Meinungen zum vorgesehenen Verkauf von Kunstgegenständen
26. März 1973
Information Nr. 274/73 über Meinungsäußerungen zum vorgesehenen Verkauf von Kunstgegenständen aus den Beständen der staatlichen Kunstsammlungen der DDR
Dem MfS wurde bekannt, dass es eine Reihe zu beachtender Meinungsäußerungen zu den Maßnahmen gibt, die auf der Grundlage zentraler Beschlüsse zur zusätzlichen Erwirtschaftung von Valutamitteln durch Erhöhung des Handels mit Kunstgegenständen, Antiquitäten und kunstgewerblichen Erzeugnissen eingeleitet wurden.1
Lebhafte Diskussionen – besonders unter den Beschäftigten im Bereich der staatlichen Kunstsammlungen – werden in der Hauptstadt der DDR und in den Bezirken Potsdam und Dresden geführt.2
In Unkenntnis der schriftlichen Festlegungen dieser Maßnahmen wird häufig die Richtigkeit der Auslegung dieser zentralen Beschlüsse angezweifelt und die Frage aufgeworfen, inwieweit diese Festlegungen die »Aufgabe« wertvoller Gegenstände des kulturellen Erbes tatsächlich beinhalten würden.
Weiter wird angeführt, der Generaldirektor der staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci, Genosse Mückenberger,3 sei für die Aussortierung von Kunstwerken aus den staatlichen Kunstsammlungen der DDR4 verantwortlich gemacht worden und habe unter Einbeziehung eines größeren Kollektivs Kunstsachverständiger dafür Sorge zu tragen, Listen mit Kunstgegenständen im Werte bis zu 50 Millionen DM/DBB zusammenzustellen. (Über die Höhe des Wertes dieser auszusortierenden Kunstgegenstände bestehen dabei unterschiedliche Meinungen.)
Als Grund für diese Maßnahmen wird übereinstimmend die dringende Notwendigkeit zur Gewinnung von Valuta für die DDR angeführt.
Es wurde festgestellt, dass dort, wo der Sinn der Aktion von den verantwortlichen Leitern politisch richtig erläutert wurde, es keine oder nur wenige ablehnende und abfällige Bemerkungen zu diesem Problem gibt. So wurde z. B. einem Teil von Mitarbeitern im Staatlichen Kunsthandel Berlin5 erläutert, dass es sich bei den bereitzustellenden Exponaten nur um solche Bestände handeln könne, die nicht zum Staatsschatz der DDR gehören und nicht in Sammlungen komplettiert sind. Es solle auf Duplikate und Kopien sowie auf nicht öffentlich ausgestellte Einzelstücke, die oft noch ungenutzt in Lagern und Kellern von Museen deponiert sind oder sich noch in Privatbesitz befinden, zurückgegriffen werden. (Sachliche Diskussionen zu diesem Problem gab es z. B. im Bereich des Ministeriums für Kultur und im Verband bildender Künstler.6)
Dagegen stieß die Maßnahme im Bereich der Staatlichen Museen Berlin, der Dresdner Kunstsammlungen und in Potsdam auf Unverständnis und Missbilligung. Sowohl bei leitenden Kadern als auch bei anderen Mitarbeitern treten dabei besonders folgende Argumente in den Vordergrund:
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Fragen, inwieweit das Ministerium für Kultur oder andere Gremien berechtigt seien, über die Verbringung von staatlichen Kunstgegenständen der DDR in kapitalistische Länder zu beschließen.
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Unverständnis über diesen Umgang mit dem Nationalschatz bzw. kulturellem Erbe der DDR.
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Beispiele dieser Art wären in Europa bisher nicht vorhanden. Diese Maßnahme hinterließe einen »niederschmetternden Eindruck«.
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Diese Aktion sei nur vergleichbar mit den Maßnahmen der Sowjetunion in den zwanziger Jahren, wo, resultierend aus der Not des Landes, gegen Valutamark wertvolle Kunstgegenstände aus den staatlichen Kunstsammlungen der Sowjetunion verkauft worden seien. Daraus wird geschlussfolgert, dass sich auch die DDR in einer solchen »wirtschaftlichen Notlage« befinden müsse.
(In letzter Zeit wurde diese Aktion auch in einigen Fällen in westlichen Publikationsmitteln aufgegriffen. Dabei wird ebenfalls das vorgenannte »Argument« hochgespielt und versucht, die Maßnahmen als unverständlich hinzustellen.7)
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Es bestünde ein »totaler Widerspruch« zwischen der bisherigen Kulturpolitik und der neuen Situation.
