Direkt zum Seiteninhalt springen

Anthologie von DDR-Prosa im Kindler-Verlag München

18. September 1973
Information Nr. 965/73 über die im Kindler-Verlag München vorgesehene Herausgabe einer Anthologie von DDR-Prosa

Dem MfS wurde intern bekannt, dass der Kindler-Verlag München1 vorgesehen hat, noch 1973 eine Anthologie von DDR-Prosa herauszugeben.2

Als Herausgeber dieser Anthologie soll der leitende Mitarbeiter des Buchverlages »Der Morgen«3 (Hauptstadt der DDR), Henniger, Heinfried,4 fungieren.

Zuverlässig wurde dem MfS bekannt, dass gegenwärtig besonders der freischaffende Schriftsteller Heym, Stefan,5 sowie Henniger, Heinfried, eine Reihe Schriftsteller der DDR zur Mitarbeit an dieser Anthologie auffordern.

Von ihnen werden Schriftsteller der DDR dahingehend angesprochen, für die Anthologie abgeschlossene Erzählungen, die bisher noch nicht oder in der BRD noch nicht veröffentlicht wurden, zur Verfügung zu stellen.

Die Manuskripte, die 20 Schreibmaschinenseiten nicht überschreiten dürfen, sollen bis Ende des Monats September 1973 an Heym übergeben werden, der sie dem Kindler-Verlag zustellen will.

Außer der persönlichen Aufforderung durch Heym wurden auch durch den Buch-Verlag »Der Morgen« Schriftsteller der DDR zur Mitarbeit an dieser Anthologie aufgefordert mit Hinweis auf die Veröffentlichung im Kindler-Verlag und die Weiterleitung eingesandter Manuskripte an Heym. (Für die Aufforderung vom Buch-Verlag »Der Morgen« zeichnet Henniger, Heinfried, verantwortlich.)

Heym erhält damit alle Manuskripte und somit die Möglichkeit der Beeinflussung der Auswahl, Zusammenstellung, Aussage und Wirkung dieser Anthologie.

Soweit dem MfS bekannt, versandte Heym bisher schriftliche Aufforderungen zur Mitarbeit an: Stern, Kurt,6 Plenzdorf, Ulrich,7 Edel, Peter,8 Becker, Jurek,9 Fühmann, Franz,10 Bartsch, Rudolf,11 Kant, Hermann.12

Darüber hinaus sollen Heym und Henniger in persönlichen Gesprächen eine Reihe weiterer Schriftsteller der DDR zur Mitarbeit an der Anthologie aufgefordert haben.

Dem Büro für Urheberrecht der DDR liegen bisher kein Vertrag und keine Hinweise zu diesem Vorhaben von Heym/Henniger bzw. vom Kindler-Verlag vor.

Eine Anthologie zur DDR-Prosa in der von Heym und Henniger angestrebten Größenordnung wurde in der letzten Zeit in der DDR nicht veröffentlicht.

Der von Heym und Henniger vorgegebene Termin Ende September 1973 ermöglicht Veröffentlichungen zu dieser Anthologie seitens westdeutscher Publikationsorgane bereits vor dem Schriftstellerkongress der DDR im November 1973.13

Die konkreten Hinweise, welche Schriftsteller der DDR Aufforderungen zur Beteiligung an der Anthologie erhielten, sind nur zur persönlichen Informierung bestimmt. Sie dürfen wegen Quellengefährdung auf keinen Fall weitergehend ausgewertet werden.

  1. Zum nächsten Dokument Festnahme auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld

    [ohne Datum]
    Information Nr. 972/73 über die Festnahme von zwei Arabern auf dem Zentralflughafen Berlin-Schönefeld am 20. September 1973
  2. Zum vorherigen Dokument Verhinderte Ausschleusung einer DDR-Bürgerin

    17. September 1973
    Information Nr. 962/73 über die Verhinderung einer Ausschleusung einer DDR-Bürgerin über die Grenzübergangsstelle Horst am 16. September 1973

  1. Der »Kindler-Verlag« wurde 1945 als Zeitschriften- und Buchverlag zunächst in Berlin gegründet und siedelte 1948 nach München um. 1977 an die Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH verkauft, gehört er seit 2004 zum Rowohlt-Verlag.

  2. Eine Veröffentlichung der Anthologie konnte nicht nachgewiesen werden.

  3. Der Buchverlag »Der Morgen« war 1959 aus dem Verlagshaus der LDPD »Morgen – Druckerei und Verlag, Betrieb der VOB Aufwärts, GmbH« in Ostberlin hervorgegangen. Seit 1990 als »Morgenbuch Verlag GmbH« weiterbetrieben, erfolgte 1991 der Verkauf an die Verlagsgemeinschaft V. Spiess.

  4. Heinfried Henniger, Jg. 1934, Journalist und Verleger, 1957–67 Redakteur beim »Sächsischen Tageblatt« in Dresden, 1967–69 Lektor im Buchverlag »Der Morgen«, 1970–78 ebenda Cheflektor, später Mitarbeiter beim Reclam-Verlag Leipzig, ebenda 1990–92 Cheflektor, 1992/93 Verlagsleiter der »Eulenspiegel – Das Neue Berlin Verlagsgsellschaft mbH«.

