Probleme beim U-Bahnverkehr in der DDR-Hauptstadt
2. Juli 1973
Information Nr. 609/73 über einige Probleme bei der Realisierung von Maßnahmen zur Sicherung eines reibungslosen U-Bahnverkehrs in der Hauptstadt der DDR, Berlin, unter besonderer Berücksichtigung eines störfreien Verkehrs während der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten
In den vergangenen Wochen und Monaten ereigneten sich wiederholt Störungen im U-Bahnverkehr in der Hauptstadt der DDR, Berlin. (Brände in der Stromleitung des Triebwagens 126 538–0 am 23.3. und 24.3.1973; Stromunterbrechungen am 1.5.1973 auf der Linie A in der Zeit von 8.00 bis 13.40 Uhr; Bahnstromausfall am 7.5.1973 in der Zeit von 6.23 bis 7.50 Uhr infolge Schadens im Gleichrichterwerk1 Senefelder Platz; Schaden in der Fernsteuerung des Gleichrichterwerkes Senefelder Platz am 16.5.1973, 4.00 Uhr, der jedoch keine Auswirkungen auf die Verkehrsdichte hatte.)
Die eingeleiteten Untersuchungen durch die zuständigen staatlichen Organe ergaben, dass die nach der Brandkatastrophe in der Nähe des U-Bahnhofes Alexanderplatz (4.10.1972)2 festgestellten Mängel und Missstände sowie die zu ihrer Überwindung eingeleiteten Maßnahmen (Beschluss des Magistrats von Groß-Berlin Nr. 264/72 vom 22.11.1972 »Maßnahmen zur Sicherung eines reibungslosen U-Bahnverkehrs«3) bisher nicht mit der erforderlichen Zielstrebigkeit und Sorgfalt realisiert wurden.
Diese Situation war unter Berücksichtigung des sich wesentlich verstärkenden Verkehrs während der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten4 (verstärkte Zugfolge usw.) Anlass, komplex die gegenwärtige Lage und den Realisierungsstand derjenigen Maßnahmen zu kontrollieren, die zur kurzfristigen Erhöhung der Sicherheit in den Objekten der U-Bahn beitragen sollen.
Die am 12.6. und 13.6.1973 durch Experten und Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft von Groß-Berlin, des MfS, des Präsidiums der DVP, Abt. Feuerwehr und Kriminalpolizei, der ABI Groß-Berlin, der Bahnaufsicht der Deutschen Reichsbahn, der Technischen Überwachung der DDR durchgeführte Kontrolle ergab, dass im gesamten Bereich der U-Bahn noch nicht die erforderliche Brandsicherheit gewährleistet ist.
Gegenwärtig gewährleistet die Führungs- und Leitungstätigkeit im Kombinat Berliner Verkehrsbetriebe, Kombinatsteil U-Bahn bzw. Abt. Technik, trotz Vorliegens einer Vielzahl von Maßnahmeplänen, nicht die Erfüllung der erteilten Auflagen und Verfügungen.
Nach wie vor gibt es Mängel
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bei der Qualifizierung der Angehörigen im U-Bahnbetrieb im vorbeugenden Brandschutz,
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bei der Anleitung und Erteilung konkreter Aufträge an die Brandschutzverantwortlichenund Brandschutzhelfer,
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bei der Präzisierung der Brandschutzinstruktion.
Außerdem sind gegenwärtig nicht alle Betriebsteile der U-Bahn entsprechend der ABAO 31/2 – Feuer- und explosionsgefährdete Betriebsstätten vom 22.7.19635 – überprüft, und es wurde auch noch nicht der Schutzgütenachweis (ABAO 3/1 – Schutzgüte der Arbeitsmittel und Arbeitsverfahren vom 20.7.19666) für die Beleuchtungsanlagen in den U-Bahn-Wagen erbracht.
Die Leitung des Betriebsteiles U-Bahn hat bisher – trotz erteilter Auflagen – noch nicht die Ursachen und begünstigenden Bedingungen für das Entstehen der Brände ausgewertet und die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet. Insbesondere betrifft das die Einleitung von Maßnahmen zur Absicherung abgestellter U-Bahn-Züge auf den Bahnhöfen Potsdamer Platz bzw. Pankow-Vinetastraße sowie zum sofortigen Erkennen von Entstehungsbränden.
Auch die bisherigen Maßnahmen zur Durchsetzung eines Anti-Havarie-Trainings reichen nicht aus, da sie vornehmlich auf die Betriebswerkstatt Friedrichsfelde beschränkt blieben.
