Amtseinführung des Bischofs Schönherr
12. Februar 1973
Information Nr. 129/73 über die am 11. Februar 1973 erfolgte Einführung von D. Albrecht Schönherr in sein Amt als Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg
Die am 11.2.1973 um 10.30 Uhr in der Marienkirche in der Hauptstadt der DDR erfolgte Amtseinführung von D. Albrecht Schönherr1 als Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg erfolgte ohne besondere Vorkommnisse.2
Obwohl das Verhalten Bischof Scharfs/Westberlin3 infolge der Ablehnung seiner Einreise in die Hauptstadt der DDR zur Amtseinführung von Bischof Schönherr darauf abzielte, bestimmte Provokationen zu organisieren (siehe Information Nr. 123/73 vom 10.2.1973), ist der Verlauf der Amtseinführung als reibungslos zu bezeichnen.4
Zum Verlauf der Amtseinführung wurde dem MfS bekannt:
Der festliche Gottesdienst zur Einführung des Bischofs fand in der Zeit von 10.30 Uhr bis 12.30 Uhr statt. Die ca. 1 000 Personen fassende Marienkirche war mit ca. 800 Personen besetzt.
An dem Gottesdienst nahmen folgende Gäste teil:
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Staatssekretär Seigewasser5
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Stellvertreter des Staatssekretärs Flint6
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Hauptabteilungsleiter Dr. Wilke7
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Stadtrat Helbig8 – Stellvertreter des Oberbürgermeisters
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Weber,9 Referent für Kirchenfragen beim Magistrat
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Kappelt,10 Referent für Kirchenfragen beim Bezirk Cottbus
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Heyl,11 Sekretär des Hauptvorstandes der CDU
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Quast,12 Abteilungsleiter beim Hauptvorstand der CDU
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Dr. Jaques Rossel15 und Frau, ökumenischer Rat der Kirchen
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Dr. Glen Garfield Williams,16 Generalsekretär der Konferenz Europäischer Kirchen17
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Bischof Dr. Niewieczeral,18 ökumenischer Rat VR Polen
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Patriarch Dr. Novak,19 ökumenischer Rat in der ČSSR
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Bischof Dr. Stig Hellsten,20 Evangelisch-Lutherische Kirche Schweden
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Bischof Dr. Hans Kvist,21 Evangelisch-Lutherische Kirche Dänemark
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Propst Dr. Dittmann,22 Westberlin
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Präses D. Wilm,23 Bielefeld
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Bischof Härtel,24 DDR, Evangelisch-Methodistische Kirche
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Superintendent Hawemann,25 DDR, Evangelisch-Methodistische Kirche
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Präsident Moret,26 DDR, Bund Evangelisch-Freikirchliche Gemeinden
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Unitätsdirektor Hickel,27 Herrnhut
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Erzbischof Leonti,28 Russisch-Orthodoxe Kirche
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Kirchenrat Schröter,29 Alt-lutherische Kirche
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Weihbischof Kleineidam,30 katholische Kirche
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Ordinariatsrat Msg. Dissemond,31 katholische Kirche
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Dr. Kirchner32 und Frau, Jüdische Gemeinde der DDR
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Kirchenpräsident Natho,33 Landeskirche Anhalt
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Oberkirchenrat Gerhard,34 Landeskirche Anhalt
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Bischof Dr. Fränkel,35 Görlitz
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Oberkonsistorialrat Kusch,36 Greifswald
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Propst Fleischhack,37 Kirchenprovinz Sachsen
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Präses Waitz,38 Kirchenprovinz Sachsen
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Landesbischof Dr. Rathke,39 Landeskirche Mecklenburg
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Landesbischof Dr. Hempel,40 Landeskirche Sachsen
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Landesbischof D. Braecklein,41 Landeskirche Thüringen
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Oberkirchenrat Posth,42 Evangelische Kirche der Union
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Kirchenrat Hafa,43 Evangelische Kirche der Union
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Oberkirchenrat Heidler,44 Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirchen
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Oberkonsistorialrat Juergensohn,45 Landeskirche Görlitz
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Pfarrer Kramer,46 Magdeburg, Vorstand der Konferenz der Kirchenleitungen des Bundes47
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Oberkonsistorialrat Stolpe,48 Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR
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Oberkirchenrätin Lewek,49Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR
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Oberkirchenrat Pabst,50 Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR
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Borgmann,51 Pressereferent, Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR
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Prof. Dr. Bernhard,52 Sektion Theologie der Humboldt-Universität Berlin
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Frau Ephorus D. Becker,53 Sprachenkonvikt Berlin
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Direktor Pfarrer Tietsch,54 Paulinum, Berlin
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Studienleiter Dr. Koziol,55 Paulinum, Berlin
Unter den Gottesdienstteilnehmern wurden des Weiteren festgestellt:
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Konsistorialpräsident Flor,56 Westberlin
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Superintendent Rieger,57 Westberlin
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Superintendent i. R. Figur,58 Westberlin (vormals Köpenick)
Aus der BRD und aus Westberlin nahmen folgende Journalisten teil:
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Giehr, Konrad,59 geb. am [Tag, Monat] 1921, DPA-Bilddienst
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Henkys, Reinhard,60 geb. am [Tag, Monat] 1928, Leiter des Evangelisch Publizistischen Zentrums Westberlin
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Lincke, Günter,61 geb. am [Tag, Monat] 1926
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Kock, Hans-Werner,62 geb. am [Tag, Monat] 1930
(Der Journalist der »Welt«, Reichert, Edwin,63 geb. am [Tag, Monat] 1921, konnte nicht einreisen, da vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten die notwendigen Dokumente nicht hinterlegt waren.)
