Grenzdurchbruch an der Heinrich-Heine-Straße
3. Januar 1973
Information Nr. 4/73 über einen versuchten gewaltsamen Grenzdurchbruch nach Westberlin an der Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße am 1. Januar 1973
Am 1.1.1973, gegen 23.30 Uhr, wurden an der Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße die Bürger der BRD [Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1943, wohnhaft 1. Hamm, [Straße, Nr.], 2. Westberlin, [Straße, Nr.], und [Name 2, Vorname 1], geboren am [Tag, Monat] 1943, wohnhaft 1. Düsseldorf, [Straße, Nr.], 2. Westberlin, [Straße, Nr.], bei dem Versuch, den DDR-Bürger [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1945, zuletzt tätig als Kraftfahrer im Krankenhaus Bischofswerda, wohnhaft Putzkau, [Straße, Nr.], im Kofferraum des Pkw Typ »Mercedes«, polizeiliches Kennzeichen B – RY 660, nach Westberlin auszuschleusen, durch Kräfte des MfS festgenommen.1
Gegen alle Personen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehle erlassen.
Die bisherigen Untersuchungen des MfS ergaben:2
Der DDR-Bürger [Name 3] unterhält seit September 1972 ein Liebesverhältnis zu seiner Cousine [Vorname 2 Name 2], geboren [Tag, Monat] 1940, wohnhaft 1. Düsseldorf, [Straße, Nr.], 2. Westberlin 20, [Straße, Nr.], die besuchsweise bei seinen Eltern in Putzkau, Kreis Bischofswerda, weilte. Bei einem Treffen im November 1972 in der Hauptstadt der DDR kamen beide überein, sich von ihren Ehepartnern scheiden zu lassen und in der Folgezeit in Westberlin zusammenzuleben. Gleichzeitig berieten sie Möglichkeiten der Ausschleusung des [Name 3] nach Westberlin mittels eines Pkw.
Ende November 1972 vereinbarte die [Name 2] mit ihrem Ehemann, der über das Liebesverhältnis seiner Frau zu [Name 3] unterrichtet war, dass er die Ausschleusung des [Name 3] organisiert.
[Name 2 (Vorname 1)] entschloss sich, den seit Juni 1972 mit ihm befreundeten [Name 1] zu veranlassen, in dessen Pkw die Schleusung durchzuführen. Zu diesem Zweck setzte sich [Name 2 (Vorname 1)] am 31.12.1972 mit [Name 1] in Westberlin in Verbindung und forderte ihn auf, einen DDR-Bürger nach Westberlin zu schleusen. Dabei stellte [Name 2 (Vorname 1)] dem [Name 1] einen Verdienst in Höhe von 1 000 DM DBB in Aussicht.
[Name 1] erklärte sich dazu bereit. Beide kamen überein, den DDR-Bürger unter der hinteren Sitzbank im Pkw zu verstecken.
[Name 2 (Vorname 1)] und [Name 1] trafen am 1.1.1973 gegen 19.30 Uhr in der Mitropa-Gaststätte des Bahnhofs Friedrichstraße mit dem [Name 3] zusammen. [Name 3] war gegen 12.00 Uhr des gleichen Tages telefonisch durch [Vorname 2 Name 2] von seiner bevorstehenden Ausschleusung informiert und zu einer Zusammenkunft nach Berlin bestellt worden.
[Name 2 (Vorname 1)], [Name 1] und [Name 3] begaben sich in der Folgezeit in die Gaststätte des Hotels Sofia,3 wo [Name 3] von [Name 2 (Vorname 1)] über den vorgesehenen Ablauf seiner Schleusung nach Westberlin informiert wurde.
Für den Fall, dass beim Grenzübertritt eine Kontrolle des Kofferraums des Pkw erfolgt, wurde festgelegt, dass [Name 2 (Vorname 1)] den Pkw verlässt und die Kofferraumplatte öffnet. Damit sollte erreicht werden, dass sich die Kontrollkräfte hinter den Pkw begeben und [Name 1] als Fahrer des Pkw die Möglichkeit erhält, mit dem Fahrzeug in schneller Fahrt nach Westberlin durchzubrechen.
[Name 2 (Vorname 1)] sollte entweder auf den anfahrenden Pkw aufspringen oder im GÜST-Bereich zurückbleiben und gegenüber den Kontrollorganen der DDR sein Erstaunen über die plötzliche Fortsetzung der Fahrt durch [Name 1] heucheln.
Gegen 23.00 Uhr fuhren die Beteiligten mit dem Pkw in Richtung Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße. Nach erfolgter Erkundung der Häufigkeit und des Ablaufs der Zollkontrollen beim Grenzübertritt versteckte sich [Name 3] im Kofferraum des Pkw.
Gegen 23.25 Uhr fuhren die Genannten in den Kontrollbereich der GÜST Heinrich-Heine-Straße ein.
Nach erfolgter Aufforderung zur Kontrolle entstieg der [Name 2, Vorname 1] dem Pkw und öffnete den Kofferraum. Während dieser Handlung fuhr der im Pkw verbliebene [Name 1] an und durchbrach mit hoher Geschwindigkeit zwei Seilsperren auf einer nicht benutzten Abfertigungsbahn der Grenzübergangsstelle, worauf durch die eingesetzten Sicherungskräfte unverzüglich Alarm ausgelöst wurde.
[Name 1] prallte mit hoher Geschwindigkeit auf den geschlossenen Schlagbaum und versuchte, zu Fuß nach Westberlin zu flüchten. Die Flucht konnte durch die sofortige Festnahme des [Name 1] durch Kräfte des MfS verhindert werden.
Vom Chef der Grenztruppen, Genossen Generalleutnant Peter,4 ist vorgesehen, am heutigen Tag die Angehörigen des MfS auszuzeichnen, die durch ihr diszipliniertes und entschlossenes Handeln im Bereich der Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße den versuchten gewaltsamen Grenzdurchbruch verhindert haben.5
Die Untersuchungen des MfS über Ursachen, Charakter und Motive des versuchten gewaltsamen Grenzdurchbruches sowie eine Beteiligung der Menschenhändlerorganisationen6 werden fortgesetzt.