  5. Stefan Heym, Jg. 1913, Schriftsteller, 1933 Emigration in die ČSR, 1937–39 Chefredakteur des »Deutschen Volksechos« in New York, ab 1943 Angehöriger der US Army, 1952 Übersiedlung in die DDR, ab 1953 Mitglied des PEN-Zentrums Ost und West. 1953–56 Kolumnist der »Berliner Zeitung«, Vorstandsmitglied des Deutschen Schriftstellerverbandes, 1979 Ausschluss aus dem Schriftstellerverband und fortan Erstveröffentlichung seiner Bücher in der Bundesrepublik, 1994–96 MdB und Alterspräsident des Deutschen Bundestages.

  6. Kurt Stern, Jg. 1907, Autor und Übersetzer, KPD-Mitglied, 1930–31 Reichsleitung der Kommunistischen Studentenfraktion, 1933 KPD-Instrukteur in Berlin, 1933–46 Emigration nach Frankreich (1933–36, 1938–42), Spanien (1936–38) und Mexiko (1942–46) und ebenda Redakteurs- und Funktionärstätigkeiten, 1939/40 Internierung, 1946 Rückkehr nach Berlin und SED-Beitritt, ab 1949 freischaffender Schriftsteller, daneben Übersetzer für den Verlag »Volk und Wissen« und den »Dietz-Verlag«, 1950/51 Filmautor bei der DEFA, ab 1956 Mitglied des PEN-Zentrums Ost und West, später nur Ost, bis 1978 Präsidiumsmitglied des Schriftstellerverbandes, danach ebenda noch Vorstandsmitglied.

  7. Ulrich Plenzdorf, Jg. 1934, Schriftsteller, 1950 Übersiedlung von West- nach Ostberlin, 1955–58 Bühnenarbeiter bei der DEFA, 1958 SED-Beitritt, ab 1964 Szenarist und Dramaturg bei der DEFA.

  8. Peter Edel, Jg. 1921, Schriftsteller und Grafiker, 1941–43 Zwangsarbeiter bei Siemens und Halske, 1943–45 Schutzhaft, Gefängnis und KZ, 1945 Befreiung und Übersiedlung nach Österreich, ebenda Maler, Illustrator und Schriftsteller u. a. in Bad Ischl, 1947 Rückkehr nach Westberlin, 1949 Übersiedlung nach Ostberlin, 1947–51 Mitarbeiter der »Weltbühne«, 1951–64 Mitarbeiter und Redakteur der »BZ am Abend«, 1956 SED-Beitritt, ab 1964 freischaffender Schriftsteller, ab 1972 Mitglied des PEN-Zentrums Ost, ab 1978 Vorstandsmitglied des Schriftstellerverbandes.

  9. Jurek Becker, Jg. 1937, Schriftsteller, aufgewachsen im Ghetto Łódź, KZ Ravensbrück und Sachsenhausen, 1957 SED-Beitritt, 1962–70 DEFA-Drehbuchautor, ab 1970 freiberuflicher Schriftsteller in Ostberlin, 1977 Austritt aus dem Schriftstellerverband und SED-Ausschluss, 1977 Übersiedlung nach Westberlin, ab 1977 Gastprofessuren in den USA sowie in Essen und Augsburg.

  10. Franz Fühmann, Jg. 1922, Schriftsteller, 1938–41 Reiter-SA, 1941–45 Wehrmacht, 1945–49 sowjetische Kriegsgefangenschaft, 1949–47 Assistent an der Antifa-Zentralschule, 1949 ebenda Lehrer, 1949 Rückkehr nach Deutschland, 1950 NDPD-Beitritt, 1950–58 hauptamtlicher NDPD-Kulturfunktionär, ab 1952 Mitglied im NDPD-Parteivorstand, 1953–78 Vorstandsmitglied des Deutschen Schriftstellerverbandes, 1958 Ausschluss aus dem NDPD-Hauptausschuss, ab 1958 freischaffender Schriftsteller, 1972 Austritt aus der NDPD.

  11. Rudolf Bartsch, Jg. 1929, Schriftsteller, SED-Mitglied, ab 1950 Besuch eines Lehrerbildungsinstituts, danach journalistische Beschäftigungen, ab 1951 Leitung der Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren in Sachsen, 1954–58 Abgeordneter im Bezirkstag in Leipzig, ab 1957 freischaffender Schriftsteller in Ostberlin.

  12. Hermann Kant, Jg. 1926, Schriftsteller, Wehrmacht, 1945–49 Kriegsgefangenschaft, 1949 SED-Beitritt, 1956/57 wissenschaftlicher Assistent am germanistischen Institut der HU Berlin, ab 1959 freischaffender Schriftsteller, 1959–62 zugleich Mitarbeiter der Zeitschrift »Neue Deutsche Literatur«, 1964–91 Mitglied des PEN-Zentrums Ost und West, ab 1969–78 Vizepräsident der DAK (ab 1974 AdK), 1974–79 Mitglied der SED-Bezirksleitung Berlin, 1978–90 Präsident des Schriftstellerverbandes, 1981–90 Abgeordneter der Volkskammer, 1986–89 Mitglied des ZK der SED.

  13. Der VII. Schriftstellerkongress der DDR fand vom 14. bis 16.11.1973 in Ostberlin statt.