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Brecht-Ehrung im Berliner Ensemble

8. Februar 1973
Information Nr. 122/73 über die für den 10. Februar 1973 im Berliner Ensemble vorgesehene Brecht-Ehrung 1973

Dem MfS wurde durch mehrere interne Hinweise bekannt, dass die zentrale Festveranstaltung anlässlich der Ehrung Bertolt Brechts1 am 10.2.1973,2 11.00 Uhr, im Berliner Ensemble Aussagen enthalten soll, die als politisch abwertend eingeschätzt werden könnten. Zum Teil seien Arbeiten Brechts so eingesetzt worden, dass sie, in die Gegenwart gestellt, politisch-provokatorische Tendenzen zum Ausdruck bringen sollen.

Der Programmaufbau, für den der Dramaturg des Berliner Ensembles Heiner Müller3 verantwortlich zeichne, und der vom Schauspieler E. Schall4 mit beeinflusst wurde, sehe dabei vor, literarische Arbeiten Brechts mit einer progressiven politischen Aussage neben solche zu stellen, die auch nach Einschätzung von Literaturexperten für eine heutige Brecht-Ehrung politisch unpassend seien.

Dabei wurden solche literarischen Arbeiten Brechts genannt wie:

»Gedicht an die Bauarbeiter in der Stalinallee« (17. Juni 1953)5

»Gedicht auf einen unschuldig erschossenen Genossen« (bezieht sich auf den sowjetischen Schriftsteller Tretjakow,6 der in der UdSSR erschossen wurde)7

»Was Vergnügen macht« (Ein Gedicht, was 1954 entstanden ist und in dem das Lesen der Schriften Mao Zedongs8 über Widersprüche gepriesen wird.)9

Gedicht Brechts über die Absetzung seines Bühnenstücks »Die Verurteilung des Lukullus«10 durch die Staatsorgane (Inoffiziell wurde dazu bekannt, dass es Heiner Müller darum geht, nachzuweisen, dass auch Bertolt Brecht Schwierigkeiten und Konflikte mit der Parteiführung hatte.)

»Über gewohnheitsmäßige Vaterlandsliebe«11 (Dieses Gedicht wird aus seiner historischen Zeitbezogenheit herausgelöst und zu einem versteckten Angriff auf unsere sozialistische Volksbildung missbraucht.)

Neben diesen Titeln sollen weitere im Programm vorgesehen sein, die auch dem feierlichen Charakter der Veranstaltung nicht gerecht werden würden (Lied vom Alkohol,12 Historie vom Schwein Malchius13).

Von einigen leitenden Mitgliedern des Berliner Ensembles sei geäußert worden, man wolle abwarten, ob das Ministerium für Kultur mit diesem Programm einverstanden sei.

Es wird vorgeschlagen, den Minister für Kultur, Genossen Hoffmann,14 mündlich über den Sachverhalt zu informieren und ihn zu veranlassen, entsprechende Überprüfungen einzuleiten.

Anlage zur Information Nr. 122/73

Verlauf der Brecht-Ehrung

Berlin, den 12.2.1973

Der Festakt zu Ehren des 75. Geburtstages von Bertolt Brecht am 10.2.1973 von 11.00 bis 12.45 Uhr im Berliner Ensemble verlief entsprechend den noch kurzfristig eingeleiteten Maßnahmen (siehe Information 122/73 vom 8.2.1973) ohne Vorkommnisse.

Gegenüber der ursprünglichen Fassung des Programms erfolgten einige Änderungen. Politisch-ideologisch negativ auslegbare Texte »Gedicht auf einen unschuldig erschossenen Genossen«, »Was Vergnügen macht«, Gedicht über »Die Verurteilung des Lukullus«, die vordem im Programm enthalten waren, wurden noch rechtzeitig herausgenommen. Dadurch enthielten sowohl der Inhalt des Programms als auch die Darbietungen durch die Schauspieler keinerlei provokatorische oder feindlich-negative Aspekte.

Das von Ruth Berghaus (Intendantin), Heiner Müller (Dramaturg und Schriftsteller) und Ekkehard Schall (Schauspieler) zusammengestellte und von Mitgliedern des Berliner Ensembles dargebotene Festprogramm wurde von den Anwesenden gut aufgenommen.

Von Teilnehmern der Veranstaltung wurde besonders die von Genossen Prof. Werner Mittenzwei gehaltene Festrede15 als konsequent parteilich eingeschätzt. Das bezieht sich auf die Interpretation Brechts im Sinne der Kulturpolitik unserer Partei und die deutliche Abgrenzung von der bürgerlichen Einschätzung, die Brecht als individualistischen Marxisten bezeichnet.

Bei überwiegender allgemeiner Zustimmung der Teilnehmer an der Veranstaltung zum Programmablauf wurde jedoch von Literatur- und Brecht-Experten auch eingeschätzt, dass den ausgewählten Texten die Parteilichkeit Brechts, seine Bindung an die DDR und seine Beziehungen zur Sowjetunion gefehlt hätten. Das Programm habe stark intellektuell zugeschnitten gewirkt, sei teilweise schwer verständlich gewesen und nicht den Forderungen gerecht geworden, die Genosse Prof. Mittenzwei in seinem Referat an die marxistische Brecht-Interpretation in der DDR gestellt habe.

  1. Zum nächsten Dokument Probleme im Vorfeld der Amtseinführung Bischof Schönherrs

    10. Februar 1973
    Information Nr. 123/73 über einige Probleme im Zusammenhang mit der am 11. Februar 1973 vorgesehenen Einführung von D. Albrecht Schönherr in sein Amt als Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg

  2. Zum vorherigen Dokument Schusswaffengebrauch bei verhindertem Grenzübertritt

    7. Februar 1973
    Information Nr. 117/73 über die Verhinderung eines ungesetzlichen Grenzübertrittes DDR – Westberlin durch Anwendung der Schusswaffe am 6. Februar 1973