Die Liturgie des Einführungsgottesdienstes wurde von Generalsuperintendent Schmitt,64 Berlin-Lichtenberg, gehalten.
Nach der Liturgie wurde durch Bischof Fränkel, Görlitz, die Einführung vorgenommen. Bischof Fränkel hielt zu Beginn eine an den Bischof und an die Gemeinde gerichtete Ansprache.
In dieser Ansprache umriss er die Aufgaben eines Bischofs im Bereich der Theologie und des kirchlichen Lebens. Dabei hob er hervor, dass das Bischofsamt ein von Gott vergebenes Amt sei. Die Verwaltung dieses Amtes verlange einen unermüdlichen Einsatz. Zu den Aufgaben des Bischofs gehöre insbesondere die Erhaltung der Reinheit des Evangeliums, die Verkündung des Evangeliums gegenüber der Gemeinde und der Welt, grenzenlose Liebe und der Versöhnungsdienst. Er betonte, Glaube und Liebe schreiten hinweg über die Grenzen der Rassen, der Klassen und der Länder; dabei müsse man bedenken, dass der Bischof auch unter dem »Druck der Mächtigen dieser Welt« stehe.
Bei der Amtseinführung von Bischof Schönherr wurde Fränkel assistiert von Bischof Braecklein, Eisenach, Propst Dittmann, Westberlin, sowie von der Redakteurin Grell,65 Potsdam, dem Landwirt Böhme,66 dem ehemaligen Präses Burkhardt,67 Superintendent Freybe,68 Lübben, dem Kreiskatecheten Kurschat,69 Pritzwalk und einem Jugendvertreter.
Die Einführungspredigt Bischof Schönherrs ist inhaltlich als rein theologisch einzuschätzen. Insbesondere behandelte er die biblische These von der Verklärung.70 (Er stellte dabei gegenüber das Reich und die Erscheinung Gottes, Glaube und Theologie und die Wirklichkeit auf Erden. Während der erste Bereich vollkommen wäre, sei die Welt durch »Unvollkommenheit« gekennzeichnet. An dieser »Unvollkommenheit« ändere auch nicht, dass von den Menschen große und hervorragende Leistungen vollbracht würden. Neben diesen Dingen existierten Ausbeutung, Not, Bomben und »ideologische Engstirnigkeit«. Gott und Religion könnten nicht bewiesen werden, man müsse eben glauben. Diesen festen Glauben verlange er von der Gemeinde. In diesem Sinne erfolge auch das Wirken der Synode, der Kirchenleitung und des Bischofs.)
Nach seiner Predigt nahm Bischof Schönherr die Vereidigung der von der Synode neugewählten Mitglieder der Kirchenleitung vor.
Die anschließenden Ausführungen von Bischof Fränkel wurden wegen Ausfall der Mikrophonanlage von der Mehrheit der Gottesdienstbesucher nicht verstanden.
Während der gesamten Veranstaltung wurde die Nichtanwesenheit des Westberliner Bischofs Scharf nicht erwähnt.
