Ausreiseantrag der Witwe des ehemaligen DDR-Außenministers
3. September 1973
Information Nr. 875/73 über einen Antrag von Dertinger, Maria (Witwe des ehemaligen Außenministers der DDR) auf Übersiedlung in die BRD
Dem MfS wurde bekannt, dass die Dertinger, Maria, geborene Freiin von Neuenstein,1 geboren am [Tag, Monat] 1905 (68 Jahre alt), wohnhaft Leipzig, [Straße, Nr.], einen Antrag auf Übersiedlung in die BRD gestellt hat.
Sie ist Rentnerin, geht aber noch regelmäßig ihrer Arbeit als Architektin im Projektierungsbüro Bauwesen Leipzig nach. Sie hat angegeben, zu ihrem Sohn Dertinger, Rudolf,2 geboren am [Tag, Monat] 1937, wohnhaft Bonn-Tannenbusch, [Straße, Nr.], tätig als Journalist beim »Deutschen Depeschendienst«,3 der 1957 die DDR ungesetzlich verlassen hat, übersiedeln zu wollen.
Ebenfalls im Jahre 1957 hat ihre Tochter Carstarphen, geborene Dertinger, Oktavia,4 geboren am [Tag, Monat] 1939 die DDR ungesetzlich verlassen und lebt jetzt in Texas/USA.
Ein weiterer Sohn, Dertinger, Christian,5 geboren am [Tag, Monat] 1944, hat an der Karl-Marx-Universität in Leipzig studiert.
Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in Leipzig, [Straße, Nr.]. Er übt die Tätigkeit eines Programmierers im VEB Datenverarbeitung aus.
Bekanntlich wurde der Ehemann der Antragstellerin, der ehemalige zweite Vorsitzende und Generalsekretär der CDU und Außenminister der DDR, Dertinger, Georg,6 1954 durch das Oberste Gericht der DDR zu 15 Jahren Freiheitsentzug verurteilt.
Seine Verurteilung erfolgte wegen seiner aktiven staatsfeindlichen Tätigkeit, der zu diesem Zweck von ihm unterhaltenen engen staatsfeindlichen Verbindungen zu führenden Vertretern der USA, Großbritanniens und der BRD und des Missbrauchs seiner gesellschaftlichen Funktionen. Am 20.4.1964 wurde seine Haft aus Gesundheitsgründen unterbrochen. Diese Haftunterbrechung blieb bis zu seinem Tod im Jahre 1968 wirksam.
Die Antragstellerin, Dertinger, Maria, die die staatsfeindliche Tätigkeit ihres Ehemannes aktiv unterstützt hatte, wurde 1954 durch das Oberste Gericht der DDR zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt und 1960 durch Gnadenerweis vorzeitig entlassen.
Es wird gebeten, über die weitere Behandlung des Antrages zu entscheiden. Seitens des MfS gibt es gegen die Übersiedlung der Dertinger, Maria in die BRD keine Einwände.
Dabei wird auch mit davon ausgegangen, dass mögliche Aktivitäten bestimmter BRD-Institutionen gegen die DDR unter Ausnutzung der nach ihrer Übersiedlung weniger wirkungsvoll sein dürften, als im Falle der Ablehnung ihrer Übersiedlung.