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Ergänzung zu Brand im Steinkohlenwerk »Martin Hoop« Zwickau

27. November 1973
Information Nr. 1213/73 über die Ursachen des Brandes im Steinkohlenwerk »Martin Hoop« Zwickau am 21. Oktober 1973

Die in unserer Information (1101/73) als vermutliche Ursache für oben genannten Brand im dritten Revier, Blindschacht 61, angeführte Selbstentzündung hat sich im Ergebnis der fortgeführten Untersuchungen durch Pachtleute verschiedener staatlicher Organe und des MfS übereinstimmend bestätigt.

Die Experten vertreten einheitlich die Auffassung, dass der Brand nur durch Selbstentzündung der Kohle von innen heraus (hohe Temperaturen und Druckverhältnisse im Deckgebirge) entstanden sein kann. In diesem Zusammenhang wird auf die starke Neigung der Kohle zur Selbstentzündung in diesem Abbaurevier (Elliges Flöz) hingewiesen. In diesem Bereich ereigneten sich in der Vergangenheit mehrmals derartige Vorkommnisse (1973 insgesamt sieben Brände), letztmalig am 19.9.1973 an gleicher Stelle, ohne dass solche erheblichen Auswirkungen eintraten.

Die Fachleute stützten sich in ihren Untersuchungen auf die seit langer Zeit bekannte Tatsache einer objektiv bestehenden Zunahme der Brandgefährdung in diesem Abbaurevier, die mehr oder weniger auf alle noch vorhandenen abbauwürdigen Flöze zutrifft. Die Brandgefährdung verstärkt sich, je weiter und tiefer der Abbau in Richtung »Mülsener Senke« vorangetrieben wird.1

Der entstandene Sachschaden wird gegenwärtig größer eingeschätzt, als er anlässlich des Katastrophenfalles im Steinkohlenwerk »Karl Marx« Zwickau,2 erste Abteilung, im Jahr 1960 (123 tote Bergleute, 15 Mio. Mark Sachschaden) eingetreten war.

Die erarbeitete Übersicht über den Umfang des materiellen Sachschadens ergab

  • den Verlust des Blindschachtes 61,

  • den Verlust von 5 000 m Grubenbaue, u. a. die Reviere 1 und 3, sowie des Reviers 6, Abbau 961,

  • den Ausfall von etwa einem Drittel der gesamten Förderleistung des MHW (ca. 800 t/Tag).

Die verloren gegangenen Reviere werden voraussichtlich nicht mehr ersetzbar sein, was jedoch erst nach Öffnen des abgeriegelten Brandfeldes (in ca. sechs Monaten) eindeutig beurteilt werden kann. Die Fachleute nehmen an, dass der größte Teil der Grubenbaue deformiert vorgefunden wird und die gesamten technischen Ausrüstungen unbrauchbar sein werden. (Der Verlust wird noch deutlicher und schwerwiegender, da vorwiegend solche bergbautypischen Ausrüstungen verloren gingen, die in dieser Ausführung nicht mehr produziert werden.)

Im Rahmen der Untersuchungen stellten die Fachleute eine Reihe von den Brandausbruch und die Brandausweitung begünstigende Bedingungen fest.

Insbesondere hat die Leitung des MHW die bestehende Gefahrensituation nicht genügend beachtet. So waren anlässlich der Beseitigung aufgetretener Glutnester am 19.9.1973 an der späteren Brandausbruchstelle vom 21.10.1973 (Mittelfüllort Blindschacht 61) leitende Mitarbeiter des MHW unmittelbar vor Ort, haben jedoch keine zusätzlichen Maßnahmen zur Überwachung auf akute Brandentwicklung eingeleitet.

Durch die Untersuchungen wurde weiterhin festgestellt, dass im MHW keine Voraussetzungen für eine ausreichende analytische Tätigkeit auf dem Gebiet der Grubenbrände bestehen. Die Entwicklung des Brandgeschehens wurde nur mangelhaft erfasst, dokumentiert und ausgewertet (Verstoß gegen die Anweisung 8/61 der VVB Steinkohle vom 1.2.1961)3. Die gleiche Feststellung traf die VVB Steinkohle in einer Analyse »Grubenbrände« im Jahr 1972, die der stellvertretende Generaldirektor der VVB Steinkohle mit dem Leitungskollektiv des MHW auswertete.

Die leitenden Mitarbeiter und Bergleute schätzen selbst ein, dass bei Brandausbruch an einem Werktag es aufgrund der Örtlichkeiten unter Tage (Fluchtwege) auch Menschenleben hätte kosten können.

Unter den leitenden Mitarbeitern wird zum Problem der Sicherheit und des vorbeugenden Brandschutzes die Meinung vertreten, ein zusätzlicher Einsatz von Brandwachen wäre ökonomisch nicht mit den Produktionsaufgaben in Übereinstimmung zu bringen.