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In vereinzelten Diskussionen wird auch die Möglichkeit angedeutet, dass man dagegen »etwas unternehmen« müsste.
Neben diesen Reaktionen treten eine Reihe Meinungen zu Verfahrensfragen auf. Mehrfach wird dabei in Erwägung gezogen, dass derart kurzfristig eingeleitete und abzuwickelnde Aktionen entsprechend den westlichen Handelsmethoden auf Auktionen nur ein Verlustgeschäft für die DDR bedeuten könnten.
Kunstwerke, die wenigstens zu ihrem Wert verkauft werden sollen, müssten in der Regel Jahre vorher zum Verkauf in Aussicht gestellt werden.
Bei einigen leitenden Mitarbeitern im Bereich der staatlichen Kunstsammlungen der DDR ist die Auffassung vorhanden, wenn schon gegen Devisen verkauft werden müsse, dann sollte das nur an die BRD erfolgen, um »Deutschland« das kulturelle Erbe zu erhalten. Intern wurde dazu dem MfS bekannt, dass sich einige leitende Mitarbeiter der Staatlichen Museen8 an ihnen persönlich bekannte Leiter staatlicher Museen bzw. Stiftungen in Westberlin bzw. der BRD gewandt haben, sie über die Verkaufsaktion informierten und darauf hinwiesen, im »gesamtdeutschen Interesse« und zur Vervollständigung eigener Sammlungen, bestimmte Gegenstände aus den Kunstsammlungen der DDR anzukaufen.
Bei einigen anderen Leitern im Bereich der Kunstsammlungen ist eine solche Tendenz unverkennbar, die Entscheidung über die Auswahl geeigneter Kunstgegenstände zu verzögern. Nach Meinung einiger dieser Kader wäre es für sie günstiger, wenn von übergeordneten Dienststellen »schriftlich angewiesen« würde, was zum Verkauf gelangen solle, um eventuell später nicht dafür zur Verantwortung gezogen werden zu können.
Aus den Staatlichen Museen Berlin wurde bekannt, dass verantwortliche SED-Mitglieder dieses Bereichs verstärkt von Mitarbeitern um Auskunft über diese Aktion ersucht werden. Zum Teil wird von diesen Genossen ungenügend reagiert. Sie geben an, dass sie dieser Situation »ratlos« gegenüberstünden, da sie nicht in den Besitz einer überzeugenden Argumentation gelangt seien.
Dem MfS wurde bekannt, dass in der Parteileitung der Staatlichen Museen Berlin ein Schreiben an das Ministerium für Kultur diskutiert worden sei, in dem die Genossen gegenüber der Aktion Bedenken anmelden, ohne sich direkt gegen diese Festlegungen zu stellen.9
Intern wurde weiter bekannt, dass Mitarbeiter der Staatlichen Museen Berlin am 15.3.1973 ein Schreiben verfassten und unterschrieben, in dem sie sich gegen die Aktion wenden und um Begründung ersuchen. Dieses Schreiben – das in der Anlage beigefügt wird – trägt die Unterschrift von 56 Mitarbeitern, darunter drei Genossinnen der SED, und wurde dem Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlin zugestellt10. Prof. Dr. Gerhard Rudolf Meyer11 beabsichtige eine Weiterleitung an das Politbüro, da er zu den im Schreiben aufgeworfenen Fragen nicht Stellung nehmen könne.
Anlage zur Information Nr. 247/73
Eingabe an den Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin
Berlin, den 15. März 1973 | An den | Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin | Herrn Professor Dr. Gerhard Rudolf Meyer | im Hause
Sehr geehrter Herr Generaldirektor,
hiermit möchten wir als Mitarbeiter der Staatlichen Museen zu Berlin Ihnen zur Kenntnis geben, dass wir den Verkauf von Kunstwerken aus den staatlichen Sammlungen der DDR als eine Aktion ansehen, die sich mit unserer Auffassung von der Aufgabe solcher Institutionen (Pflege und Vermehrung von »Schätzen der Weltkultur«) nicht vereinbaren lässt. Wir möchten um Mitteilung bitten, auf welcher gesetzlichen Grundlage sich die Anordnung zur Durchführung dieser Aktion stützt.
Unterschriften:
[Maschinenschriftliche Aufstellung der Unterzeichner und Unterzeichnerinnen der Eingabe]
Insgesamt 56 Personen, davon drei Genossen der SED (x)12