Dem MfS wurde bekannt, dass am Nachmittag des 11.2.1973 im Gemeindesaal der Elisabethkirchgemeinde in Berlin, Invalidenstraße, eine interne Feierstunde anlässlich der Amtseinführung Bischof Schönherrs stattfand, an der etwa 200 Personen teilnahmen.
Die anwesenden Gäste wurden durch Konsistorialpräsident Kupas71 begrüßt, der dabei besonders die Anwesenheit von Vertretern der Ökumene, aus der BRD und aus Westberlin betonte.
Während dieser internen Feierstunde wurde einer Reihe Gäste Gelegenheit zu kurzen Begrüßungsansprachen gegeben.
Dabei überbrachte Propst Dittmann, Westberlin, die Grüße von Bischof Scharf und der Westberliner Kirchenleitung. Er bedauerte, dass Scharf nicht anwesend sein könne, obwohl er gern gekommen wäre. Er betonte die Gemeinsamkeit der Landeskirche, die historisch, traditionell und persönlich begründet sei.
Dittmann bejahte die getroffenen Entscheidungen in der Landeskirche, die nach langen Debatten auch in Westberlin gefällt wurden.
Er beglückwünschte Schönherr zum eigenständigen Weg und verwies auf das noch bestehende gemeinsame Losungswort für 1973.72
(Propst Dittmann erhielt von den Anwesenden starken Beifall.)
Ein weiterer Bezugspunkt zur Person Scharf wurde im Schlusswort von Bischof Schönherr kenntlich gemacht.
Schönherr nannte Berlin einen »neuralgischen Punkt«, sowohl in Bezug auf Kirche als auch auf die Politik. Er sprach den Wunsch nach Entspannung aus. Dann dankte er für die Glückwünsche der Kirche Westberlins und der Kirche der BRD. Einen »besonderen Gruß und Dank« richtete er dabei an Bischof Scharf, was wiederum mit Beifall aufgenommen wurde. Er brachte weiter zum Ausdruck, dass es modellhaft sei, wenn es gelingen würde, in der sozialistischen Gesellschaft dem Glauben zum Durchbruch zu verhelfen. Er sage Ja zur Friedenspolitik der DDR, aber oberster Maßstab bleibe die Bindung an Gott. Schönherr dankte allen Überbringern von Grußbotschaften.
Während der internen Feierstunde hatten die meisten Grußworte und Ansprachen inhaltlich allgemeinen und rein theologischen Charakter.
Bemerkenswert waren noch folgende Wortmeldungen:
Der Vertreter des ökumenischen Rates der Kirchen Rossel überbrachte die Grüße des Generalsekretärs des ökumenischen Rates der Kirchen Potter.73 Er dankte den Kirchen der DDR für die bisherige ökumenische Arbeit, insbesondere bei der Realisierung des Antirassismus-Programms.74 Er brachte zum Ausdruck, dass die Neuordnung des Bischofsamtes in Berlin-Brandenburg sich positiv auf die weitere ökumenische Arbeit der DDR-Kirchen auswirken wird.
Als weiterer Vertreter des ökumenischen Rates der Kirchen sprach Dr. Sjolemma von der allgemeinen Tendenz des Zusammenwachsens der Kirchen und lobte, dass man sich im konkreten Fall der Landeskirche Berlin-Brandenburg freigegeben habe zu einem getrennten, aber wirksameren Dienst. Er betonte den Antirassismuskampf der DDR-Kirchen und die gute Zusammenarbeit mit dem afroasiatischen Solidaritätskomitee der DDR.75
Die Grüße der Konferenz Europäischer Kirchen überbrachte der Generalsekretär Williams. Er wünschte Schönherr alles Gute zum Neubeginn, der Mut erfordere. Christen dürften den Kopf nicht in den Sand stecken. Man müsse zwischen Strukturen und Evangelium unterscheiden.
Präses Wilm, Bielefeld, überbrachte die Grüße des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Nach längeren theologischen Ausführungen brachte er u. a. Gleichnisse vom Mond und Scherben, welche leuchten, wenn sie angestrahlt werden. Nach seiner Meinung habe auch die Kirche in der DDR noch eine solche Widerspiegelungsfunktion, ebenso die Kirche in Westberlin und in der BRD. Für ihn sei es beruhigend zu wissen, dass noch der alte Spruch »die Sonne scheint über Gut und Böse«76 gilt. Böses und Gutes gäbe es sowohl in der BRD als auch in der DDR.