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Schadensanfälle an 100-MW-Generatoren

11. Januar 1973
Information Nr. 30/73 über die Ursachen von Schadensfällen an 100-MW-Generatoren des VEB Bergmann-Borsig/Berlin

Im VEB Kraftwerk Lübbenau-Vetschau1 traten im Zeitraum von 1964 bis 1971 insgesamt 22 Schäden an 18 Induktoren (drehender Teil des Generators) der 100-MW-Generatoren auf.

Der unmittelbar entstandene Sachschaden an den Aggregaten beträgt ca. 1,5 Mio. Mark, während der als Folgeschaden dadurch entstandene Leistungsausfall in Höhe von insgesamt 537 800 MWh/537,8 Mio. Mark ausmacht.

Die durch eine Expertenkommission in Zusammenarbeit mit dem MfS durchgeführten Untersuchungen ergaben, dass die Schäden an den 100-MW-Generatoren durch Brüche der Schleifringzuleitungen an den Induktoren entstanden. Ursächlich für das Auftreten der Brüche waren Schwingungen des Induktionskörpers der Generatoren.

Wie weiter festgestellt wurde, sind die 100-MW-Generatoren im VEB Bergmann-Borsig Berlin unter Leitung des ehemaligen Chefkonstrukteurs [Name 1] in den Jahren 1958 bis 1960 entwickelt worden. Aufgrund der damaligen Bedingungen (u. a. äußerst geringe Entwicklungszeiten) erfolgte der Einsatz dieses Generatortyps ohne längere Erprobungszeit.

Die Entwicklung und Konstruktion des 100-MW-Generators erfolgte auf der Grundlage vorliegender Erfahrungswerte bei der Fertigung von 50-MW-Generatoren.

Ein wesentliches Problem bei der Entwicklung des 100-MW-Generators beinhaltete die konstruktive Lösung der Schleifringzuleitung. (Die Schleifringzuleitung stellt die Verbindung zwischen der Wicklung des Induktors und den Schleifringen auf der Welle des Generators her. Sie hat die Aufgabe, die von der Erregermaschine erzeugte Spannung von den Schleifringen abzunehmen und dem Induktor zuzuführen.)

Bereits 1964 traten die ersten Schleifringzuleitungsbrüche auf, die jeweils Erdschlüsse und Flammbogen hervorriefen und Verschmelzungen zur Folge hatten.

So musste z. B. in einigen Fällen, bei denen der Flammbogen einen Eisenbrand an der Welle des Läufers verursachte, der gesamte Generator demontiert und mit einem neuen Induktor versehen werden. (Entsprechend dem Umfang betrugen die Reparaturzeiten zwei bis sechs Monate und die Kosten zwischen 100 000 Mark und eine Mio. Mark je Schadensfall.)

Der seit 1965 im VEB Bergmann-Borsig eingesetzte Chefkonstrukteur [Name 2] unternahm einige Anstrengungen zur Klärung und Beseitigung der Schleifringzuleitungsbrüche, so u. a. in der Ausarbeitung neuer Varianten der konstruktiven Ausführung der Schleifringzuleitung, ohne jedoch entscheidende Veränderungen damit zu erreichen. Es traten laufend neue Schadensfälle auf, mehrfach sogar an den gleichen Maschinen.

Im weiteren Verlauf der Untersuchungen wurde festgestellt, dass die ungenügende konstruktive Lösung des Problems auf unzureichende Erfahrung und fehlende Qualifikation der Verantwortlichen im Generatorenbau zurückzuführen war, dieser Personenkreis aber auch nicht intensiv genug nach Lösungswegen suchte. Oftmals ließen sie nur die eigene Meinung gelten und negierten Meinungen anderer Experten. Auch die Hinweise und Vorschläge von Produktionsarbeitern wurden häufig von diesen Fachleuten übergangen bzw. verworfen.

Durch die Werktätigen des Generatorenbaus gelang es mit Unterstützung des MfS das Problem der konstruktiven Gestaltung der Schleifringzuleitung durch die Realisierung eines Verbesserungsvorschlages des Arbeiters [Name 3]2 einer befriedigenden Lösung zuzuführen.

Der Neuerer [Name 3] hatte aufgrund seiner Feststellungen bei der Reparatur havarierter Induktoren vorgeschlagen, die Schleifringzuleitung an einer Stelle aus der Welle herauszuführen, wo die Schwingungen geringer sind (am sogenannten Polkern), die Bogenausführung der Leitung bis zum Spulenanschluss flexibel zu gestalten, d. h. Kupferbänder statt des massiven Kupferstabes zu verwenden.

Die verantwortlichen Mitarbeiter der Abteilung Konstruktion hatten aufgrund ihrer vorgenannten Einstellung zu Arbeitervorschlägen den Vorschlag von [Name 3] wohl entgegengenommen, jedoch die erforderlichen Nachrechnungen äußerst schleppend durchgeführt.

Im Verlaufe der eingeleiteten Maßnahmen zur Durchsetzung des Neuerervorschlages von [Name 3] wurden bisher Schleifringzuleitungen an vier Induktoren eingebaut, die bisher einwandfrei funktionieren. Seit diesem Zeitpunkt sind keine diesbezüglichen Schadensfälle aufgetreten.

[Name 3] wurde nachträglich – im Oktober 1972 – mit einer hohen Prämie geehrt.3

In der Konstruktion und in der AG Schadensforschung wurde inzwischen ein neues Verfahren zur Untersuchung von Schadensfällen entwickelt und eingeführt.

  1. Zum nächsten Dokument Bericht über einen Neuerer im VEB Bergmann-Borsig

    [ohne Datum]
    Information Nr. 83/73 über Ursachen von Schadensfällen an 100-MW-Generatoren des VEB Bergmann-Borsig

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    11. Januar 1973
    Information Nr. 29/73 über die Selbsttötung eines Offiziers der Nationalen Volksarmee