Direkt zum Seiteninhalt springen

Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Vatikan und DDR

23. Januar 1973
Information Nr. 64/73 über die vorgesehene Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Vatikan – DDR

Dem MfS wurde inoffiziell zuverlässig bekannt, dass Kardinal Bengsch1 die katholischen Bischöfe der DDR für Donnerstag, den 18.1.1973, zu einer Zusammenkunft in seinen Amtssitz eingeladen hatte.

Außer den Bischöfen Braun2 (Auslandsreise) und Aufderbeck3 (krank), die sich vertreten ließen, waren alle Bischöfe anwesend.

Über diese Zusammenkunft, die absolut internen Charakter trug, wurden die Geistlichen der katholischen Kirche bisher nicht informiert.

Kardinal Bengsch unterrichtete die Bischöfe darüber, dass alles darauf hindeute, dass die Regierung der DDR und der Vatikan diplomatische Beziehungen aufnehmen werden und ein Nuntius4 oder Pronuntius5 in der Hauptstadt der DDR zum Einsatz kommen soll.6

Er informierte weiter darüber, dass voraussichtlich bis spätestens 1. Februar 1973 durch das vatikanische Staatssekretariat ein verbindlicher Zwischenbescheid als Antwort auf das Ende August 1972 vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR an den Vatikan überreichte Memorandum zu erwarten ist.7 Er teilte den Bischöfen mit, dass in diesem Antwortschreiben der Regierung der DDR der Einsatz von Administratoren (Apostolischen) in Schwerin, Magdeburg und Erfurt und die Errichtung von apostolischen Administraturen8 als nächster Schritt des Vatikans angekündigt werde.

Das Kommissariat9 in Meiningen soll aufgrund seiner geringen Größe nicht zur Administratur erhoben, sondern soll dem jetzigen Kommissariat Erfurt angeschlossen werden.

Die Errichtung dieser Administraturen werde wahrscheinlich sofort nach der Ratifizierung des Grundlagenvertrages zwischen der DDR und der BRD erfolgen.10

Es sei seitens des Vatikans vorgesehen, die katholischen Bischöfe Braun, Magdeburg, Theissing,11 Schwerin, und Aufderbeck, Erfurt, zu Apostolischen Administratoren zu ernennen. Kurze Zeit darauf soll die Einrichtung von apostolischen Administraturen erfolgen. Damit würden die o. g. Kommissariate dann direkt dem Vatikan unterstehen.12

Mit der Ratifizierung des Grundlagenvertrages zwischen der DDR und der BRD würde der Vatikan volle Handlungsfreiheit in Bezug auf Verhandlungen mit der DDR erlangen. Durch den Grundlagenvertrag hätte für den Vatikan das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 und das mit diesem Reich abgeschlossene Reichskonkordat für das Territorium der DDR aufgehört zu existieren.13 Eine Ungültigkeitserklärung dieses Konkordats nach der Ratifizierung des Vertrages zwischen der DDR und der BRD wäre deshalb nicht notwendig.

Weiter ist Bengsch der Meinung, dass die DDR an einem Konkordat gar nicht interessiert sein dürfte.

Sollten solche Verhandlungen stattfinden, hätte der Vatikan sicher einen ganzen Katalog von Fragen und Vorschlägen an die Regierung der DDR.

Nach Äußerungen von Kardinal Bengsch soll das Antwortschreiben des Vatikans an die Regierung der DDR in einem sehr gemäßigten Ton gehalten sein. Es werde nicht den Eindruck erwecken, dass der Vatikan Forderungen an die Regierung der DDR stelle, vielmehr sollen die bereits vorhandenen Möglichkeiten der katholischen Kirche in der DDR garantiert werden.

Kardinal Bengsch hält es für möglich, dass in nächster Zeit ernsthafte Verhandlungen zwischen der Regierung der DDR und dem Vatikan über den Austausch von diplomatischen Vertretungen stattfinden werden.

Diplomatische Beziehungen zwischen der DDR und dem Vatikan werden seiner Meinung nach, wenn überhaupt, dann auf der Grundlage der Wiener Konvention14 – wie mit allen anderen Staaten – aufgenommen.

Der Vatikan werde in seinem Schreiben an die Regierung der DDR zum Ausdruck bringen, dass der Heilige Stuhl davon ausgeht, einen Beitrag zur Entspannung in Europa zu leisten. Gleichzeitig erwarte der Heilige Stuhl, dass die Verhältnisse, wie sie in der DDR zwischen Staat und Kirche gewachsen sind, bestehen bleiben. Der Vatikan werde weiterhin zum Ausdruck bringen, dass es keine Diskriminierungen katholischer Bürger in der DDR geben solle, wie es auch in der Verfassung garantiert sei. Er werde die Bitte aussprechen, dass die Bischöfe der DDR weiterhin entsprechend den Notwendigkeiten ungehindert mit dem Vatikan verkehren können, dass den Bischöfen nach wie vor freie Personalentscheidungen überlassen werden und dass Kardinal Bengsch freier Zugang nach Westberlin entsprechend den getroffenen Vereinbarungen mit der Regierung der DDR gewährt wird.

Der Vatikan werde weiter die Bitte zum Ausdruck bringen, der katholischen Kirche der DDR zu ermöglichen, Studenten aus der DDR zum Studium nach Rom zu delegieren, dem Vatikan die Möglichkeit zu geben, die katholische Kirche der DDR als Diaspora-Kirche (Minderheit) bei Notwendigkeit auch materiell zu unterstützen u. a.

Im Vatikan herrsche großes Interesse an der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR. Außerdem sei man dort begründet der Meinung, dass auch die DDR zu Verhandlungen über dieses Problem bereit sei.

Angeblich sollen ernstzunehmende Hinweise auch vom vatikanischen Pronuntius Žabkar,15 der zzt. an den Beratungen zur Vorbereitung einer europäischen Sicherheitskonferenz in Helsinki16 teilnimmt, gekommen sein.

Diese Information darf aus Gründen der Quellengefährdung nicht öffentlich ausgewertet werden.

  1. Zum nächsten Dokument Manipulationen im VEB Geräte- und Reglerwerk Teltow

    26. Januar 1973
    Information Nr. 79/73 über Manipulationen im Neuererwesen durch leitende Mitarbeiter des VEB Geräte- und Reglerwerk Teltow, Betriebsteil Berlin, Storkower Straße, in den Jahren 1970 und 1971

  2. Zum vorherigen Dokument Qualitätsmängel von Rohren für Erdgasleitung UdSSR– ČSSR– DDR

    23. Januar 1973
    Information Nr. 31/73 über die Ursachen der qualitätsgeminderten Herstellung von Rohren für die Erdgasleitung Sowjetunion – ČSSR – DDR »Nordlicht« im VEB Rohrwerke Bitterfeld