Direkt zum Seiteninhalt springen

Schriftsteller-Zusammenkunft in der englischen Botschaft

28. September 1973
Information Nr. 980/73 über Aktivitäten des freischaffenden Schriftstellers Stefan Heym zur Organisierung einer Zusammenkunft mit anderen Literaturschaffenden der DDR in der englischen Botschaft in der Hauptstadt der DDR

Dem MfS wurde intern bekannt, dass sich Stefan Heym1 gegenwärtig aktiv für eine Zusammenkunft mit anderen Literaturschaffenden der DDR in der englischen Botschaft in der Hauptstadt der DDR einsetzt.

In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass Stefan Heym von der englischen Botschaft in der Hauptstadt der DDR eine Einladung »zu einer kleinen Feier mit einem kleinen Essen« für Ende des Monats September 1973 erhielt. Gleichzeitig wurde er aufgefordert, nach eigenem Ermessen noch sechs bis sieben weitere DDR-Schriftsteller mitzubringen, wobei diese Schriftsteller möglichst in England schon bekannt bzw. deren literarische Arbeiten dort bereits verlegt worden sein sollen.

Heym setzte sich unmittelbar nach Erhalt der Einladung mit dem Schriftsteller Stephan Hermlin2 in Verbindung, der sofort zusagte, an dieser Feier teilzunehmen.

Mit Hermlin beriet Heym, wen man weiter mit zu diesem »Essen« in die englische Botschaft nehmen könnte. Beide einigten sich, nachfolgende DDR-Schriftsteller anzusprechen:

Prof. Heinz Kamnitzer,3 Günter Kunert,4 Peter Hacks,5 Wolf Biermann,6 Jurek Becker7 und Christa Wolf8 mit Ehemann. Der Schriftsteller Hermann Kant9 wurde für ungeeignet befunden. Außerdem soll Georg Knepler,10 Professor der Musikwissenschaften, als Teilnehmer dieses Zusammentreffens gewonnen werden.

Heym beabsichtigte, in dieser Angelegenheit ein Gespräch mit dem Minister für Kultur zu führen, den er darüber informieren wollte, dass eine Einladung von der englischen Botschaft für ein Essen vorliege. Er wollte sich bei diesem Gespräch die Sanktionierung der offiziellen Teilnahme durch den Minister für Kultur bestätigen lassen.

Hermlin und Heym waren sich jedoch darüber einig, dass sie sich in keiner Form durch den Minister für Kultur »hineinreden lassen« wollen, wen sie mit in die englische Botschaft nehmen.

Stefan Heym war erst kürzlich als Initiator und Verleger für die Herausgabe einer Anthologie von DDR-Prosa im Kindler Verlag München/BRD in Erscheinung getreten.11 (Siehe Information Nr. 965/73 vom 18.9.1973)

Diese Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt und darf wegen Quellengefährdung auf keinen Fall öffentlich ausgewertet werden.

  1. Zum nächsten Dokument Grenzüberschreitender Verkehr August 1973

    28. September 1973
    Information Nr. 983/73 über den Umfang des grenzüberschreitenden Verkehrs im Monat August 1973
  2. Zum vorherigen Dokument Verhinderte Ausschleusung eines Ehepaars mit drei Kindern

    25. September 1973
    Information Nr. 982/73 über die Verhinderung der Ausschleusung von fünf DDR-Bürgern (ein Ehepaar und drei Kinder) in die BRD

  1. Stefan Heym, Jg. 1913, Schriftsteller, 1933 Emigration in die ČSR, 1937–39 Chefredakteur des »Deutschen Volksechos« in New York, ab 1943 Angehöriger der US Army, 1952 Übersiedlung in die DDR, ab 1953 Mitglied des PEN-Zentrums Ost und West. 1953–56 Kolumnist der »Berliner Zeitung«, Vorstandsmitglied des Deutschen Schriftstellerverbandes, 1979 Ausschluss aus dem Schriftstellerverband und fortan Erstveröffentlichung seiner Bücher in der Bundesrepublik, 1994–96 MdB und Alterspräsident des Deutschen Bundestages.

  2. Stephan Hermlin, Jg. 1915, Schriftsteller, ab 1931 Mitglied des Sozialistischen Schülerbundes Berlin und KJVD, 1936 Emigration u. a. nach Ägypten, Palästina, England, Paris und der Schweiz, 1940–43 Hilfssoldat und Internierung, 1945 Rückkehr nach Deutschland, Rundfunkredakteur in Frankfurt/Main, 1947 Übersiedlung nach Berlin und SED-Beitritt, Mitarbeiter der Zeitschriften »Ulenspiegel« und »Aufbau«, ab 1947 freischaffender Schriftsteller, ab 1948 Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland, 1950–63 Vizepräsident des Deutschen Schriftstellerverbandes, 1952–63 Sektionssekretär in der DAK, 1962–90 Präsidiumsmitglied des PEN-Zentrums Ost, engagiert sich in DDR gegen zu scharfe Zensurpraxis, ab 1975 Vizepräsident des internationalen PEN-Zentrums, 1990 PDS-Beitritt, Vizepräsident der AdK Ost.