Die laut Magistratsbeschluss einzusetzenden Objektverantwortlichen, die die Ordnung und Sicherheit einschließlich des Brandschutzes gewährleisten sollen, konnten bisher nicht wirksam werden, da sie andere Funktionen wie Verkehrsmeister, Stellwerker usw., ausüben. Auch wurden diesen Kräften bisher nicht die entsprechenden Vollmachten übertragen.
Ausgehend von den Ergebnissen der Untersuchungen durch Experten der Deutschen Reichsbahn über die Probleme der Betriebssicherheit, Ordnung und Disziplin im Zusammenhang mit der Brandkatastrophe vom 4.10.1972 und den daraus resultierenden Empfehlungen zur Verbesserung der Arbeit bei der Berliner U-Bahn (vom 15.11.1972), die in Übereinstimmung mit dem Bereich Technik des Betriebsteiles U-Bahn erarbeitet wurden, wurde Mitte Juni 1973 bei den Überprüfungen durch den gleichen Kreis von Experten die ungenügende Realisierung der erteilten staatlichen Auflagen festgestellt.
Diese Feststellungen betreffen vor allem
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den Erlass notwendiger Dienstvorschriften, so u. a. einer Betriebsordnung (diese fehlte bisher vollkommen),
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das Beseitigen von Mängeln im Dispatcherdienst, insbesondere für die Gewährleistung einer reibungslosen Betriebsdurchführung.
Insbesondere die Wirksamkeit der Dispatcherzentrale im U-Bahn-Betrieb (DZU) entspricht nach wie vor nicht den Erfordernissen. Die dort tätigen Arbeitskräfte üben überwiegend die Funktion eines Telefonisten aus. Aus diesem Grund können sie nicht steuernd in den Verkehrsablauf einwirken.
Aufgrund der starken Zersplitterung aller Gewerke in der Instandhaltung müssen die Kräfte der DZU bei Störungen oftmals zehn bis 15 Dienststellen benachrichtigen (Zeitaufwand von 15 bis 20 min.), um Sofortmaßnahmen zur Beseitigung der Störungen veranlassen zu können.
Auch die von den Experten der Deutschen Reichsbahn – Staatliche Bahnaufsicht – gegebenen Hinweise über unzureichende Brandschutzmaßnahmen, so u. a.
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ungenügende Anzahl von Feuerlöschern in den Fahrzeugen,
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fehlende Etagenpläne des Bahnhofs Alexanderplatz,
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fehlende Feuerlöschschläuche in der Kehranlage Bahnhof Potsdamer Platz,
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unbewachtes Abstellen des Wagenparkes über Stunden, wodurch Brandentstehungen nicht sofort erkannt und bekämpft werden können,
haben noch immer nicht zur Einleitung von konkreten Maßnahmen und zur Beseitigung dieser Missstände geführt.
Auch die von den Experten der Deutschen Reichsbahn charakterisierte Gefahrensituation, die durch das System der Stromschienentrennung besteht, wurde bisher nicht zum Anlass wirkungsvoller Veränderungen genommen.
Wie von verschiedenen Teilnehmern festgestellt wurde, reichen die gegenwärtigen Anstrengungen seitens des Magistrats von Groß-Berlin und seiner verantwortlichen Fachorgane nicht aus, um die laut eigenem Beschluss zu realisierenden Maßnahmen in der Praxis durchzusetzen.
So sollten dem Kombinat Berliner Verkehrsbetriebe z. B. bis 31.12.1972 bzw. 31.3.1973 schrittweise 100 Plätze in Arbeiterwohnheimen für aus den Bezirken der DDR anzuwerbende Kräfte zur Verfügung gestellt werden. Diese Maßnahme wird jedoch erst nach Abschluss der X. Weltfestspiele in Angriff genommen.
Auch die vorgesehene Zuführung von 80 Arbeitskräften aus anderen Bezirken der DDR mit Unterstützung des Magistrats wurde nicht voll realisiert, sodass immer wieder Probleme bei der Aufrechterhaltung des U-Bahn-Zugdienstes, Sicherung der laufenden Instandhaltung sowie Pflege und Wartung der Gleisanlagen auftreten.
Es erscheint zweckmäßig, den Magistrat von Groß-Berlin und die anderen zuständigen Organe zu veranlassen, die im Beschluss Nr. 264 enthaltenen Aufgaben und Maßnahmen im Hinblick auf die zu realisierenden Verkehrsaufgaben bei den X. Weltfestspielen nunmehr mit aller Konsequenz durchzusetzen.