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Probleme im Polyurethankomplex Schwarzheide

26. Oktober 1973
Information Nr. 1099/73 über einige Probleme beim Probebetrieb im Polyurethankomplex des VEB Synthesewerkes Schwarzheide

Das MfS informierte in der Vergangenheit wiederholt über Verzögerungen und deren Ursachen bei der Errichtung von Teilanlagen des Polyurethankomplexes im VEB Synthesewerk Schwarzheide (SWS),1 [Kreis] Senftenberg, [Bezirk] Cottbus. So u. a. letztmalig im Dezember 1972 (Information Nr. 1095/72) zum »Stand der Realisierung des Polyurethanvorhabens im VEB Synthesewerk Schwarzheide«.

In der genannten Information wurde u. a. auf einen von Experten als real bezeichneten Termin des Abschlusses des Probebetriebes in den Anlagenkomplexen und -teilen und zur Aufnahme des Dauerbetriebes für den Monat September 1973 hingewiesen.

Wie dem MfS bekannt wurde, haben zwischenzeitlich wesentliche Anlagenteile in den Komplexen, so z. B.

  • im Teilkomplex I – die Anilin-,2 Formalin-3 und Phosgenanlage,4

  • im Teilkomplex II – die Polyätheranlage5 und

  • im Teilkomplex III – die TDI-Anlage,6

ihre Funktionsproben soweit erfolgreich abgeschlossen, dass von diesen Anlagenteilen bei Aufnahme des komplexen Dauerbetriebes keine wesentlichen Störungen erwartet werden. Außerdem wurden in diesen Anlagenteilen bereits chemische Produkte erzeugt und abgesetzt, die bei Aufnahme des Dauerbetriebes für die PUR-Herstellung benötigt werden.

Im Rahmen der Aufnahme des Probebetriebes haben sich jedoch im Teilkomplex I die Steamreforming-Anlage (Gaserzeugung)7 und die MDI/PAPI-Anlage8 als so instabil erwiesen, da von ihnen gegenwärtig solche entscheidenden Störungen ausgehen, die der baldmöglichen Aufnahme des Dauerbetriebes des genannten PUR-Komplexes entgegenwirken.

Nach den vorliegenden Einschätzungen der Experten wird mit der Aufnahme des Dauerbetriebes im PUR-Komplex nunmehr erst im August 1974 gerechnet.

Über die Ursachen der neuerlichen Verzögerungen wurde im Einzelnen bekannt:

Die Steamreforminganlage beeinflusst technologisch den gesamten Teilkomplex I (Herstellung von Wasserstoff und Kohlenmonoxid) soweit, dass bei ihrem Ausfall alle Anlagen des Teilkomplexes I abgefahren werden müssen.

Die schwerwiegenden Störungen bildeten auftretende Undichten am Economiser bzw. das Einstürzen der Decke des Reformingofens, deren Ursachen nach Angaben der Experten der DDR und des Lieferanten (ENSA/Paris) in fehlerhaftem Materialeinsatz zu suchen sind.

Weiterhin wird von Experten der DDR darauf hingewiesen, dass die Fa. ENSA9 das Steamreforming-Verfahren technologisch nicht beherrscht. Durchschnittlich alle acht bis zehn Tage wird die im Gaskreislauf eingebaute Kältebox durch gefrorenes Wasser verstopft. Das notwendige Auftauen bedingt ein Zurückfahren der Steamreforming-Anlage für etwa vier Tage.

Dadurch wird u. a. auch das Material (Stahl) einem stärkeren Dehnungs- und Schrumpfungsverhalten unterworfen, wodurch weitere Störquellen entstehen können.

Die Ursachen für das Eindringen der Feuchtigkeit in die Kältebox wurden bisher nicht geklärt.

Das Eindringen von Wasser in die Aggregate und Apparate der Steamreforming-Anlage von außen schließen die Experten aus.

Nach ihrer Auffassung können jedoch geringste, kaum nachweisbare Spuren von Wasser bei einem technologisch bedingten großen Gasdurchsatz (5 000 m³/Std.) eine Kondensation von Wasser im Temperaturbereich bei minus 180 °C, wie sie in der Kältebox anstehen, hervorrufen.

Bei der Untersuchung einer Havarie in der MDI/PAPI-Anlage im August 1973, bei der Phosgen und Monochlorbenzol10 ausgebrochen waren, wurde festgestellt, dass Wärmeaustauscher dieser Anlage vollkommen korrodiert waren. Ursächlich hierfür liegen erhebliche Fertigungsfehler vor, die bei der Schweißung der Wärmeaustauscher auftraten. Durch auftretende Undichten konnte Kühlwasser in das Reaktionssystem der Wärmeaustauscher eindringen, was letztendlich zu einer Salzsäurekorrosion führte.

