DDR-Besuch des ÖRK-Generalsekretärs Potter
18. Juni 1973
Information Nr. 546/73 über den Besuch des Generalsekretärs des ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) Philip Potter in der DDR
Über den Aufenthalt des Generalsekretärs des ökumenischen Rates der Kirchen1 Potter2 in verschiedenen Orten der DDR wurde dem MfS Folgendes bekannt:
Am 1.6.1973 besuchte Potter die LPG in Eutzsch bei Wittenberg. Er zeigte sich dort sehr interessiert und stark beeindruckt von der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR.
Am Abend des gleichen Tages besuchte er die Junge Gemeinde in Wittenberg sowie die staatliche Lutherhalle in Wittenberg.3 An dem Besuch in der Lutherhalle nahmen neben Potter teil:
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Bischof Krusche/Magdeburg4
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Propst Berndt/Wittenberg5
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Superintendent Boehm/Wittenberg6
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Carl Ordnung/Berlin9
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Borgmann/Verantwortlicher für Öffentlichkeitsarbeit beim Bund der Evangelischen Kirchen, Berlin10
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Krüger11/CDU-Fotograf
und andere.
Michael Krille12 von der staatlichen Lutherhalle leitete eine zehnminütige Führung, die mit einem Vortrag verbunden war. In diesem Vortrag wurde die Lutherhalle als staatliche Einrichtung gewürdigt und über die Museumsarbeit im Rahmen der staatlichen Museumspolitik gesprochen. Potter zeigte für diese Ausführungen großes Interesse.
Er erklärte, dass er anlässlich der Tagung des Exekutivausschusses des ÖRK 1974 in der DDR dieser Stätte einen erneuten Besuch abstatten wolle.13
Im Anschluss daran fand im Predigerseminar Wittenberg ein theologisches »Expertengespräch« statt.
Am l.6.1973 fand von 8.15 bis 9.00 Uhr im Hotel International Leipzig ein gemeinsames Frühstück mit Vertretern der Evangelisch-methodistischen Kirche in der DDR statt. An diesem Frühstück nahmen neben Potter teil:
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Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche Härtel, Armin/Dresden14
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Rögner, Gerhard/Dresden Pressereferent des Bischofs15
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Pastor Dr. Zehrer/Halle16
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Pastor Philebrunn/Leipzig17
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Pastor Halfter/Leipzig18
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Pastor Manneck/Leipzig19
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Pfarrer Schefer/reformierte Kirche Leipzig20
ein namentlich nicht bekannter Vertreter des Bundes Evangelisch-freikirchlicher Gemeinden (Baptisten) in der DDR,21 der gleichzeitig als Vertreter der Presse in Erscheinung trat.
Im Gespräch äußerte Potter u. a. Folgendes: Es gäbe kein Rezept für die Gestaltung der Evangelisation und Glaubensverkündigung. Sie könne nur wirksam betrieben werden, wenn man die gesellschaftliche Ordnung, die Umwelt beachte und davon ausgehe; bei seiner Reise in die Sowjetunion hätte er sehr positive Eindrücke von der Arbeit der Kirchen in der SU erhalten.
Im Anschluss an das Frühstück fand im Gemeindehaus der Thomaskirche Leipzig, Dittrichring 12, ein Gespräch statt. Daran nahmen ca. 70 Personen teil, u. a. Vertreter
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der Landeskirchen Sachsen, Thüringen, Anhalt, des Görlitzer Kirchengebietes,
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der Brüderunität Herrnhut, der evangelischen Jugend,
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als Vertreter der katholischen Kirche Propst Elsner/Leipzig,22
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Missionspräsident Kimme/Leipzig,23 der gleichzeitig als Dolmetscher fungierte.
Oberlandeskirchenrat von Brück/Dresden24 eröffnete die Zusammenkunft und erklärte, dass das Gespräch eine Stunde früher beginne als geplant, um den Zeitplan der staatlichen Organe einzuhalten.
Potter begrüßte die Anwesenden und bezeichnete Leipzig als weltoffene Stadt, die gleichzeitig auch eine ökumenische Stadt sei.
Er hielt ein kurzes Referat. Dabei nannte er drei Hauptpunkte, die zurzeit im ÖRK in Genf als Schwerpunkte behandelt würden:
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Glaube und Zeugnis
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Gerechtigkeit und Dienst in der Welt
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Erneuerung und Ausbildung
Potter führte u. a. aus, die unterschiedlichen Auffassungen zur ökumenischen Bewegung seien in der letzten Zeit immer mehr abgebaut worden, sodass heute im Weltmaßstab eine wirksame Zusammenarbeit vorhanden sei.
