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Brief an die Superintendenten der EKBB

3. April 1973
Information Nr. 322/73 über einen Brief des evangelischen Bischofs Schönherr an die Superintendenten der Landeskirche Berlin-Brandenburg wegen angeblicher Behinderung der freien Religionsausübung

Dem MfS wurde bekannt, dass Bischof Schönherr1 am 26.2.1973 ein Schreiben an alle Superintendenten der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg gesandt hat, in dem er auf »Fälle von gesetzwidriger Hinderung an der freien Religionsausübung« verweist.

Die Superintendenten werden aufgefordert, »Eltern und Kinder in geeigneter Weise darauf vorzubereiten, mit solchen Praktiken zu rechnen«.

Gleichzeitig bittet Bischof Schönherr um unverzügliche Benachrichtigung bei Bekanntwerden solcher »Fälle«.

Anlage

Wortlaut des Schreibens von Bischof Schönherr

1 Blatt

Anlage zur Information Nr. 322/73

Schreiben von Bischof Schönherr

Liebe Brüder!

Auch in unserem Kirchengebiet bemerken wir mit Sorge, dass christlichen Eltern durch die Schule nahegelegt wird, ihre Kinder vom kirchlichen Unterricht abzumelden. Sie werden darauf hingewiesen, dass es andernfalls schwierig sein werde, die Kinder in die Erweiterte Oberschule zuzulassen. Die Eltern wurden nach den letzten uns vorliegenden Berichten verpflichtet, darüber zu schweigen. Damit soll uns offenbar die Möglichkeit genommen werden, den Räten der Bezirke und anderen staatlichen Organen von solchen Vorfällen Kenntnis zu geben. In der Tat wird es uns dadurch schwer gemacht, für die Betroffenen einzutreten. Dass wir es trotzdem nach Kräften tun, ist selbstverständlich.

Wir bemerken auch in zunehmendem Maße, dass Kinder, die den kirchlichen Unterricht besuchen, in den Klassen mit dem Hinweis isoliert werden, dass die Mitgliedschaft in der Pionierorganisation oder in der FDJ sich nicht mit der Teilnahme am kirchlichen Unterricht oder an den Zusammenkünften der Jungen Gemeinde2 vertrüge.

Ich bitte dringend, die Eltern und Kinder in geeigneter Weise darauf vorzubereiten, mit derartigen Praktiken zu rechnen. Die Eltern sind vor allem davor zu warnen, dass sie sich im Blick auf einen angeblich drängenden Termin zu der sofortigen Zusage, die Kinder vom kirchlichen Unterricht abzumelden, verpflichten.

Es ist wichtig, dass die Eltern mit den entsprechenden Bestimmungen des staatlichen Rechtes vertraut gemacht werden. Sie sind in der Anlage beigefügt.3

Eltern und Kinder brauchen zurzeit in besonderem Maße seelsorgerlichen Trost und brüderliche Hilfe. Sie sind heute den schwersten Belastungen ausgesetzt. Ihnen muss vor allem die Fürbitte der Gemeinde gelten. Wir können ihnen nichts anderes, aber auch nichts besseres sagen, als dass der Herr die nicht verlassen wird, die ihn nicht verlassen.

Sollte es dennoch zu Abmeldungen kommen oder sollten die Kinder wortlos fernbleiben, so dürfen wir sie nicht allein lassen.

Es muss unbedingt versucht werden, den Kontakt zu wahren.

Die Eltern haben dann die ungeteilte Verantwortung dafür, ihre Kinder in der Nähe Christi zu halten. Wir müssen sie nach Kräften stärken. Auf keinen Fall dürfen wir sie »abschreiben«.

Namens der Kirchenleitung bitte ich Sie und die Brüder und Schwestern in den Pfarrerkonventen und Kreiskirchenräten, mit uns die Verantwortung, die uns jetzt in besonderer Schwere auferlegt ist, zu tragen und sie nicht dadurch zu umgehen, dass Fälle von gesetzwidriger Hinderung an der freien Religionsausübung ignoriert werden. Geben Sie bitte auch uns unverzüglich Nachricht, wenn Sie Behinderungen bemerken.

  1. Zum nächsten Dokument Reise-, Post- und Telefonverkehr 1.1.1972–31.3.1973

    4. April 1973
    Information Nr. 328/73 über die Entwicklung des grenzüberschreitenden Reise-, Post- und Telefonverkehrs zwischen der DDR und der BRD sowie der DDR und Westberlin in der Zeit vom 1. Januar 1972 bis 31. März 1973

  2. Zum vorherigen Dokument Anfertigen und Verbreiten von Hetzversen durch Jugendlichen

    2. April 1973
    Information Nr. 317/73 über die feindliche Tätigkeit in Verbindung mit dem Anfertigen und Verbreiten sogenannter Hetzverse durch den Jugendlichen [Name, Vorname], Schwerin