Auch die prinzipiellen, der Leitung des MHW in Auswertung der Grubenkatastrophe im Steinkohlenwerk »Karl Marx« von 1960 durch die Untersuchungsorgane übergebenen Hinweise fanden in der Leitungstätigkeit des MHW offensichtlich nicht die notwendige Aufmerksamkeit bzw. blieben durch routinemäßiges Herangehen an die Probleme der Sicherheit und des Brandschutzes unberücksichtigt. In diesen Hinweisen wurde u. a. bereits auf der Grundlage der seinerzeit absehbaren Verlagerung der Abbaue im MHW in Richtung Mülsener Senke auf die zunehmende Gefahr der Selbstentzündung der Kohle (Druck- und Temperaturverhältnisse vor Ort) hingewiesen.

Auf der Grundlage der Auswertung [der] Grubenkatastrophe im Steinkohlenwerk »Karl Marx« (1960) wurden im MHW 1964 insgesamt zehn Gasmess- und Anzeigegeräte (UNOR, Importe aus Westdeutschland) installiert, mit denen ein automatisches Messen, in diesem Fall beim Auftreten von CO-Gasen, vorgenommen wird.

Im Zusammenhang mit der Untersuchung des Brandes vom 21.10.1973 wurden nur noch drei einsatzfähige UNOR-Geräte vorgefunden. Bei der Auswertung der Arbeit mit diesen Geräten im MHW wurden wesentliche Unzulänglichkeiten bei der Auswertung der Messergebnisse, der Wartung und Überwachung festgestellt. Weder vonseiten der Werkleitung noch von der VVB Steinkohle wurde beispielsweise auf die Erhaltung des ursprünglichen Gerätestandes bzw. auf eine mögliche Umrüstung auf DDR-Geräte (Infralyt) gedrungen.

Die Unterschätzung der Gefahrensituation im MHW zeigt sich auch auf der mittleren Leitungsebene, was besonders am Verhalten des Steigers [Name] in der Phase der Brandentstehung vom 21.10.1973 deutlich wird.4

Schachthauer der Nachtschicht vom 20.10. zum 21.10.1973 hatten am Blindschacht 61 erwärmtes Gestein festgestellt und diese Tatsache dem Steiger gemeldet. Er nahm jedoch nur eine flüchtige Kontrolle vor und leitete keine weiteren Maßnahmen ein, sodass eine gezielte Nachkontrolle in der Frühschicht des 21.10.1973 unterblieb. Dieses Versäumnis hatte dann zur Folge, dass der Brand nicht rechtzeitig entdeckt und bekämpft werden konnte und sich unkontrolliert ausbreitete. Er konnte nur mit erheblichem Aufwand durch hermetisches Abriegeln der betroffenen Grubenbaue zum Stehen und Ersticken gebracht werden.

Aufgrund der bekannten, objektiv existierenden Gefahrensituation in den Abbaurevieren der »Mülsener Senke« des MHW wurden die verantwortlichen Leitungskräfte der VVB Steinkohle, insbesondere jedoch die Leitungskräfte im MHW im Verlauf der letzten Jahre wiederholt durch das MfS auf die notwendigen Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit und des vorbeugenden Brandschutzes aufmerksam gemacht und entsprechende Forderungen erhoben, u. a.

  • Wiederherstellen einsatzfähiger Selbstretter,

  • Beseitigen von Mängeln in den Wasseranschlüssen im Grubenbetrieb,

  • Unterbindung des Einsatzes unqualifizierter Kräfte für die Brandwachen.

In Anbetracht der Situation im MHW wäre es zweckmäßig, den Minister für Kohle und Energie zu beauftragen, mit den Leitungskräften des MHW die Probleme der Sicherheit und des Brandschutzes in ihrem Werk ernsthaft zu beraten. Zugleich sollte im Zusammenhang mit den damit verbundenen ökonomischen Problemen (sich verschlechternde geologische Situation, Aufwand und Nutzen für die Volkswirtschaft der DDR) die Perspektive des MHW erneut untersucht und einer Entscheidung zugeführt werden.

  1. Zum nächsten Dokument Westdeutsche Vorwürfe gegen evangelische Kirchen der DDR

    28. November 1973
    Information Nr. 1204/73 über Vorwürfe westdeutscher politisch-klerikaler Kräfte gegen die evangelischen Kirchen in der DDR

  2. Zum vorherigen Dokument Einnahmen aus verbindlichem Mindestumtausch im November 1973

    27. November 1973
    Information Nr. 1212/73 über die Entwicklung der Einnahmen aus dem verbindlichen Mindestumtausch seit Inkrafttreten der Neuregelung am 15. November 1973