Forderung zur Änderung der Grenzsicherungsanlagen der DDR
3. Oktober 1973
Information Nr. 1003/73 über den Versand einer schriftlichen Aufforderung durch den »Bund der Mitteldeutschen« (BMD) e.V., Bonn, zur »Änderung der Grenzsicherungsanlagen der DDR«
Dem MfS wurde zuverlässig intern bekannt, dass der »Bund der Mitteldeutschen«1 gegenwärtig in großer Anzahl Druckschriften in die DDR und an die Regierungen der Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE)2 in Helsinki und Genf versendet. Die in die DDR gesandten Druckschriften sind gerichtet an eine Vielzahl von Verlagen, Redaktionen, an Organisationen, Verbände und Vereinigungen, an Vertragsgerichte, wissenschaftliche Institute und Geschäftsstellen, an namhafte Geistesschaffende, Künstler, Schriftsteller und Journalisten sowie an einige Wirtschafts-, Staats- und Parteifunktionäre.3
In diesen Druckschriften heißt es:
»Gleichzeitig wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Regierung bei neuen Überlegungen unterstützen würden, die Anlagen an der Grenze der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und zu Berlin (West) üblichen europäischen Maßstäben anzupassen.«
Der BMD übersendet als Anlage zu dieser schriftlichen Aufforderung eine Abschrift eines Schreibens des Präsidenten des BMD, Hermann Kreutzer,4 an den Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Willi Stoph,5 vom 6.8.1973, in dem »in Vertretung von vier Millionen deutscher Bürger, die ihre Heimat im Gebiet der DDR haben und heute in der BRD wohnen«, und unter Hinweis auf eine gegenwärtige Notwendigkeit eine sofortige Änderung der Grenzsicherungsanlagen der DDR zur BRD und Berlin (West) gefordert wird.
Die Übersendung und Zustellung einer größeren Anzahl dieser Druckschriften konnte vom MfS noch rechtzeitig verhindert werden.
Anlage zur Information Nr. 1003/73
Druckschrift des »Bundes der Mitteldeutschen«
Bund der Mitteldeutschen (BMD) e. V. | Der Präsident | 53 Bonn 1, | Königstraße 93 | Fernruf (0 22 21) 22 39 54 | Az.: | den 6. August 1973
An den | Vorsitzenden des Ministerrates | der Deutschen Demokratischen Republik | Herrn Willi Stoph | 102 Berlin | Klosterstraße 47
Sehr geehrter Herr Vorsitzender!
Das Präsidium des Bundes der Mitteldeutschen, der Vertretung von vier Millionen deutscher Bürger, die ihre Heimat im Gebiet der DDR haben und heute in der Bundesrepublik Deutschland wohnen, bittet Sie, Ihr Augenmerk auf folgendes Problem zu richten:
Der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik abgeschlossene Grundlagenvertrag6 soll im Rahmen eines geregelten Nebeneinanders der beiden Staaten in Deutschland einen Beitrag für die Entspannung in Europa darstellen. Das bedeutet nicht zuletzt, dass sich beide Staaten bemühen, europäischen Verhaltensnormen Rechnung zu tragen, der Wohlfahrt der Menschen in Europa zu dienen und selbst mit gutem Beispiel voranzugehen, friedliche Zustände und menschenwürdige Daseinsformen zu gestalten.
Nach alledem, was dem Grundlagenvertrag vorausgegangen ist, werden diese Ziele sicher erst schrittweise erreicht werden. Jede Seite bleibt aufgerufen, gemäß den Grundsätzen, insbesondere dem Postulat der Friedfertigkeit der Charta der Vereinten Nationen7 zu handeln.
So entsprechen die Anlagen der DDR an der Grenze zur Bundesrepublik Deutschland und zu Berlin (West) wie vor allem zwischen beiden Teilen Berlins in ihrer derzeitigen Form weder europäischen Verhaltensnormen noch den Prinzipien eines vernünftigen und friedlichen Nebeneinanders. Das ist nicht nur eine allgemein bekannte Tatsache, sondern dieser Umstand und die Zwischenfälle an diesen Grenzanlagen werden überall in Europa mit Bedauern und Empörung registriert.
Sehr geehrter Herr Vorsitzender, aus der Verbundenheit der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Brandenburger, Mecklenburger, Sachsen, Sachsen-Anhaltiner, Thüringer und Vorpommern mit ihrer alten Heimat in der DDR bitten wir Sie, die Form der Grenzanlagen neuen Überlegungen zu unterziehen mit dem Ziel, nach dem alten Rechtsprinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel die Form der Grenzanlagen unter Berücksichtigung der Interessenlage Ihres Staates mit den üblichen europäischen Normen in Einklang zu bringen.
Das friedliche Nebeneinander zweier Staaten darf sich nicht nur im gegenseitigen Verhältnis dieser Staaten ausdrücken, sondern es muss auch für den einzelnen Menschen offenbar werden und ihm ein Leben in Frieden garantieren. Bei allem Verständnis für das Interesse des Staates an Grenzanlagen muss auch hier die Würde und Sicherheit des Menschen Vorrang haben.
Wir wären Ihnen daher sehr dankbar – und wir sind überzeugt, dass Sie damit auch dem Begehren der Bürger der DDR entsprechen – wenn Sie sich baldmöglichst dieser Probleme annehmen würden. Eine Anpassung der Anlagen an übliche europäische Verhältnisse an den Grenzen würde in ganz Deutschland und in ganz Europa als ein Zeichen des guten Willens und des Entspannungsbemühens gewertet werden.8
Aus diesem Grunde haben wir uns auch erlaubt, [eine] Abschrift dieses Schreibens den Regierungen der Teilnehmerstaaten an der KSZE in Helsinki und Genf, der Presse und anderen Organen der DDR sowie der Presse und Institutionen der Bundesrepublik Deutschland zuzusenden.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung!
(gez.) Hermann Kreutzer | Präsident | (gez.) Werner Bader | Vizepräsident | (gez.) Joachim Dorenburg | Vizepräsident | F.d.R. | (Gielen)