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Manipulationen im VEB Geräte- und Reglerwerk Teltow

26. Januar 1973
Information Nr. 79/73 über Manipulationen im Neuererwesen durch leitende Mitarbeiter des VEB Geräte- und Reglerwerk Teltow, Betriebsteil Berlin, Storkower Straße, in den Jahren 1970 und 1971

Dem MfS wurden durch Untersuchungshandlungen umfangreiche Manipulationen im Neuererwesen1 durch leitende Mitarbeiter des VEB Geräte- und Reglerwerk Teltow (GRW),2 Betriebsteil Berlin, Storkower Straße, bekannt. Diese Manipulationen erfolgten insbesondere durch die missbräuchliche Ausnutzung planmäßig auszuführender Projektierungsaufgaben für volkswirtschaftlich so bedeutsame Vorhaben wie

  • Kraftwerksautomatisierung von 500 MW-Blöcken (Hagenwerder III),3

  • Synthetische Eiweißchemie (KTVA 03),

  • Anlage zur Herstellung von Hochdruckpolyäthylen (Polymir 50)4

durchgeführt.

Durch vorsätzliche Manipulierung mit Projektierungskapazitäten und den gesetzlichen Bestimmungen über das Neuererwesen sowie Verstößen bei der Anwendung der wirtschaftlichen Rechnungsführung wurde in großem Umfang das sozialistische Eigentum geschädigt und mit dem Ziel der persönlichen Bereicherung skrupellos ausgenutzt.

Über den Umfang, die Ursachen, Motive und begünstigenden Bedingungen dieser strafbaren Handlungen wurde im Einzelnen bekannt:

Der Leiter des Betriebsteiles Berlin Belitz5 und dessen Stellvertreter [Name 1] forderten unter Missbrauch ihrer Verfügungs- und Entscheidungsbefugnis von einigen Abteilungs- und Gruppenleitern, die Neuererarbeit zur Manipulierung der Forschungs- und Entwicklungs- (F/E) sowie Projektierungskapazitäten zu nutzen. Zu diesem Zweck organisierte Belitz eine Gruppe von Personen, mit denen er die Einzelheiten des ungesetzlichen Vorgehens festlegte.

Im Einzelnen wurde Folgendes festgestellt:

Die F/E- und Projektierungsleistungen wurden nicht entsprechend den gesetzlichen Normativen, wie z. B. Projektierungshandbuch, kalkuliert und berücksichtigten auch nicht die Möglichkeiten für eine Leistungssteigerung.

Die finanziellen Mittel für ein Projekt wurden in der geplanten Höhe ausgeschöpft, ohne dafür echte Leistungen erbracht zu haben.

Die im Betriebsplan jährlich zu erreichende Selbstkostensenkung wurde von Belitz nicht berücksichtigt. Die Leistungen für F/E- und Projektierungsaufgaben wurden in der Regel mit zu hoher Stundenzahl bilanziert und auf dieser Grundlage erfolgte häufig mit fiktiven Kennziffern die Jahresplanung für den Betriebsteil Berlin.

Vom Stammbetrieb GRW Teltow wurden derartige Jahrespläne bestätigt, sodass auf der Grundlage der von Belitz veranlassten Manipulationen erhebliche Kapazitäten für den Staatsplan nicht bilanziert wurden.

Die finanzielle Leistung pro Mitarbeiter des Betriebsteils Berlin wurde z. B. zu Beginn des Planjahres 1971 willkürlich von 40 000 M auf 30 000 M verringert. Damit erreichte Belitz planungstechnisch, dass über die finanziell geplante und bilanzierte Leistung in Höhe von sechs Mio. M (Plan des Betriebsteiles Berlin für 1971) die Anzahl der Mitarbeiter von 150 auf 200 hätte gesteigert werden müssen.

Da effektiv nur 160 Arbeitskräfte zur Lösung der Aufgaben zur Verfügung standen, wurden Begründungen für nicht ausreichende F/E- und Projektierungskapazitäten gesucht.

Diese »Begründungen« wurden letztlich dazu genutzt, Möglichkeiten zur »Kapazitätserweiterung« zu finden, die dann durch den Abschluss von Neuerervereinbarungen gelöst worden sind.6

(Im Jahre 1971 erfolgte noch der Abschluss von 48 Neuerervereinbarungen, die fast ausnahmslos zur persönlichen Bereicherung missbraucht wurden.)

