Festnahme NVA-Angehöriger wegen Spionage und Fahnenflucht
4. Mai 1973
Information Nr. 375/73 über die Festnahme von zwei Angehörigen der Nationalen Volksarmee wegen dringenden Verdachts der Spionage und Fahnenflucht
Am 12.4.1973 wurden gegen die Angehörigen der NVA und Unterleutnant [Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1948, Beruf: Elektromechaniker/Finanzökonom, zuletzt Offizier für Finanzen der 7. PD, Nachrichtenbataillon 7 in Dresden, wohnhaft 806 Dresden, [Straße, Nr.], und Feldwebel [Name 2, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1950, Beruf: Werkzeugmacher, zuletzt Funkmeister der 7. PD, Nachrichtenbataillon 7 in Dresden, wohnhaft 7022 Leipzig, [Straße, Nr.], NW in 8023 Dresden, [Straße, Nr.], wegen des dringenden Verdachts der Spionage und Fahnenflucht gemäß §§ 971 und 254 StGB2 Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehle erlassen.
Die bisherigen Untersuchungen des MfS ergaben:
[Name 1] gehörte seit dem 25.7.1970 der NVA an. Da sich seine karrieristischen Vorstellungen über seine Entwicklung nicht verwirklichten, und insbesondere durch die Einwirkung seiner Ehefrau, die gegen den Dienst in der NVA eingestellt ist, versah er schon seit Längerem seine Aufgaben als Offizier für Finanzen mit Unlust. Er war bestrebt, seine Verpflichtung als Berufssoldat zu lösen. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeitete er darauf hin, als Kandidat der SED gestrichen zu werden. Die Streichung wurde im März 1972 von der SED-Grundorganisation beschlossen.
Nachfolgend versuchte er durch eine Erkrankung an einer Haarflechte seine Entlassung aus dem aktiven Dienst zu erwirken. Da er trotz der gezielten negativen Verhaltensweisen dieses Ziel nicht erreichte, entschloss er sich, sich im März 1973 durch eine Fahnenflucht nach der BRD dem weiteren Wehrdienst in der NVA zu entziehen.
In Vorbereitung des geplanten Verbrechens, das er unter Ausnutzung einer Reise in das sozialistische Ausland realisieren wollte (er beabsichtigte, über die diplomatische Vertretung eines kapitalistischen Staates Kontakt zu einem imperialistischen Geheimdienst aufzunehmen), begann [Name 1] systematisch alle ihm zugänglichen geheim zu haltenden Angaben zu sammeln. Zu diesem Zweck fertigte er u. a. von GVS- und VVS-Dokumenten, von geheim zu haltenden Personal- und Finanzunterlagen sowie von OvD-Dokumenten Film- und Fotoaufnahmen an, die in seiner Wohnung sichergestellt werden konnten. Von der Übermittlung dieser Materialien an einen imperialistischen Geheimdienst versprach sich [Name 1] Hilfe und Unterstützung bei der Realisierung der geplanten Fahnenflucht.
Anfang April 1973 hat [Name 1] den in der gleichen Einheit tätigen Feldwebel [Name 2] über seine feindliche Tätigkeit informiert und ihn aufgefordert, Hilfe und Unterstützung bei der Durchführung der Spionagetätigkeit zu leisten. Zwischen [Name 1] und [Name 2] kam es in diesem Zusammenhang zu der Vereinbarung, gemeinsam fahnenflüchtig zu werden.
[Name 2], der seit dem 2.5.1969 der NVA angehörte, erfüllte seine dienstlichen Aufgaben nur äußerst mangelhaft. Mehrfach mussten mit [Name 2] dienstliche und parteiliche Auseinandersetzungen geführt werden. Aufgrund seiner schlechten Dienstdurchführung wurde ihm im Frühjahr 1973 die Weiterführung eines von ihm durchgeführten Fernstudiums gestrichen, wodurch seine Unlust zum Dienst in der NVA weiter bestärkt wurde. Er verlangte seinen Austritt aus der SED als erste Maßnahme, um seine Entlassung aus der Verpflichtung als Berufssoldat zu erreichen. Wegen dieses Verhaltens wurden [Name 2] für April 1973 parteierzieherische Maßnahmen angekündigt. Um weiteren Differenzen zu entgehen, entschloss sich [Name 2] zur Fahnenflucht.
Bei seiner Entschlussfassung kalkulierte er ein, in der BRD mit Geheimdiensten zusammenzukommen und war bereit, in der Erwartung von Vorteilen alle ihm bekannten geheim zu haltenden Angaben über die NVA an Geheimdienste auszuliefern.
Entgegen den zwischen [Name 1] und [Name 2] getroffenen Vereinbarungen über eine gemeinsame Fahnenflucht unternahm [Name 2] – in der Vorstellung, allein besser einen Grenzdurchbruch nach der BRD vornehmen zu können – am 7.4.1973, nachdem er sich unberechtigt in den Besitz eines Urlaubsscheines gebracht und diesen mit der Unterschrift des Kommandeurs gefälscht hatte, den Versuch der Fahnenflucht. Zu diesem Zweck reiste er am 8.4.1973 in die ČSSR, wo er am 9.4.1973 im Gebiet von Mariánské Lázně beim Versuch der Überwindung der Grenzsicherungsanlagen durch die tschechoslowakischen Sicherheitsorgane festgenommen wurde.
Die Untersuchungen des MfS zur umfassenden Aufklärung der Motive, Ursachen und begünstigenden Bedingungen der von [Name 1] und [Name 2] begangenen Straftaten werden fortgesetzt.