Direkt zum Seiteninhalt springen

Probleme im Vorfeld der Amtseinführung Bischof Schönherrs

10. Februar 1973
Information Nr. 123/73 über einige Probleme im Zusammenhang mit der am 11. Februar 1973 vorgesehenen Einführung von D. Albrecht Schönherr in sein Amt als Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg

Dem MfS wurde intern bekannt, dass Bischof Scharf/Westberlin1 über die Ablehnung seiner Einreise in die Hauptstadt der DDR zur Amtseinführung von Bischof Schönherr2 am 11.2.1973 sehr verärgert ist und sein Nichteinverständnis mit dieser Maßnahme mehrfach zum Ausdruck bringt.3

(Die Amtseinführung von D. Albrecht Schönherr erfolgt im Rahmen der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg vom 9. bis 12.2.1973 am 11.2.1973 um 10.30 Uhr in der Marienkirche. Die Amtseinführung wird der rangälteste evangelische Bischof der DDR, Fränkel,4 Görlitz, vornehmen.)

Scharf äußerte in diesem Zusammenhang z. B., die staatlichen Organe der DDR hätten nicht das Recht, eine solche Ablehnung auszusprechen, zumal er im Namen der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in der DDR von Bischof Schönherr eingeladen worden sei.

Scharf hebt hervor, er habe sich in dieser Angelegenheit auch mit Bischof Dietzfelbinger,5 München, Vorsitzender des Rates der »Evangelischen Kirche in Deutschland« (EKD)6 und anderen Mitgliedern des Rates der »EKD« konsultiert und stimme mit ihnen überein, dass ihm eine Einreise aus religiösen Gründen nicht verwehrt werden könne.

Die DDR könne sich eine solche Verletzung der Verträge nicht leisten.7

Bischof Scharf wolle zur Durchsetzung seiner Forderung so weit gehen, dass er diese Angelegenheit auf Botschafterebene klären lassen und sich auch an den Senat von Westberlin oder an den Bundestag wenden will.

(Dem MfS ist bekannt, dass Bischof Scharf nach wie vor die Meinung vertritt, dass es nur eine Landeskirche Berlin-Brandenburg gebe. Die Teilung sei nicht vollständig, denn es bestehe auch nach der Wahl eines eigenen Bischofs für den DDR-Teil der Landeskirche eine verbindliche Grundordnung und eine Regionalgesetzgebung, die für beide Kirchengebiete verpflichtend sei. Jetzt stünden, wie auch in anderen Kirchen der Welt, mehrere Bischöfe an der Spitze dieser einen Kirche. Die Bischofsämter seien aufeinander abgestimmt, und die beiden Bischöfe würden gemeinsame Verantwortung tragen.8

Diese Meinung brachte Bischof Scharf auch in einem Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk am 30.12.1972 zum Ausdruck.)9

Bischof Scharf stößt im Gegensatz zu den angeführten Meinungen aber verschiedentlich auch in Kreisen Westberliner Kirchenpersönlichkeiten auf Ablehnung seiner Forderung nach Einreise in die Hauptstadt der DDR.

So haben die Bischof Scharf nahestehenden kirchenleitenden Personen wie Oberkirchenrat Flor,10 Prof. Martin Fischer,11 Oberkonsistorialrat Lingner12 und der Leiter des Evangelischen Publizistischen Zentrums in Westberlin13 Henkys,14 Scharf nahegelegt, seine Einreise in die Hauptstadt der DDR nicht zu einer Prestigefrage zu machen. Flor und Lingner schlugen Scharf vor, während der Zeit der Tagung der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg eine ökumenische Reise zu unternehmen.

Auch der westdeutsche evangelische Militärbischof Kunst15 hat sich schriftlich an Scharf gewandt und ihn darum gebeten, eine Einreise in die Hauptstadt der DDR nicht erzwingen zu wollen. Kunst wies dabei darauf hin, gegenwärtig könnten fast alle kirchlichen Persönlichkeiten in die DDR einreisen; diese Tatsache sei von außerordentlicher Bedeutung, und Scharf solle sie mit seiner Haltung nicht gefährden.

