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Flugblattverteilung an Angehörige der Reichsbahn Westberlin

14. März 1973
Information Nr. 268/73 über das Verbreiten von Flugblättern an Angehörige der Deutschen Reichsbahn in Westberlin

Wie dem MfS zuverlässig bekannt wurde, haben am 13.3. und 14.3.1973, gegen 5.30 Uhr, unbekannte Personen vor den RAW Tempelhof bzw. Grunewald1 versucht, Flugblätter an Angehörige der Deutschen Reichsbahn in Westberlin zu verteilen.

Herausgeber ist ein sogenannter »Initiativausschuss, Kampf der Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Eisenbahner«.2

In diesem Flugblatt wird u. a. als »Hauptforderung« eine Lohnerhöhung um 150 DM (DBB) für die Angehörigen der Deutschen Reichsbahn in Westberlin hervorgehoben. Weiterhin werden in deutlicher Form »Interessengegensätze« zwischen den Funktionären der SEW3 und des FDGB4 einerseits und den Reichsbahnangehörigen andererseits konstruiert, gleichzeitig aber auch SPD und Senat von Westberlin für die sich ständig verschlechternden Lebensbedingungen, Mietpreissteigerungen, andere Preissteigerungen und die Erhöhung des allgemeinen Lebenshaltungsindexes in Westberlin verantwortlich gemacht.

Es wird weiterhin zu einer »Gründungsversammlung« für einen sogenannten Kampfausschuss, die am Sonntag (vermutlich 18.3.1973, 19.00 Uhr) an einem namentlich nicht näher genannten Ort stattfinden soll, aufgerufen.

Auf dem Flugblatt wird als Kontaktadresse ein [Name, Vorname], Berlin 41, Bundesallee 81, genannt, an welchen sich Interessierte wenden können.

Bei dem Genannten handelt es sich um einen am 26.7.1972 von der Deutschen Reichsbahn entlassenen Fahrkartenverkäufer. Nach vorliegenden Hinweisen gehört [Name] einer linksradikalen Gruppierung (KPD/ML5) in Westberlin an.

Die Verteilung der Flugblätter wurde von Mitgliedern der SEW im RAW Tempelhof bzw. von Angehörigen der Bahnpolizei im RAW Grunewald auf dem Gelände der Deutschen Reichsbahn in Westberlin unterbunden.

Zur Gewährleistung einer wirksamen Kontrolle dieser Vorgänge wurden entsprechende Maßnahmen durch die Westberliner Dienststellen der Deutschen Reichsbahn eingeleitet.

  1. Zum nächsten Dokument Umsturz eines Teleskopkranes auf technischer Messe Leipzig

    16. März 1973
    Information Nr. 233/73 über den Umsturz eines Teleskopkranes der westdeutschen Firma Rheinstahl/Dortmund auf dem Gelände der Technischen Messe in Leipzig am 13. März 1973
  2. Zum vorherigen Dokument Festnahme von Kurieren der Organisation Löffler

    14. März 1973
    Information Nr. 264/73 über die Festnahme von drei Kurieren der Westberliner Menschenhändlerorganisation Löffler

  1. In der SBZ bzw. DDR war die Staatsbahn unter ihrer ursprünglichen Bezeichnung »Deutsche Reichsbahn« fortgeführt worden. Die von der DDR betriebene Deutsche Reichsbahn verfügte aufgrund von Vereinbarungen der Siegermächte auch über das Verkehrsrecht in Westberlin. Daher wurde die Westberliner S-Bahn bis 1984 von der Deutschen Reichsbahn betrieben. Zum besonderen Status der Reichsbahn im Westteil der Stadt vgl. Bahnhof Zoo. Vorposten der DDR in West-Berlin. Hg. v. d. Berliner S-Bahn. Berlin 2011, S. 44 f.; Ciesla, Burghard: Als der Osten durch den Westen fuhr. Die Die Geschichte der Deutschen Reichsbahn in Westberlin. Köln, Weimar, Wien 2006.

  2. Die Reichsbahnausbesserungswerke (RAW) Berlin-Tempelhof und Berlin-Grunewald waren für die Instandhaltung des Streckennetzes der Deutschen Reichsbahn in Westberlin zuständig. Seit 1961 hatten wiederholte Rationalisierungsmaßnahmen die RAWs degradiert und ihre Aufgaben lediglich auf ein Mindestmaß an Wartungs- und Instandsetzungsmaßnahmen reduziert. Ein vorherrschendes Übergewicht an Verwaltungsangestellten gegenüber Produktionsarbeitern heizte die Stimmung in den RAWs in den 1970er-Jahren zusätzlich an. Vgl. Ciesla, Burghard: Als der Osten durch den Westen fuhr. Die Geschichte der Deutschen Reichsahn in Westberlin. Köln, Weimar, Wien 2006, S. 257 f.

  3. Die SEW war eine aus den Westberliner Kreisorganisationen der SED hervorgegangene kommunistische Partei, die in großer politischer und finanzieller Abhängigkeit von der (Ost-)Berliner Bezirksleitung der SED von 1962 bis 1969 unter dem Namen SED-Westberlin, ab 1969 unter dem Namen SEW operierte. Vgl. Klein, Thomas: SEW – Die Westberliner Einheitssozialisten. Eine »ostdeutsche« Partei als Stachel im Fleische der »Frontstadt«? Berlin 2009.

  4. Der FDGB war die Einheitsgewerkschaft des SED-Partei- und Staatsapparates und die größte Massenorganisation der DDR. Sein Zuständigkeitsbereich umfasste u. a. Bereiche der sozialen und gesundheitlichen Belange der Arbeitnehmer oder auch Prämienvergabe.

  5. Die Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten war Ende 1968 in der Bundesrepublik gegründet worden und hatte 1976 ca. 300 Mitglieder (vgl. Stöss, Richard (Hg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980. Opladen 1984, S. 1831–1851). Sie verurteilte die Politik der SED als revisionistisch und orientierte sich am Sozialismus maoistischer Prägung. Aufgrund ihrer Versuche, auch in der DDR eine Parteisektion zu konstituieren stand sie unter besonderer Beobachtung des MfS. Vgl. Wunschik, Tobias: Die maoistische KPD/ML und die Zerschlagung ihrer »Sektion DDR« durch das MfS. 2. Aufl., Berlin 1998.