Reaktionen zur abgelehnten Einreise von Bischof Scharf
23. Januar 1973
Information Nr. 18/73 über die Reaktionen kirchlicher Amtsträger der evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg zur Ablehnung einer offiziellen Einreise von Bischof Scharf/Westberlin in die Hauptstadt der DDR
Dem MfS wurde intern bekannt, dass am 15.12.1972 im Evangelischen Konsistorium in Berlin,1 Neue Grünstraße, zwischen evangelischen leitenden Kirchenpersönlichkeiten der DDR eine streng vertrauliche Beratung durchgeführt wurde, bei der u. a. die Ablehnung der Einreise von Bischof Scharf/Westberlin2 in die Hauptstadt der DDR auf der Tagesordnung stand.
An dieser Beratung nahmen teil:
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Bischof Schönherr/Berlin,3
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Propst Schröter/Berlin,4
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Generalsuperintendent Schmitt/Berlin,5
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Generalsuperintendent Lahr/Potsdam,6
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Generalsuperintendent Hanse/Eberswalde.7
(Das Konsistorium der Landeskirche Berlin-Brandenburg in der Hauptstadt der DDR hatte Bischof Scharf zur Verabschiedung des in den Ruhestand tretenden Generalsuperintendenten Jacob/Cottbus8 offiziell eingeladen. Aufgrund dieser schriftlichen Einladung hatte Scharf bei dem für ihn zuständigen Büro für Besuchs- und Reiseangelegenheiten der DDR in Westberlin den Antrag auf Einreise in die Hauptstadt der DDR für den 15.12.1972 gestellt und9 einen ablehnenden Bescheid bekommen.)
Die Teilnehmer der internen Beratung brachten hierzu Folgendes zum Ausdruck:
Die Einladung sei erfolgt, weil Bischof Scharf mit Generalsuperintendent Jacob sehr verbunden sei durch jahrelange Zusammenarbeit in der Bekennenden Kirche.10 Da es sich bei der Verabschiedung Jacobs nicht um eine kirchenpolitische Aktion, sondern um eine freundschaftliche Zusammenkunft im Hotel »Hospiz«11 handele, habe man mit der Genehmigung der Einreise gerechnet und hätte diese als eine »Geste guten Willens« seitens der Staatsorgane der DDR gewertet.
Gleichzeitig habe man testen wollen, wieweit die staatlichen Organe der DDR bereit sind, den Wünschen der Kirchen zu entsprechen.
Es hätte bereits Pläne und Arbeitsvorlagen gegeben, die Amtseinführung Schönherrs als Bischof der Landeskirche Berlin-Brandenburg in der DDR, die Anfang Februar 1973 erfolgen soll, durch Bischof Scharf vornehmen zu lassen. Aufgrund der jetzigen Ablehnung wolle man jedoch davon Abstand nehmen. Die Amtseinführung solle nun der dienstälteste Bischof Fränkel/Görlitz12 durchführen.13 Schönherr äußerte, dass er jetzt keinen Mut mehr habe, die Behörden der DDR in Bezug auf einen erneuten Antrag zur Einreise von Scharf »anzubetteln«.
Die Teilnehmer der Beratung sprachen die Vermutung aus, dass seitens der DDR mit der verfügten Ablehnung die Aktivitäten von Generalsuperintendent Helbich/Westberlin,14 der in der Westberliner Kirchenleitung die Interessen der CDU vertritt, »vergolten« werden. Helbich hätte sich zu vordergründig und aktiv für die Aufrechterhaltung der »Einheit« der Landeskirche Berlin-Brandenburg eingesetzt.
Mit der Ablehnung der Einreise von Scharf würden aber auch die reaktionären Kräfte in der Landeskirche in ihrer Meinung bestärkt werden, dass die Staatsorgane der DDR durchaus nicht an einem guten Verhältnis mit der Kirche interessiert seien. Schönherr erklärte in diesem Zusammenhang, er habe viele Briefe von Pfarrern der Landeskirche erhalten, in denen ihm der Vorwurf gemacht werde, dass er sich zu sehr mit dem Staat liiere. So hätte man auch seine Reise nach England gesehen, wo er die außenpolitischen Interessen der DDR voll vertreten habe.15
Alle Anwesenden, ausgenommen Generalsuperintendent Jacob, vertraten die Meinung, dass Schönherr in Bezug auf die Bereitwilligkeit des Staates gegenüber den Kirchen »viel zu optimistisch« sei. Er wurde angehalten, »realistischere Positionen« einzunehmen, da vom Staat in keiner Weise ein Entgegenkommen zu erwarten sei.
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