  3. Heinz Kamnitzer, Jg. 1917, Schriftsteller, ab 1931 Mitglied Sozialistischer Schülerbund, 1933 Haft, 1933–46 Emigration nach England (zwischenzeitlich 1935/36 Lehrling und Hilfsarbeiter in Palästina und 1940/41 Internierung in Kanada), ab 1936 Journalist, 1938–40 und ab 1945 KPD-Mitglied, ab 1939 Geschäftsführung des »I.N.G.«-Verlages in London, 1939/40 Chefredakteur von »Inside Nazi Germany«, 1942–46 Redakteur der Zeitung »Petroleum Press Service«, 1946 Rückkehr nach Deutschland und SED-Beitritt, ab 1947 Dozent an der HU Berlin, 1950 Promotion, 1950–54 Geschichtsprofessur, 1952–54 Direktor des Instituts für Geschichte des deutschen Volkes und Dekan an der HU Berlin, 1953–55 Herausgeber der »Zeitschrift für Geschichtswissenschaft«, ab 1955 freischaffender Schriftsteller, ab 1958 Mitglied des PEN-Zentrums Ost und West, 1967–70 Vizepräsident des PEN-Zentrums Ost, 1970–89 ebenda Präsident.

  4. Günter Kunert, Jg. 1929, Schriftsteller, ab 1947 freischaffender Schriftsteller, 1949–77 SED, ab 1965 Mitglied des PEN-Zentrums, 1972/73 Gastprofessur in Texas/USA, 1976–92 Mitglied der AdK Westberlin, 1979 Ausreise in die Bundesrepublik.

  5. Peter Hacks, Jg. 1928, Schriftsteller, 1951 Promotion, 1951–55 freischaffender Schriftsteller in München, 1955 Übersiedlung nach Ostberlin, ab 1955 Dramaturg am Berliner Ensemble, 1960–63 Dramaturg am Deutschen Theater Berlin, ab 1964 Präsidiumsmitglied des PEN-Zentrums, 1972–91 DAK-Mitglied (ab 1974 AdK), ab 1963 freischaffender Schriftsteller.

  6. Wolf Biermann, Jg. 1936, Liedermacher, 1953 Übersiedlung in die DDR, 1957–59 Schauspielschüler am Berliner Ensemble, 1961–63 Aufbau des Arbeiter- und Studententheaters »b.a.t.« in Berlin (Verbot), ab 1963 freischaffender Liedermacher, ab 1964 mehrere Gastspielaufenthalte in der Bundesrepublik, ab 1965 Veröffentlichung von Liedern, Gedichten und Büchern in der Bundesrepublik und vollständiges Auftritts- und Publikationsverbot in der DDR, 1976 Ausbürgerung und Übersiedlung nach Hamburg.

  7. Jurek Becker, Jg. 1937, Schriftsteller, aufgewachsen im Ghetto Łódź, KZ Ravensbrück und Sachsenhausen, 1957 SED-Beitritt, 1962–70 DEFA-Drehbuchautor, ab 1970 freiberuflicher Schriftsteller in Ostberlin, 1977 Austritt aus dem Schriftstellerverband und SED-Ausschluss, 1977 Übersiedlung nach Westberlin, ab 1977 Gastprofessuren in den USA sowie in Essen und Augsburg.

  8. Christa Wolf, Jg. 1929, Schriftstellerin, 1945 Aussiedlung von Oberschlesien nach Mecklenburg, 1949–89 SED-Mitglied, 1953–55 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Schriftstellerverbandes, 1958/59 Redakteurin der Zeitschrift »Neue Deutsche Literatur«, 1959–62 freischaffende Lektorin am Mitteldeutschen Verlag in Halle, ab 1962 freischaffende Schriftstellerin, 1963–67 ZK-Kandidatin, ab 1965 Mitglied des PEN-Zentrums Ost und West, 1974–93 AdK-Mitglied, ab 1978 Gastvorlesungen in Westeuropa und den USA, 1981–93 Mitglied der AdK West, 1983 Ehrendoktorin an der Ohia State University und 1985 an der Universität Hamburg.

  9. Hermann Kant, Jg. 1926, Schriftsteller, Wehrmacht, 1945–49 Kriegsgefangenschaft, 1949 SED-Beitritt, 1956/57 wissenschaftlicher Assistent am germanistischen Institut der HU Berlin, ab 1959 freischaffender Schriftsteller, 1959–62 zugleich Mitarbeiter der Zeitschrift »Neue Deutsche Literatur«, 1964–91 Mitglied des PEN-Zentrums Ost und West, ab 1969–78 Vizepräsident der DAK (ab 1974 AdK), 1974–79 Mitglied der SED-Bezirksleitung Berlin, 1978–90 Präsident des Schriftstellerverbandes, 1981–90 Abgeordneter der Volkskammer, 1986–89 Mitglied des ZK der SED.

  10. Georg Knepler, Jg. 1906, österreichischer Musikwissenschaftler und Pianist, ab 1929 Korrepetitor und Kapellmeister der Wiener Volksoper, des Wiener Stadttheaters sowie an Theatern in Mannheim und Wiesbaden, 1928–31 pianistischer Begleiter von Karl Kraus, 1931–33 tätig in Berlin u. a. mit Bertolt Brecht und Hanns Eisler, 1933 Rückkehr nach Wien, 1934 KPÖ-Beitritt sowie Inhaftierung und Emigration nach England, 1946 Rückkehr nach Österreich und KPÖ-Kulturreferent in Wien, 1949 Übersiedlung in die DDR und SED-Beitritt, 1950–59 Gründung und Leitung der »Hochschule für Musik« in Berlin, 1959–70 Professur und Leitung des Musikwissenschaftlichen Instituts der HU Berlin.

  11. Eine Veröffentlichung der Anthologie konnte nicht ermittelt werden.