzmeister Cieslak,25 Seifhennersdorf, mit 41 Stimmen, Textilkaufmann Wahrmann,26 Wismar, mit 33 Stimmen.

In die Funktion des zweiten Beisitzers wurden gewählt:

Pastorin Radke, Görlitz, mit 52 Stimmen, Landesjugendwart Fuhrmann,27 Groß-Bisdorf.

Zu Beginn des zweiten Beratungstages wurde der Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen an die Synode durch Bischof Schönherr28 verlesen.29 Bei diesem kurzen Bericht handelt es sich um eine Ergänzung des ausführlichen Berichtes an die im Mai dieses Jahres in Schwerin tagende Synode des Bundes.30

In dem Bericht wird u. a. eingegangen auf:

  • Veranstaltungen der Kirche während der X. Weltfestspiele.31

    Es wurde hervorgehoben, dass die Ausstellung in der Marienkirche, die vier Diskussionsabende im Haus der Berliner Mission und der ökumenische Jugendgottesdienst in der Marienkirche außerordentlich stark besucht wurden und die Jugendlichen von den ihnen gebotenen Möglichkeiten der Diskussion regen Gebrauch machten.

  • Entwurf des neuen Jugendgesetzes.32

    Es wurde betont, die Konferenz der Kirchenleitungen habe einen Beitrag zur Diskussion des neuen Jugendgesetzes beschlossen und dem zuständigen staatlichen Ausschuss zugeleitet. (In dieser Stellungnahme wird u. a. die Einarbeitung des Grundsatzes der Glaubens- und Gewissensfreiheit und das Recht der Eltern auf Erziehung der Kinder gefordert, die Aufnahme der Freiwilligkeit für Jugendweihe33 und eine Ausdehnung der Wehrdienstverweigerung auf die vormilitärische Ausbildung vorgeschlagen sowie auf den Beitritt der DDR zur Konvention gegen die Diskriminierung im Bildungswesen und die daraus erwachsenden Verpflichtungen verwiesen.34)

  • Antirassismus-Programm35 des ökumenischen Rates der Kirchen.36

    Zu diesem Problem wurde u. a. ausgeführt, die zweite Sonderspende für das Antirassismus-Programm des ökumenischen Rates der Kirchen habe bisher etwa eine halbe Million Mark erbracht.

  • Ereignisse in Chile37

    Für Flüchtlinge aus Chile werde eine Hilfsaktion vorbereitet.

  • Nahost-Probleme

    Es wurde zum Ausdruck gebracht, die christliche Kirche habe keine politischen Mittel in der Hand, um auf die Kriegführenden einzuwirken.38 Aber sie könne zur Vertiefung des Bewusstseins der Menschen beitragen, dass Krieg kein geeignetes Mittel sei, politische und soziale Probleme zu lösen.

  • Staat und Kirche

    Im Vordergrund der Ausführungen standen außerdem Probleme der Volksbildung. Hier hieß es u. a. im Bericht der Konferenz der Kirchenleitung:

    »… Die Synode des Bundes hat sich bei ihrer letzten Tagung in Schwerin veranlasst gesehen, auf äußerst bedenkliche Entwicklungen auf dem Gebiet der Volksbildung hinzuweisen.39 Sie hat nicht die Absicht gehabt, das Bildungssystem der Deutschen Demokratischen Republik als solches herabzusetzen. Ebenso wenig wollte sie die Lehrerschaft diskriminieren.40 Sie steht nicht an, einem Großteil der Lehrer für eine gerechte und verständnisvolle Behandlung auch weltanschaulich abweichender Überzeugungen zu danken. Verantwortlichen Vertretern des Bundes ist wiederholt versichert worden, dass die der Synode dargelegten Tatbestände nicht im Einklang mit dem Willen des Staates und mit der Linie der Partei ständen. Die Synode wird solche Erklärungen mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. In diesem Sinne sind eine Reihe von Fällen, die den zuständigen Organen entsprechend belegt vorgetragen wurden, auch bereinigt worden. Dennoch haben die Klagen darüber keineswegs aufgehört, dass für nicht wenige Lehrer und Schuldirektoren, nachdem die ersten Schwierigkeiten die Zulassung der Schüler zu den EOS und Hochschulen betrafen, nunmehr besonders die Teilnahme am kirchlichen Unterricht und die Mitwirkung christlicher Eltern in den Elternaktivs Gegenstand des Kampfes ist.41