Er betonte weiter, Hilfe für andere sei nicht nur caritativ zu verstehen, die Hilfe müsse den Hilfsbedürftigen eine Zukunft geben. Es komme darauf an, die Verflechtungen in den jeweiligen Ländern zu sehen, um die richtigen Maßnahmen oder Hilfsaktionen einzuleiten. Es sei grundsätzlich von den politischen Ansichten auszugehen, um zu entscheiden, welche Hilfe notwendig wäre. Dieses Ziel wäre im Antirassismus-Programm25 begriffen worden. Eine Studie über die Hilfe der Kirchen in den letzten 25 Jahren hätte ihm bewiesen, dass die Hilfe häufig in die falsche Richtung fließt.
Anschließend wurden Fragen gestellt. Darauf erklärte Potter u. a. Folgendes:
Das Verhältnis des ÖRK zur katholischen Kirche habe sich gebessert. Es sei aber sehr schwer, bei hierarchisch aufgebauten Kirchen eine Veränderung herbeizuführen, da die Entwicklung nur von unten geändert werden könne.
Kriterium des Evangeliums sei, wie man sich für die Befreiung der Unterdrückten einsetze. Die Christen seien als Menschen im dynamischen Prozess der gesellschaftlichen Bewegung eingeschlossen. Dafür würde er aber bei manchen Mitgliedskirchen des ÖRK wenig Verständnis finden.
Christlichen Glauben und politisches Engagement könne man nur aus der jeweiligen Situation heraus begreifen.
Die Kirchen müssten versuchen, die Welt zu verstehen, nur dann sei es möglich, die gesellschaftlichen Verhältnisse mitzugestalten.
Nach seiner Kenntnis wäre die DDR das größte protestantische Land im Sozialismus. Es komme darauf an, festzustellen, ob der evangelische Glaube für das Land schöpferisch und für die Gesellschaft nutzbringend oder ob die evangelische Kirche rückwärtsgerichtet sei. Die Kirche befände sich in keinem Land in einer eindeutigen Lage. Sie dürfe sich aber nicht zurückziehen.
Am 2.6.1973, von 17.00 bis 18.15 Uhr, fand in der Thomaskirche Leipzig ein ökumenischer Gottesdienst statt.
Landesbischof Hempel/Dresden26 eröffnete den Gottesdienst und gab einen kurzen Bericht über den Lebensweg Potters.
In diesem Zusammenhang führte er aus, der Name Potter sei verbunden mit dem Wissen um die Notwendigkeit des politischen Engagements und mit einem »heißen Bekenntnis zur abendländischen Kultur«.
Potter hielt die Predigt (übersetzt von Missionsdirektor Kimme) zu Fragen der Ökumene. Dabei erwähnte er, dass die Kirche der DDR als Teil der Weltkirche angesehen werde. Die DDR-Kirche solle, wie auch die Sowjetunion, Hilfe für den Wiederaufbau in Vietnam leisten.27 Weiter erwähnte Potter die Hilfe des ÖRK in verschiedenen Teilen der Welt, wie für den Sudan, Algerien, die Palästina-Flüchtlinge usw.
Als zentrale Probleme, für deren Lösung sich die Kirche einsetzen müsse, nannte Potter den Widerspruch »Reicher Norden, armer Süden«, Beendigung der Unterdrückung schwarzer Menschen, Kampf für den Frieden in Vietnam und im Nahen Osten.
Die Verantwortung der Kirche werde deutlich in der Schaffung einer Abteilung für kirchliche Entwicklungshilfe im ÖRK sowie im Antirassismus-Programm.
Dem MfS wurde weiter intern bekannt, dass Potter in einem individuellen Gespräch mit Bischof Schönherr/Berlin28 folgende Ansicht vertrat:
Potter sprach seine Verwunderung darüber aus, dass die DDR-Kirchen zwar in einer sozialistischen Gesellschaft leben, aber »kapitalistisch denken« würden. Der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR29 habe »kein eigenes Profil«. Er lehne sich im Wesentlichen an die EKD an. Wenn Vertreter der DDR-Kirchen nach Genf kämen, wäre nicht zu erkennen, dass sie in einem sozialistischen Land leben. Sie würden nicht anders reden »als die Leute aus dem Westen«. Potter lehnte ein solches Verhalten ab.
Schönherr antwortete darauf, es stimme, dass der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR kein eigenes Profil habe. Daran müsse noch weiter gearbeitet werden.
Das Gespräch mit Horst Sindermann30 bezeichnete Potter Schönherr gegenüber als »äußerst positiv«. Er lobte besonders die schnelle Veröffentlichung im »Neuen Deutschland«.31
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