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Eiskunstlauf beim SC Karl-Marx-Stadt

31. Januar 1973
Information Nr. 96/73 über die Eislaufassistenz-Trainerin beim SC Karl-Marx-Stadt, Genossin Rüger-Seyfert

Dem MfS wurde zuverlässig bekannt, dass die ehemalige Eiskunstläuferin und jetzige Assistenz-Trainerin beim SC Karl-Marx-Stadt,1 Genossin Rüger-Seyfert, Gabriele,2 geboren am 23.11.1948, wohnhaft Karl-Marx-Stadt, [Straße, Nr.], darum bemüht ist, ihre Tätigkeit als Eislaufassistenz-Trainerin aufzugeben und aus dem Tätigkeitsbereich des DTSB3 auszuscheiden, um eine andere berufliche Entwicklung einzuschlagen.

Nach den dem MfS vorliegenden Informationen hat sie jedoch persönlich Hemmungen, dieses Anliegen an die Leitung des DTSB heranzutragen.

Wie in diesem Zusammenhang weiter bekannt wurde, hat auf der Grundlage einer entsprechenden Bitte der Genossin Rüger-Seyfert bereits eine Aussprache mit dem Mitglied des ZK und Zweiten Sekretär der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt, Genosse Brasch,4 stattgefunden, bei der sie ebenfalls ihre Absicht erläuterte und um Unterstützung bei der Verwirklichung ihres Vorhabens bat.

Vom Genossen Brasch wurde nach vorliegenden Hinweisen eine entsprechende Unterstützung zugesagt.

Genossin Rüger-Seyfert begründet ihr Anliegen, aus dem Tätigkeitsbereich des DTSB auszuscheiden und eine andere berufliche Entwicklung einzuschlagen, hauptsächlich mit dem seit Jahren bestehenden äußerst angespannten Verhältnis zwischen ihr und ihrer Mutter Jutta Müller,5 Verbandstrainerin des Deutschen Eislaufverbandes6 und Cheftrainerin beim SC Karl-Marx-Stadt. Dieses Verhältnis habe sich durch die ablehnende Haltung der Genossin J. Müller zur Ehe ihrer Tochter mit dem ehemaligen Eistänzer, Genosse Eberhard Rüger,7 Sportjournalist bei der Freien Presse Karl-Marx-Stadt,8 weiter verschärft.9

Genossin Rüger-Seyfert wird nach ihren Äußerungen in ihrer gesamten Tätigkeit als Assistenz-Trainerin durch ihre Mutter stark bevormundet. Durch das bestehende Unterstellungsverhältnis sei sie in ihrer beruflichen Tätigkeit und Entwicklung in völlige Abhängigkeit von ihrer Mutter geraten, die ihr auch jegliche persönliche Perspektive nehme. Das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Mutter habe sich so weit zugespitzt, dass sie in ihrer beruflichen Tätigkeit keine Befriedigung mehr finden und die Zusammenarbeit mit ihrer Mutter nicht mehr ertragen könne.

Außer diesen persönlichen Gründen, die offensichtlich bestimmend für ihre gewünschte Herauslösung aus dem Tätigkeitsbereich des DTSB sind, führt Genossin Rüger-Seyfert insbesondere auch bestimmte Vorgänge im Deutschen Eislaufverband an.

Nach ihrer persönlichen Einschätzung würde sie vonseiten der Leitung des Deutschen Eislaufverbandes und des DTSB nicht mehr das für ihre Tätigkeit und Entwicklung erforderliche Vertrauen genießen und die dazu notwendige Unterstützung erhalten.10 Sie führt das in erster Linie auf den persönlichen Einfluss ihrer Mutter auf den Generalsekretär des Deutschen Eislaufverbandes, Genosse Grünwald,11 (der Charakter dieser Beziehungen ist ihr hinreichend bekannt) und über diesen auf die Leitung des Eislaufverbandes und des DTSB zurück.

Nach ihrer Auffassung wäre sie deshalb vonseiten der Leitung des Deutschen Eislaufverbandes und des DTSB verschiedenen »Anschuldigungen« und »Unterstellungen«, die bis zur »Demütigung« reichen würden, ausgesetzt.

In diesem Zusammenhang wird von der Genossin Rüger-Seyfert u. a. angeführt:

Aus Anlass der Republikflucht des ehemaligen Eiskunstläufers Zöller12 sei ihr unterstellt worden, von den Vorbereitungen zur Republikflucht gewusst und das illegale Verlassen der DDR begünstigt zu haben.

Diese Behauptungen gehen darauf zurück, dass der ehemalige west-deutsche Eiskunstläufer Schönmetzler,13 der mit der Republikflucht des Zöller in Verbindung gebracht wird, während seines Aufenthaltes am 21.12.1971 im Eisstadion Karl-Marx-Stadt mit der Genossin Rüger-Seyfert ein kurzes Gespräch geführt und sie fotografiert hat.14

(Dieses Bild wurde am 27.12.1971 in der westdeutschen Bild-Zeitung veröffentlicht.15)

Nach entsprechenden Überprüfungen hat das kurze Gespräch im Beisein von Funktionären des SC Karl-Marx-Stadt stattgefunden und allgemeinen Charakter getragen. Die Fotografie ist ohne Wissen der Genossin Rüger-Seyfert gefertigt und veröffentlicht worden.