Die Untersuchungen ergaben weiter, dass die leitenden Mitarbeiter des Betriebsteiles Berlin des GRW Teltow die Neuerertätigkeit zum Vorwand nahmen,

  • bestehende Kapazitätslücken bei der Lösung betrieblicher Aufgaben zu schließen,

  • Projektierungs- und Konstruktionsarbeiten durchzuführen,

  • Arbeiten zur Oberleitung bereits vorliegender Entwicklungsergebnisse in die Produktion auszuführen,

  • technisch-ökonomische Zielstellungen für Investitionsvorhaben zu erarbeiten,

obwohl Möglichkeiten im Betriebsteil Berlin bestanden, diese Probleme im Rahmen der effektiv zur Verfügung stehenden Arbeitszeit zu realisieren.

Die unter diesen Verhältnissen 1971 abgeschlossenen 48 Neuerervereinbarungen im Betriebsteil Berlin wiesen eine Reihe von Mängeln auf, die das Manipulieren zum Zwecke der persönlichen Bereicherung begünstigt haben, so u. a.:

  • Es fehlten die Unterschriften der gesellschaftlichen Organisationen des Betriebes (KdT, BGL) beim Abschluss von Neuerervereinbarungen. Damit wurde die Mitwirkung und Kontrolle der gesellschaftlichen Organisationen durch Belitz ausgeschaltet.7

  • Es wurden keine Abschlussberichte über die erbrachten Leistungen angefertigt. Es wurde gar nicht erst eine inhaltliche Trennung zwischen staatlichen Aufgaben und der Aufgabenstellung in der Neuerertätigkeit zugelassen. Oftmals war dem einzelnen Themensachbearbeiter nicht bewusst, ob er an einer staatlichen Aufgabe bzw. an einem Detail eines Neuererthemas mitarbeitete.

  • Die Auszahlung der abgerechneten Aufwendungen erfolgte ohne Kontrolle über die während der gesetzlichen Arbeitszeit bzw. über die außerhalb der gesetzlichen Arbeitszeit für die Neuererthemen effektiv erbrachten Leistungen.8

  • Eine Aufschlüsselung der effektiven Leistungen und eine konkrete Terminstellung für die Kollektivmitglieder einer Neuerervereinbarung erfolgte nicht.

  • Es erfolgte auch keine Registrierung der Ergebnisse aus den Neuerervereinbarungen als Neuerervorschlag.9

  • Es gibt keine Protokolle über Verteidigungen der Neuerervereinbarungen bei Eröffnung bzw. nach der Realisierung.

Um die überhöht kalkulierten Kosten, die in den 48 Neuerervereinbarungen sichtbar wurden, zu belegen, bedienten sich die leitenden Mitarbeiter sogenannter »Strohmänner« (Betriebsangehörige). Diese »Strohmänner« hatten die Aufgabe, gegen ein geringes Entgelt (etwa zehn Prozent des Gesamtbetrages einer Neuerervereinbarung) Quittungen über Beträge zwischen 1 000 und 17 000 M zu unterschreiben. Diese Beträge dienten vor allem den leitenden Mitarbeitern zur persönlichen Bereicherung. Da Neuerervereinbarungen mit einem Wertumfang von 50 bis 120 TM abgeschlossen worden sind, betragen die auf diese Art erlangten unrechtmäßigen Gelder mehrere Hunderttausend Mark. (Die endgültige Summe kann erst nach Abschluss der Untersuchungen ermittelt werden.)

Zur Verschleierung der finanziellen Manipulationen wurden die »Strohmänner« zwar formell in den Neuerervereinbarungen erfasst, insbesondere um jeweils die nachweisbar überhöhten Kalkulationskosten für die Projekte belegen zu können.

(Diese Vorgänge förderten Belitz und [Name 1] sowie einige Abteilungs- bzw. Gruppenleiter. Sie ließen sich dafür insgesamt 20 000 M Bestechungsgelder zahlen. Belitz und [Name 1] durften in ihrer Eigenschaft als staatliche Leiter selbst nicht an Neuerervereinbarungen teilnehmen.)

Einige Leiter von Neuererkollektiven suchten auch außerhalb des Betriebsteils Berlin »zuverlässige« Personen aus, u. a. Verwandte und Bekannte, die für sie als »Strohmänner« tätig waren. An diesen Handlungen war auch ein Mitarbeiter der VVB Automatisierungsgeräte10 mit beteiligt.