Trotz aller Einwände beharrt Scharf auf sein angebliches Recht auf Einreise in die Hauptstadt der DDR.

Scharf hat sich mit dieser Haltung in der Westberliner Kirchenleitung ziemlich isoliert.

Die CDU/CSU-Linie vertretende Gruppe um Generalsuperintendent Helbich,16 Pfarrer Hasper17 und Polizeivizepräsident Dr. Pfennig18 (Vertreter der Landeskirche Berlin-Brandenburg/West in der Synode der »Evangelischen Kirche der Union«19) beabsichtigt, die Ablehnung der Einreise von Scharf in die Hauptstadt der DDR im Zusammenhang mit der bevorstehenden Wahlsynode (22. bis 25.2.1973 in Westberlin) in der Presse hochzuspielen.20

Mit ihrer Argumentation wollen sie weitere Anhänger gewinnen, um in der Kirchenleitung in Westberlin die Führung zu übernehmen und durchzusetzen zu versuchen, den CDU-Mann Helbich auf der Synode zum Bischof zu wählen. Gerade deshalb sei es nach Ansicht Scharfs wichtig, dass er die Reise in die Hauptstadt der DDR genehmigt bekommt, um sich selbst aufzuwerten und den Beweis zu führen, dass der Verkehrsvertrag zwischen der DDR und der BRD21 bzw. die Vereinbarung mit dem Senat von Westberlin,22 für die er sich selbst eingesetzt habe, zu guten Beziehungen führte.

Im Zusammenhang mit den vorher geschilderten Zusammenhängen könnte es nach Meinung einiger progressiver kirchenleitender Persönlichkeiten der DDR bei der Bischofseinführung am 11.2.1973 in der Marienkirche in der Hauptstadt der DDR zu Protestbekundungen kommen.

Es müsste »einkalkuliert« werden, dass von den Bischöfen Schönherr und Fränkel Bezug auf die Ablehnung der Einreise von Bischof Scharf genommen wird.

Es werden außer den eingeladenen Gästen weitere kirchliche Amtsträger aus der Ökumene oder aus der BRD und Westberlin teilnehmen, die als Touristen jederzeit in die Hauptstadt der DDR einreisen können und die in ihren Grußworten ebenfalls Bezug auf die Abwesenheit von Scharf nehmen können.

Bischof Scharf könnte ein Grußwort überreichen und verlesen lassen.

Sollte es zu Missfallensäußerungen oder Zwischenfällen kommen, wird das die anwesenden westlichen Journalisten veranlassen, in ihren Zeitungen zu berichten.

Es ist damit zu rechnen, dass der Leiter des Evangelischen Publizistischen Zentrums in Westberlin, Henkys, mit Journalisten vom Evangelischen Pressedienst – epd – anwesend ist und sie ständig über den Verlauf der Synode und die Bischofseinführung in der Westberliner Presse berichten.

Es kann während der Bischofseinführung in und vor der Marienkirche zu größeren Menschenansammlungen von Gläubigen und Neugierigen kommen, worüber westliche Journalisten Aufnahmen machen und veröffentlichen würden.

Diese Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt und nicht zur öffentlichen Auswertung geeignet.

  1. Zum nächsten Dokument Raubüberfall auf eine Staatsbürgerin der UdSSR

    10. Februar 1973
    Information Nr. 124/73 über einen Raubüberfall durch unbekannte Täter auf eine Staatsbürgerin der UdSSR am 9. Februar 1973

  2. Zum vorherigen Dokument Brecht-Ehrung im Berliner Ensemble

    8. Februar 1973
    Information Nr. 122/73 über die für den 10. Februar 1973 im Berliner Ensemble vorgesehene Brecht-Ehrung 1973