Die von der Fa. ENSA/Paris mit der Fertigung beauftragten Herstellerfirmen Körting/BRD11 und Brissonneau et Lotz/Frankreich12 wie auch die ENSA-Vertretung in der DDR geben gegenüber dem DDR-Partner Übermittlungsfehler bei der Bestimmung des anzuwendenden Schweißverfahrens für die Herstellung der Wärmeaustauscher als Ursache für die erkannten Mängel an.

Andere technische Mängel an der MDI/PAPI-Anlage bestehen z. B. in fehlenden Einbauten zur Wärmekompensation an den Dünnschichtverdampfern (Lieferant Fa. Luwa/Schweiz)13. Entsprechende Maßnahmen zur Beseitigung dieser Mängel wurden zwischenzeitlich eingeleitet.

Die Neuanfertigung der auszuwechselnden Wärmeaustauscher erfolgt im VEB Maschinen- und Apparatebau Grimma bzw. bei der Fa. Brissonneau et Lotz, wobei die französische Firma ihren zugesagten Termin bereits wieder um 14 Tage verschoben hat.

Aus den genannten Faktoren wird erneut sichtbar, dass die französische Firma ENSA/Paris die im Teilkomplex I aufgetretenen Störungen und Havarien durch das Nichtbeherrschen der Technologie, den Einsatz nicht geeigneter Werkstoffe und auch durch Konstruktionsfehler vollständig zu verantworten hat.

Fachleute im SWS bezeichnen als Voraussetzung für die Erreichung eines kontinuierlichen Dauerbetriebes die Realisierung eines Stabilisierungsprogramms mit einem Wertumfang in Höhe von etwa 150 Mio. Mark. (Die Angaben für den Mittelaufwand für die Stabilisierung sind gegenwärtig noch nicht auf ihre Realität hin überprüft.) Das Stabilisierungsprogramm (ca. 70 Einzelmaßnahmen) beinhaltet u. a.

  • Bereitstellung von Dampf, Steuerluft und Stickstoff für die Gewährleistung des komplexen Probebetriebes;

  • Errichtung einer zweiten Steamreforming-Anlage bzw. die Kopplung mit der Gaserzeugung im VEB Gaskombinat Schwarze Pumpe14 zur Gewährleistung einer stabilen Fahrweise, insbesondere einer kontinuierlichen Gaserzeugung, wobei die Errichtung einer zweiten Kältebox ebenfalls erforderlich wird;

  • Errichtung zusätzlicher Trocknungsanlagen bzw. von zweiten Trennkolonnensystemen in der MDI/PAPI-Anlage;

  • Erschließung von Tiefbrunnen zwecks Verbesserung der Qualität des Wassers, das im Kühlsystem eingesetzt werden kann. (Das der Schwarzen Elster gegenwärtig entnommene Wasser mindert sich ständig in seiner Qualität durch steigende mineralische Bestandteile, die durch einfließende Bergbauabwässer hervorgerufen werden.)

Diese in der Information dargelegten Faktoren sollten in den zuständigen wirtschaftsleitenden und zentralen staatlichen Organen erneut zum Anlass genommen werden, alle Probleme, die für die Gewährleistung einer stabilen Fahrweise des gesamten PU-Komplexes im SWS entscheidende Bedeutung haben, nochmals zusammenfassend zu prüfen.

Insbesondere ergeben sich sowohl für die Realisierung des Stabilisierungsprogramms als auch für die Produktions-, Absatz- und Exportplanung des SWS im Jahr 1974 eine Reihe von Konsequenzen für die materielle bzw. finanzielle Bilanzierung.

Im Verantwortungsbereich des Ministeriums für chemische Industrie müsste gegebenenfalls das Stabilisierungsprogramm des SWS gründlich überarbeitet werden, damit vorrangig solche Maßnahmen durchgeführt werden, die auch eine stabile Fahrweise gewährleisten.

Für die Sicherung der Produktion von PUR-Systemen für die Anwenderindustrien der DDR machen sich auch 1974 Rohstoffimporte aus dem NSW erforderlich, deren finanzielle Absicherung noch nicht gewährleistet ist. Beim Ausfall derartiger Importe können ungünstige Auswirkungen besonders für die Konsumgüterproduktion der DDR (Möbel, Schuhe) entstehen.

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    26. Oktober 1973
    Information Nr. 1101/73 über einen Brand im Steinkohlenwerk »Martin Hoop« Zwickau am 21. Oktober 1973

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    23. Oktober 1973
    Information Nr. 1088/73 über die Entwicklung des Einreiseverkehrs aus nichtsozialistischen Staaten und Berlin (West) in die DDR in der Zeit vom 1. Januar 1972 bis 30. September 1973 sowie der Einnahmen aus dem verbindlichen Mindestumtausch