Rowdyhafte Handlungen gegenüber einem polnischen Bürger
23. August 1973
Information Nr. 848/73 über rowdyhafte Handlungen mit Körperverletzung und pflichtwidriges Verhalten gegenüber einem polnischen Bürger am 11. August 1973
Am 11.8.1973 suchten die zeitweilig in der DDR beschäftigten polnischen Staatsbürger [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1953 und [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1936, beide wohnhaft Berlin-Niederschöneweide, [Straße, Nr.], beide tätig im Getränkekombinat Berlin, Brauerei Bärenquell, Berlin-Niederschöneweide, Schnellerstraße 137, die HO-Gaststätte »Lindenschenke« in Berlin-Johannisthal auf, wo sie Mittagessen einnahmen und ein Bier tranken. Nach Aussagen des bedienenden Kellners benahmen sie sich dabei korrekt. Nachdem sie die Zeche bezahlt hatten, kauften sie an der Theke der Gaststätte jeder eine Flasche Wein.
Dabei strich [Name 1] einer vor ihm stehenden DDR-Bürgerin über den Rücken, was diese sich mit einer kurzen Bemerkung verbat. Ohne Auseinandersetzung verließ diese anschließend in Begleitung ihres Verlobten die Gaststätte.
Unabhängig davon ging daraufhin der mit einem Bekannten an der Theke sitzende [Name 3, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1952, wohnhaft Berlin-Niederschöneweide, [Straße, Nr.], zuletzt beschäftigt als Hilfsverkäufer in einer Farbenhandlung, im April 1971 wegen unbefugter Benutzung von Kfz zu acht Monaten Freiheitsentzug mit Bewährung verurteilt, gegen den polnischen Bürger [Name 1] tätlich vor. [Name 1], der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, versuchte vergeblich, den [Name 3] zu beruhigen.
Letzterer drängte den polnischen Bürger aus dem Lokal und versetzte diesem mehrere Faustschläge ins Gesicht, bis er bewusstlos zusammenbrach.
Der polnische Bürger [Name 2], der schlichtend eingreifen wollte, wurde von [Name 3] ebenfalls tätlich angegriffen. Auf Drängen des Bürgers [Name 2] wurden ein Rettungswagen sowie ein Funkstreifenwagen der DVP gerufen.
Der polnische Bürger [Name 1] wurde durch den Rettungswagen zum Achenbach-Krankenhaus Berlin-Köpenick1 transportiert, wo der diensthabende Oberarzt [Name 4] die Bewusstlosigkeit des [Name 1] laut Eintragung als Volltrunkenheit diagnostizierte.
Der Beschuldigte [Name 3] war zwischenzeitlich mit dem polnischen Bürger [Name 2] zwecks Klärung des Sachverhaltes der VP-Inspektion Berlin-Treptow zugeführt worden, wo die Straftat des [Name 3] – basierend auf einer telefonischen Mitteilung des Achenbach-Krankenhauses, wonach [Name 1] keine Verletzungen aufweise – lediglich als Ordnungswidrigkeit qualifiziert wurde.
Obwohl der inzwischen durch die DVP herbeigerufene polnische Betreuer [Name 5] bei der Volkspolizei und am gleichen Tage auch beim diensthabenden Arzt im Achenbach-Krankenhaus intervenierte, dass die Bewusstlosigkeit des [Name 1] nicht auf Alkoholgenuss zurückzuführen sei, wurde sein Antrag auf Blutalkoholuntersuchung von einem Mitarbeiter der VP-Inspektion Berlin-Treptow mit der Begründung abgelehnt, eine Blutalkoholanalyse sei zu kostspielig.
Trotzdem [Name 5] das Übernehmen der Kosten anbot, wurde keine derartige Untersuchung eingeleitet.
Der Beschuldigte [Name 3] wurde infolge des Fehlverhaltens der beteiligten Organe am 11.8.1973, gegen 20.00 Uhr, ohne Einleitung strafrechtlicher Maßnahmen und ohne schriftliche Vernehmung oder Befragung entlassen.
Es wurde lediglich die vor dem Vorkommnis in der Gaststätte anwesende DDR-Bürgerin befragt, die bestätigte, von [Name 1] gestreichelt worden zu sein, ohne dass es deshalb zu Auseinandersetzungen gekommen sei.
Am 12.8.1973, gegen 11.00 Uhr, suchte der Betreuer [Name 5] seinen Landsmann im Krankenhaus auf und stellte Lähmungserscheinungen rechtsseitig und Sprachstörungen fest, die jedoch vom Diensthabenden [Name 6] als »Simulieren« eingeschätzt wurden.
Am 13.8.1973 wurde [Name 1] auf erneutes Drängen von [Name 5] und der deutschen Betreuerin der polnischen Gruppe, [Name 7], in die neurologische Klinik der Charite zur Spezialbehandlung verlegt.
Durch das Institut für gerichtliche Medizin wird eindeutig eingeschätzt, dass es sich bei den gegenwärtig unvermindert anhaltenden Lähmungserscheinungen und zentralen Sprachstörungen des polnischen Bürgers [Name 1] keinesfalls um alkoholbedingte Störungen, sondern um die Folgen einer Gewalteinwirkung auf den Schädel handelt, die zu linksseitig im Gehirn liegenden Gewebeschädigungen geführt hat.
In Anbetracht der gesamten Tatumstände wurde auf Veranlassung des MfS durch die DVP am 17.8.1973 gegen [Name 3] ein Ermittlungsverfahren wegen dringenden Verdachts des Rowdytums und schwerer vorsätzlicher Körperverletzung eingeleitet und am 18.8.1973 durch das Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte Haftbefehl erlassen.
Entsprechende Maßnahmen zur Persönlichkeitsaufklärung des Beschuldigten und zur Herausarbeitung dessen Beweggründe und der gesamten Tatumstände sind eingeleitet.
Gegenwärtig wird geprüft, warum eine ungenügende Aufklärung des Sachverhalts sowie eine sofortige Einleitung strafrechtlicher Maßnahmen gegen [Name 3] unterblieben sind.
Im Zusammenwirken mit dem Institut für gerichtliche Medizin wird ein Gutachten erarbeitet, mit dem Ziel zu prüfen, inwieweit eine ärztliche Pflichtverletzung im strafrechtlichen Sinne vorliegt.
Ein entsprechender Protest des Generalstaatsanwaltes von Groß-Berlin an den Stadtrat für Gesundheits- und Sozialwesen, Prof. Dr. Schorr,2 und Mitteilungen an den Oberbürgermeister der Hauptstadt sowie den Minister für Gesundheitswesen sollen zur Veränderung der unverantwortlichen Arbeitsweise des Städtischen Krankenhauses Köpenick beitragen.