Wie weiter festgestellt wurde, sind in den 48 Neuerervereinbarungen der Stundenaufwand und die Stundensätze der beteiligten Mitarbeiter willkürlich festgelegt worden. In mehreren Fällen wurde ein Stundenaufschlag bis zu 200 % festgestellt.

Der Sachbearbeiter für Neuererwesen im Betriebsteil Berlin des GRW Teltow Linke11 ließ sich für die Unterstützung dieser Manipulationen von den anderen beteiligten Personen ca. 30 000 M »Schmiergelder« auszahlen.

Das für die Anleitung und Kontrolle des Betriebsteiles Berlin zuständige Stammwerk VEB GRW Teltow wurde seinen Kontrollpflichten in der Vergangenheit nicht voll gerecht. So wurden beispielsweise die vom Betriebsteil Berlin vorgeschlagenen F/E-Pläne prinzipiell ohne Prüfung bestätigt.

In diesen Plänen war auch die Neuererarbeit mit ausgewiesen. So wurde z. B. für das Jahr 1971 300 000 M Leistung aus der Neuererarbeit in die Kapazität des Betriebes aufgenommen, ohne dass die Manipulationen mit dem Neuererwesen erkannt wurden.

Auch die fehlende Wirtschaftsanalyse für das Jahr 1971 für den Betriebsteil Berlin war für die Leitung des Stammwerkes in Teltow keine Veranlassung, sich intensiver um das wirtschaftliche Gebaren im Berliner Betriebsteil zu kümmern. Dadurch konnten die im Zeitraum des Jahres 1971 abgeschlossenen 48 Neuerervereinbarungen und ihre Ausnutzung für die wirtschaftskriminellen Verbrechen weitgehend unerkannt bleiben.

Der Hauptbuchhalter des VEB GRW Teltow führte im Jahre 1967 die letzte Finanzrevision im Betriebsteil Berlin durch. Auch der Leiter des Büros für Neuererwesen kontrollierte nicht ordnungsgemäß die Neuererarbeit im Betriebsteil Berlin.

Diese Vernachlässigungen in der staatlichen Leitungstätigkeit des VEB GRW Teltow begünstigten die Durchführung der verbrecherischen Manipulationen.

Die in die Untersuchungshandlungen einbezogenen Experten haben zu den Bedingungen, unter denen diese umfangreichen Betrugshandlungen zum Nachteil des sozialistischen Eigentums möglich wurden, u. a. festgestellt:

Die fehlende Anleitung und Kontrolle durch das Stammwerk ermöglichte eigenständige Formen der Planung, Anleitung und Kontrolle, die den allgemeingültigen Festlegungen des VEB GRW Teltow widersprachen.

Im Betriebsteil Berlin war kein wirksames Kontrollsystem über die laufende finanzielle und personelle Erfüllung der einzelnen F/E-Themen vorhanden. Somit unterlagen auch die im bestätigten F/E-Plan des Betriebsteiles Berlin geplanten Neuererleistungen und deren tatsächlich erreichtes Lohnvolumen keiner Kontrolle durch den Hauptbuchhalter.

Im Zeitraum 1970 bis Mitte 1972 erfolgte keine Kontrolltätigkeit durch den Hauptbuchhalter. Somit konnte der Hauptbuchhalter im Stammwerk aus eigener Kontrolltätigkeit keine Kenntnisse über irgendwelche Unzulänglichkeiten in der Kassenführung, im Belegwesen, in der Abwicklung der Projektierung und der F/E-Aufgaben, im Neuererwesen haben.

Die Planung der F/E-Aufgaben für 1972 sah einen um 25 % überhöhten Aufwand für Aufgaben vor, die über Neuerervereinbarungen gelöst werden sollten.

Die Aufgabenstellung für die Neuerer aus dem Plan Forschung und Entwicklung war jedoch nicht zu erkennen.

Die sachlichen Voraussetzungen für die Abrechnung der Neuererarbeit,

  • vertragsgemäße Erfüllung der Neuererarbeit,

  • zeitlicher und sachlicher Nachweis der tatsächlich geleisteten Neuererarbeit und

  • Begrenzung der Lohnkosten auf die für die gleiche Arbeit tariflich festgelegten Lohnsätze,

wurden im Betriebsteil Berlin nicht beachtet.