    Er findet meist in der Form diskreter ›Beratungen‹ der Eltern statt und entzieht sich dadurch oft der verantwortlichen Erörterung mit den zuständigen Staatsorganen.42 Solche Versuche haben vielfach Erfolg. Sie sind aber auch geeignet, bei der bewusst christlichen Bevölkerung eine Verhärtung hervorzurufen, die niemand wollen kann. Offenbar ist für eine Reihe von Mitbürgern Aufbau des Sozialismus identisch mit dem Kampf gegen religiöse Überzeugung und deren gesellschaftliche Basis, die Kirche. Die Regierung der DDR hat, wie im Gesetzblatt vom 13.9.1973 (Teil II, S. 121 ff43) verkündet wird, die ›Konvention gegen die Diskriminierung im Bildungswesen‹ auch für die DDR in Kraft gesetzt …«44

Im Anschluss an den von Bischof Schönherr vorgetragenen Bericht ging der Leiter der Inneren Mission und des Hilfswerks Dr. Bosinski,45 Berlin, auf die Aufgaben des Diakonischen Werkes ein. Er äußerte, das Leben der Kirchengemeinden weise in der gesellschaftlichen Zuordnung andere Akzente auf als die diakonischen Einrichtungen, die mit Angeboten und Anforderungen in das große Gesundheits- und Sozialwesen eingeordnet seien. Die sozialpolitischen Maßnahmen hätten ihre weitere Auswirkung und klare Folgerungen im Mitarbeiterkreis. Die Ergründung, welche Folgerungen das sind, die Rückfragen, die erbetenen Klärungen, dies seien Vorgänge, die mit der eigentlichen Struktur der diakonischen Einrichtungen zusammenhängen. Dr. Bosinski führte weiter aus:

»Wir sind dankbar für vielerlei Verbindungen zum staatlichen Gesundheits- und Sozialwesen. Wir nehmen unsere Aufgaben wahr als diakonische Arbeit der evangelischen Kirchen und sehen uns doch Aufgaben bzw. ökonomischen Problemen gegenüber, wie sie in einem Wirtschaftsprozess in unserer Gesellschaft gegeben sind …«

In der Diskussion zum Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen trat insbesondere wieder Bischof Fränkel,46 Görlitz, mit einer negativen Diskussion über angebliche Benachteiligung christlicher Kinder in Erscheinung und forderte die Synode auf, ein »einheitliches und geschlossenes Handeln der Kirche in dieser Frage zu organisieren«.

Die Ausführungen Fränkels fanden die Unterstützung durch Propst Münker,47 Halle. Er brachte zum Ausdruck, es gäbe auf der einen Seite »Borniertheit bei staatlichen Stellen«, obwohl nicht in Abrede gestellt werden dürfe, dass die staatlichen Organe auch Positives leisten, aber andererseits sei auch viel »Sturheit bei der Kirche« vorhanden.

Er schlug vor, eine kirchliche Institution zu bilden, die mit staatlichen Stellen über Probleme der Volksbildung verhandelt.

Auch der reaktionäre Pfarrer Uhle-Wettler,48 Magdeburg, sprach sich in negativer Art über die Probleme der Volksbildung aus.

Bischof Schönherr antwortete in zögernder und zurückhaltender Form auf die in der Diskussion aufgeworfenen Fragen.

Er äußerte, der neue Vorsitzende der Konferenz der Kirchenleitungen könne es in vielen Dingen besser machen als er.

Man dürfe den Prozess der Klärung verschiedener Dinge nicht stören.

Nach diesen Ausführungen nahmen folgende Arbeitsausschüsse der Synode ihre Tätigkeit auf:

Berichtsausschuss, Haushaltsausschuss, Rechtsausschuss, Legitimationsprüfungsausschuss und Empfehlungsausschuss.

Am Abend des zweiten Beratungstages gab die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen für die Synodalen einen Empfang in Blankenburg.