Von dem zwischen Schönmetzler und Zöller in der Gaststätte des Eisstadions geführten Gespräch hat sie keine Kenntnis, wobei zu beachten ist, dass sich zur gleichen Zeit eine Reihe von Funktionären und Trainern des Sportclubs Karl-Marx-Stadt in der Gaststätte aufgehalten hat. Ungeachtet dieser Umstände ist die Genossin Rüger-Seyfert nach eigenen Angaben von der Leitung des SC Karl-Marx-Stadt sowie vom Generalsekretär Grünwald in mehreren Aussprachen wegen ihres »politisch falschen Verhaltens« und »politischer Verantwortungslosigkeit« gerügt worden, wobei ihr u. a. eine außerordentliche Parteiversammlung angekündigt worden sei.

Mit den anderen Funktionären und Trainern des SC Karl-Marx-Stadt, die an dem kurzen Gespräch mit Schönmetzler beteiligt waren und die gegen seine Anwesenheit nicht eingeschritten sind, wurden nach vorliegenden Hinweisen keine derartigen Auseinandersetzungen geführt.

Während eines Urlaubs der Genossin Rüger-Seyfert und des Genossen Rüger im Juni 1971 am Plattensee (VR Ungarn) besuchten beide mit ihrer Gastgeberin, einer ungarischen Eiskunstläuferin, eine in Budapest gastierende westdeutsche Eisrevue.

Während dieser Veranstaltung kam es zu einem flüchtigen Zusammentreffen mit dem ehemaligen Eiskunstläufer Bäumler,16 der der Genossin Rüger-Seyfert von verschiedenen Europa- und Weltmeisterschaften her bekannt ist.

Der Besuch der Eisrevue und das Zusammentreffen mit Bäumler seien ihr vom Generalsekretär Grünwald und von ihrer Mutter Jutta Müller wiederholt als »politisch falsch« vorgeworfen worden.

Dabei ist zu beachten, dass die Genossin Rüger-Seyfert während ihrer aktiven sportlichen Laufbahn mit Wissen und Zustimmung des DTSB Veranstaltungen und Eisrevuen im kapitalistischen Ausland besuchen durfte und deshalb auch im Besuch der Eisrevue in Budapest keinen Widerspruch gesehen hat.

Im Januar 1972 wurden der Genossin Rüger-Seyfert nach ihren eigenen Angaben während einer Aussprache im Generalsekretariat des Deutschen Eislaufverbandes durch den Generalsekretär Grünwald, den Vorsitzenden des SC Karl-Marx-Stadt, Gensel,17 und ihrer Mutter diese Vorgänge erneut vorgehalten, wobei ihr gleichzeitig mitgeteilt wurde, dass sie wegen ihres »politisch falschen Verhaltens« nicht mehr im Ausland eingesetzt werden könne.18

Auch die vorgesehene Beteiligung der Genossin Rüger-Seyfert an einer Veranstaltung anlässlich der Freundschaftswoche DDR – ČSSR in Ústi nad Labem wurde vom Bezirksvorstand des DTSB Karl-Marx-Stadt rückgängig gemacht.

Im November 1972 erfolgte dann wieder ein Auslandseinsatz im Auftrage des Deutschen Eislaufverbandes zur Begleitung von zwei jungen DDR-Eiskunstläufern zur Teilnahme am Richmond-Pokal in London.19

Aufgrund der genannten Umstände sieht die Genossin Rüger-Seyfert keine Möglichkeit mehr, weiterhin im Bereich des DTSB zu arbeiten. Der Wunsch nach einer anderen beruflichen Tätigkeit und Entwicklung sei immer stärker geworden und bestimme ihr ganzes Streben.

Zur beruflichen Veränderung entwickelte Genossin Rüger-Seyfert Pläne, eventuell als Schlagersängerin, Fernsehansagerin, Schauspielerin bzw. Verfasserin eines Buches oder eines DEFA-Filmes über den Eiskunstlaufsport tätig zu werden.

Bei einem Gesangstest durch Prof. Köhler,20 Dresden, wurde eingeschätzt, dass ihre stimmliche Veranlagung eine gesangliche Ausbildung rechtfertige.

Weitere konkrete Schritte zur Aufnahme einer anderen Tätigkeit und Entwicklung sind dem MfS nicht bekannt.

Bei ihren diesbezüglichen Vorstellungen geht die Genossin Rüger-Seyfert davon aus, dass sie von den zuständigen Organen, insbesondere auch von der Leitung des DTSB, bei einem ehrenvollen Ausscheiden aus dem Bereich des DTSB die notwendige Unterstützung erhalten und ihr dabei in keiner Hinsicht – auch nicht in finanzieller – Nachteile entstehen würden.21

Da die in der Information wiedergegebenen Auffassungen der Genossin Rüger-Seyfert nur einem kleinen Personenkreis bekannt sind, wäre es im Interesse der Sicherheit der Quelle zweckmäßig, zur Auswertung vorgesehene Maßnahmen vorher mit dem MfS abzustimmen.

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    1. Februar 1973
    Information Nr. 102/73 über die Zerschlagung einer Gruppe jugendlicher Terroristen im Kreis Apolda, Bezirk Erfurt

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    30. Januar 1973
    Information Nr. 94/73 über eingeschleuste Hetzschriften