Es ging der Leitung im Betriebsteil Berlin beim Abschluss der Neuerervereinbarungen darum, unter Missbrauch des Neuererrechtes tatsächliche und vermeintliche Lücken in der Arbeitskapazität zu verschleiern.

Die Anzahl der abgeschlossenen Neuerervereinbarungen und der ungewöhnlich hohe Anteil (86 %) der Beteiligung von Werktätigen aus dem Betriebsteil Berlin an der Neuerertätigkeit waren in der Leitung des Stammbetriebes kein Anlass, die Ursachen und die Realität der Neuerertätigkeit im Stammbetrieb Berlin zu untersuchen.

Ein Neuereraktiv als gesellschaftliches Organ bestand im Betriebsteil Berlin nicht. Die bewusste Irreführung des BGL-Vorsitzenden durch den Sachbearbeiter für Neuererwesen Linke über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Gewerkschaft schloss eine gesellschaftliche Mitarbeit beim Abschluss und bei der Realisierung von Neuerervereinbarungen aus.

Die Manipulationen einiger leitender Mitarbeiter haben letztlich zu einer Reihe weiterer Disziplinarverstöße im Betriebsteil Berlin geführt. Insbesondere das erhebliche Absinken der Autorität und des Ansehens der staatlichen Leitung im Betrieb, der gesellschaftlichen Organisationen wie BGL, DSF, KdT und Konfliktkommission12 bei einer Vielzahl von Mitarbeitern, haben zu diesen Disziplinarverstößen beigetragen.

Der Mitarbeiter für Neuererwesen im Betriebsteil Berlin Linke war zugleich der Vorsitzende der ABI im Betrieb sowie ehrenamtliches Mitglied der ABI.13

Betriebsangehörige, die Linke zu betrieblichen Vorgängen informierten, wurden durch entsprechende Hinweise abgelenkt bzw. im Sinne einer Abdeckung von Betrugshandlungen abgewiesen.

Auch die stark autoritären Leitungsmethoden des Betriebsleiters Belitz unterdrückten jede aufkommende Kritik und führten teilweise zur Resignation progressiver Kräfte des Betriebes.

Verschiedene betriebliche Vertreter von gesellschaftlichen Organisationen (BGL, DSF, KdT, Konfliktkommission) erhielten ebenfalls Zuwendungen bzw. waren selbst an den verbrecherischen Handlungen14 beteiligt, sodass das Vertrauen der Werktätigen dieses Betriebes in die staatlichen und gesellschaftlichen Leitungsorgane und ihre Mitarbeiter erheblich gemindert wurde.

Gegen die Hauptverantwortlichen des Betriebsteiles Berlin (Belitz, [Name 1], Wilke,15 Linke, [Name 2], [Name 3] und Czech16) wurden Ermittlungsverfahren mit Haft nach

  • § 165 (1) und (2) – Vertrauensmissbrauch,17

  • § 162 – Bestrafung von verbrecherischem Diebstahl und Betrug zum Nachteil sozialistischen Eigentums,18

  • § 233 – Begünstigung19 und

  • § 234 – Hehlerei20 sowie

  • § 24721 und § 24822 – Bestechung,

gegen weitere 29 Betriebsangehörige Ermittlungsverfahren ohne Haft nach einer der genannten strafrechtlichen Bestimmungen des Strafgesetzbuches eingeleitet.

Aufgrund der bisherigen Untersuchungsergebnisse und durch das Zusammenwirken mit dem Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik wurden erste Maßnahmen zur Beseitigung und Überwindung der erkannten Ursachen und begünstigenden Bedingungen eingeleitet.

Es wird empfohlen, in Schwerpunktbereichen der Volkswirtschaft – ausgehend von den Versäumnissen in der staatlichen Leitungstätigkeit des VEB GRW Teltow – die Planmäßigkeit und Zielstellung der Neuerertätigkeit durch die zuständigen zentralen Organe zu untersuchen.

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    27. Januar 1973
    Information Nr. 89/73 über ein besonderes Vorkommnis mit einer Maschine der Aeroflot auf dem Zentralflughafen Berlin-Schönefeld

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    23. Januar 1973
    Information Nr. 64/73 über die vorgesehene Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Vatikan – DDR