Am dritten Beratungstag erfolgte zunächst die Wahl folgender Synodaler in die Konferenz der Kirchenleitungen, deren Ergebnis erst nach vier Wahlgängen feststand:

  • Pfarrer Uhle-Wettler, Magdeburg, mit 38 Stimmen,

  • Straßenbaumeisterin Schultheiß,49 Stadtroda, mit 35 Stimmen,

  • Architekt Dr. König,50 Erfurt, mit 32 Stimmen,

  • Chefärztin Dr. Blumenthal,51 Berlin, mit 31 Stimmen,

  • Pfarrer Kramer, Magdeburg, mit 31 Stimmen,

  • Ingenieur Teichmann,52 Karl-Marx-Stadt, mit 31 Stimmen,

  • Pastorin Radke, Görlitz, mit 31 Stimmen.

Im Plenum wurden die Vorlagen der Ausschüsse behandelt und von der Synode verabschiedet.

In der Vorlage zehn (Stellungnahme des Berichtsausschusses zum Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen) heißt es zum Problem der Volksbildung:

»… Der Synode sind erneut Schwierigkeiten vorgetragen worden, die sich auf dem Gebiet der Volksbildung für christliche Eltern und Kinder ergeben haben. Die Synode hat den Eindruck, dass es sich hier nicht nur um Einzelfälle handelt, sondern sie sieht eine Spannung, die zwischen der verfassungsmäßig festgelegten Glaubens- und Gewissensfreiheit einerseits und dem erklärten Bildungsziel des sozialistischen Bildungswesens andererseits besteht. Mit dieser Spannung können Kinder und Jugendliche, ihre Eltern und Lehrer, nur dann ohne Schaden leben, wenn in der sozialistischen Erziehungs- und Bildungspraxis das Toleranzprinzip der Glaubens- und Gewissensfreiheit zur Geltung kommt, wie es in der UNESCO-Konvention gegen die Diskriminierung im Bildungswesen vom 14.12.1960 enthalten ist. Der Beitritt der DDR zu dieser Konvention ermutigt zu weiteren Gesprächen auf allen Ebenen …«

Die Synode beschloss, zukünftig vier bis sechs Jugendliche im Alter von 18 bis 25 Jahren zu ihren Tagungen einzuladen.

Abschließend wurde festgelegt, die nächste Bundessynode für die Zeit vom 27.9. bis 1.10.1974 nach Potsdam einzuberufen.

Regionale Informationstagungen sollen am 6.4. und 20.4.1974 stattfinden.

Nach Abschluss der Synode trat die Konferenz der Kirchenleitungen zur Wahl ihres Vorsitzenden zusammen. Ergebnis der Wahl:

  • Vorsitzender: Bischof Schönherr,

  • Stellvertreter: Bischof Hempel,53 Dresden, Bischof Braecklein, Eisenach,

  • Synodalmitglied des Vorstandes: Pfarrer Kramer, Magdeburg.

  • Zum Vorstand gehört weiterhin der neue Präses der Synode Superintendent Schröder, Parchim.

Wie dem MfS bekannt wurde, hinterließ der neugewählte Präses Schröder nach der Übernahme seines Amtes einen ziemlich hilflosen Eindruck, da er offensichtlich nicht in Verfahrensfragen eingewiesen worden war. Von mehreren Synodalen wurde nach der Synode eingeschätzt, die Wahl Schröders sei als Kompromiss zu betrachten, da die ursprünglich vorgesehenen Kandidaten (Pfarrer Kramer/Magdeburg und Ofensetzmeister Cieslak/Seifhennersdorf) für Gespräche mit dem Staatsapparat ungeeignet seien.

Diese Information ist wegen Quellengefährdung nicht zur öffentlichen Auswertung bestimmt.

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    27. November 1973
    Information Nr. 1212/73 über die Entwicklung der Einnahmen aus dem verbindlichen Mindestumtausch seit Inkrafttreten der Neuregelung am 15. November 1973

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    23. November 1973
    Information Nr. 1205/73 über die Entwicklung der Einnahmen aus dem verbindlichen Mindestumtausch seit Inkrafttreten der Neuregelung am 15. November 1973