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Ausbruch aus der Haftanstalt Keibelstraße

12. Juli 1973
Information Nr. 648/73 über den Ausbruch von zwei Untersuchungsgefangenen aus der Untersuchungshaftanstalt (UHA) des Präsidiums der Deutschen Volkspolizei Berlin, Keibelstraße

Am 4. Juli 1973, gegen 9.50 Uhr, gelang es den Untersuchungsgefangenen [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1945, wohnhaft Berlin-Lichtenberg, [Straße, Nr.], zuletzt tätig als Ausschneider im VEB Fortschritt in Berlin-Lichtenberg, in Haft wegen Diebstahls sozialistischen Eigentums seit dem 16.5.1973, mehrmals vorbestraft, u. a. im Jahre 1966 wegen Raub und Diebstahl zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt und am 30.11.1972 durch Amnestie entlassen1 und [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1954, wohnhaft Berlin, [Straße, Nr.], zuletzt tätig als Bauarbeiter beim VEK Tiefbau Berlin-Mitte (keine Lehre, Sieben-Klassen-Schule, sechs weitere Geschwister) in Haft wegen Rowdytum und Diebstahl persönlichen Eigentums seit dem 26.6.1973, keine Vorstrafen, während der Freistunde die Sicherung des auf dem Dach des Präsidiums der Volkspolizei Berlin befindlichen Freihofes zu überwinden und über eine an der Fassade dieses Gebäudes befindliche Baurüstung innerhalb von zwei Minuten auf die Straße zu gelangen.

Der Ausbruch wurde dadurch begünstigt, dass an den Innenflächen von drei Sichtblenden, die den Freihof begrenzen, die Abdeckplatten fehlten. Deshalb war es den Beschuldigten möglich, an der aus Vierkanthölzern bestehenden Konstruktion der Sichtblenden emporzuklettern und den Freihof zu verlassen.

Der Freihof, in dem sich zu dieser Zeit insgesamt 22 Häftlinge aufhielten, wurde von zwei mit Schlagknüppeln ausgerüsteten Strafvollzugsangehörigen gesichert. Einer dieser Strafvollzugsangehörigen befand sich zur Zeit des Ausbruchs im Postenturm.

Der sich außerhalb des Postenturmes aufhaltende Posten ist von der Strafvollzugsanstalt Unterwellenborn zugeordnet und offensichtlich mit den räumlichen Gegebenheiten noch nicht völlig vertraut.

Die beiden Strafvollzugsangehörigen waren deshalb nicht in der Lage, den Ausbruch zu verhindern und lösten nach seiner Feststellung Alarm aus.

Zu diesem Zeitpunkt waren beide Beschuldigten, die als Untersuchungshäftlinge ihre persönliche Kleidung trugen, bereits im Straßenverkehr untergetaucht.

Beide Beschuldigten waren seit dem 28.6.1973 in einem Verwahrraum untergebracht und hatten in Vorbereitung ihres Vorhabens mehrere Fluchtpläne erörtert, wobei ihnen die angewandte Methode am sichersten schien.

Darüber hinaus hatten sie aus dem Henkel eines Mülleimers und den Aufhängern zweier Kleiderbügel drei Sperrhaken angefertigt, die sie zusammen mit zwei Besteckmessern der UHA mit zur Freistunde nahmen und beim Ausbruch bei sich hatten.

Die Beschuldigten hatten geplant, nach gelungener Flucht weitere schwere Straftaten zu begehen (Niederschlagen eines Angehörigen der DVP, Entwenden von dessen Schusswaffe und Anwendung bei einer eventuellen Festnahme, Ausrauben einer Einrichtung der Deutschen Post) und danach die DDR ungesetzlich zu verlassen.

Bis zum Anlaufen entsprechender Fahndungsmaßnahmen gelang es [Name 1] und [Name 2], das Stadtgebiet von Berlin zu verlassen und sich in den Raum Strausberg zu begeben.

Dort verübten sie noch am 4.7.1973 mehrere Einbrüche, wobei sie u. a. auch einen Pkw entwendeten, mit dem sie bis zum 6.7.1973 mehrere Fahrten in die Kreise Eberswalde und Fürstenwalde unternahmen.

Am 6.7.1973 wurden die Beschuldigten unmittelbar bei Bernau durch zwei Angehörige des MfS gestellt, als sie versuchten, sich einiger gestohlener Gegenstände zu entledigen.

Während [Name 2] keinen Widerstand leistete und festgenommen wurde, gelang es [Name 1], nachdem er einen MfS-Angehörigen mit einem zu diesem Zweck mitgeführten Schraubenschlüssel bewusstlos geschlagen hatte, im Verlaufe der Observationshandlungen zu entkommen.

Der vom zweiten MfS-Angehörigen abgegebene Warnschuss wurde von [Name 1] nicht beachtet.

Der [Name 1] hielt sich bis zum 8.7.1973 im Raum Bernau auf, nachdem eine sofort am 6.7.1973 von Einheiten der Basdorfer Bereitschaftspolizei im Raum Bernau durchgeführte spezielle Fahndungsaktion erfolglos verlief.

In den Vormittagsstunden des 8.7.1973 wurde [Name 1] beim Versuch, in Berlin-Lichtenberg bei Bekannten Unterstützung zu finden, nach Widerstandsleistung durch einen VP-Angehörigen und einen VP-Helfer festgenommen.

Gegen [Name 1] und [Name 2] wurden Ermittlungsverfahren mit Haft wegen Terror, Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt im schweren Fall, Widerstand gegen staatliche Maßnahmen, Diebstahl von sozialistischem und persönlichem Eigentum, unbefugter Benutzung von Fahrzeugen und zusätzlich bei [Name 1] wegen vorsätzlicher Körperverletzung eingeleitet.

Die weitere Untersuchung der Straftaten sieht neben der allseitigen Aufklärung der Motive und Zielstellung der begangenen und geplanten Straftaten insbesondere vor, die begünstigenden Bedingungen für den Ausbruch allseitig aufzudecken und im Zusammenwirken mit der DVP alle erforderlichen Maßnahmen zu deren Beseitigung einzuleiten.

  1. Zum nächsten Dokument Ausschleusung von DDR-Bürgern verhindert

    12. Juli 1973
    Information Nr. 652/73 über die Verhinderung der Ausschleusung von Bürgern der DDR in die BRD

  2. Zum vorherigen Dokument kalkulierte Einreisen während der X. Weltfestspiele

    9. Juli 1973
    Information Nr. 642/73 über zu erwartende Einreise von Bürgern der BRD, Westberlins und anderer nichtsozialistischer Länder in die Hauptstadt der DDR, Berlin, im Zeitraum der X. Weltfestspiele