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Schusswaffengebrauch bei verhindertem Grenzübertritt

7. Februar 1973
Information Nr. 117/73 über die Verhinderung eines ungesetzlichen Grenzübertrittes DDR – Westberlin durch Anwendung der Schusswaffe am 6. Februar 1973

Bemerkung: Ein Exemplar als Reserveexemplar im Verteiler ausgewiesen, hier nicht mit aufgenommen.

Am 6.2.1973, gegen 19.55 Uhr, wurde in Berlin-Mitte im Bereich der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße unter Anwendung der Schusswaffe durch Angehörige der Grenztruppen der NVA der DDR-Bürger [Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1950 Beruf Teilschlosser, zuletzt Klempner beim VEB Fahlberg-List Magdeburg,1 wohnhaft Magdeburg-Fermersleben, [Straße, Nr.], am Grenzdurchbruch nach Westberlin gehindert und durch Mitarbeiter der Passkontrolleinheit des MfS2 festgenommen.

Bei der von Angehörigen der Passkontrolleinheit des MfS der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße durchgeführten Festnahme des Grenzverletzers wurde der Genosse Unterleutnant [Name 2] am linken Oberarm durch einen Weichteildurchschuss verletzt.

Gegen [Name 1] wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehl erwirkt.

Die bisherigen Untersuchungen des MfS ergaben:

[Name 1] entstammt einer Arbeiterfamilie und wuchs in geordneten Familienverhältnissen auf.

Nach dem Besuch der Grundschule erlernte er bis 1966 im Schwermaschinenbaukombinat »Karl Liebknecht« Magdeburg den Beruf eines Teilschlossers und war dort als solcher bis 1968 tätig. Von 1968 bis Februar 1972 arbeitete er als Plastschweißer im VEB Technische Gebäudeausrüstung Magdeburg. Seit Februar 1972 ist der [Name 1] als Klempner im VEB Fahlberg-List in Magdeburg tätig.

Von 1967 bis 1970 war [Name 1] viermal wegen Körperverletzung, Eigentumsdelikten und Sachbeschädigung vorbestraft.

Er hinterlässt einen geistig primitiven Eindruck.

Gesellschaftlich war [Name 1] stets inaktiv und bezieht eine die Verhältnisse in der DDR teilweise ablehnende Haltung.

Seinen bisherigen Aussagen zufolge will er sich am 5.2.1973 wegen eines Streits mit seiner Freundin zum ungesetzlichen Grenzübertritt nach Westberlin entschlossen haben.

Zur Durchführung dieses Vorhabens fuhr er am 6.2.1973 mit der Eisenbahn von Magdeburg nach Berlin-Schöneweide und begab sich in den Bereich Berlin-Mitte, Friedrichstraße, welchen er von 1969/70 aus einem kurzzeitigen Aufenthalt als Außenmonteur des VEB Technische Gebäudeausrüstung Magdeburg in der Hauptstadt der DDR kannte.

Unter Ausnutzung der Dunkelheit drang er gegen 18.30 Uhr in das Gelände des »Union«-Verlages in der Nähe der Reinhold-Huhn-Straße3/Charlottenstraße ein. Nachdem er von einem an die Sicherungsanlagen angrenzenden flachen Gebäude den Grenzverlauf und den Standort der Sicherungskräfte beobachtet hatte, sprang er von einer dort befindlichen Sperrmauer in den Grenzsicherungsbereich und löste dabei die Signalanlage aus.

Daraufhin eröffneten die auf dem Postenturm Charlottenstraße eingesetzten Grenzsicherungskräfte der NVA sowie ein weiteres in diesem Bereich eingesetztes Postenpaar das Feuer auf den Grenzverletzer.

Daraufhin bewegte sich [Name 1] in Richtung des Bereiches der Grenzübergangsstelle mit dem Ziel, die dort befindliche Grenzmauer zu überwinden. Er gelangte dabei in den zum Territorium der Grenzübergangsstelle gehörenden Bereich, wo er vom Postenturm der Grenztruppen der NVA im Bereich der Grenzübergangsstelle gleichfalls beschossen wurde.

Nachdem sich [Name 1] in der Nähe der Sperrmauer niederlegte, verließen die auf diesem Postenturm eingesetzten Grenzsicherungskräfte denselben, um entsprechend dem Befehl ihrer ordnungsgemäß verständigten Vorgesetzten den Grenzverletzer zu bergen.

Zum gleichen Zeitpunkt näherten sich dorthin zwei Mitarbeiter der Passkontrolleinheit sowie der Kommandant der Grenzübergangsstelle zur Festnahme des [Name 1].

Eine telefonische Verständigung bzw. Abstimmung dieses Vorgehens mit dem zur Bergung befohlenen Postenpaar scheiterte, da dieses den Postenturm bereits verlassen hatte.

Die zwei Mitarbeiter der Passkontrolleinheit gelangten als erste zu dem Grenzverletzer und nahmen diesen fest. Nachdem beide den Täter etwa zehn Meter in Richtung Hinterland abgeführt hatten, gab der Soldat [Name 3] aus etwa 50 Meter Entfernung zwei Feuerstöße mit seiner Maschinenpistole auf diese Gruppe ab, wobei ein Mitarbeiter der Passkontrolleinheit verletzt wurde.

Er wurde unverzüglich medizinisch versorgt und im VP Krankenhaus zur Wundheilung stationär untergebracht. Nach Einschätzung des Arztes handelt es sich um einen Weichteildurchschuss, der keine weiteren Komplikationen hervorrief.

In der Befragung gab Soldat [Name 3] an, dass er aufgrund Unerfahrenheit, gesteigerter Nervosität und seiner ersten Konfrontation mit einem Grenzdurchbruchversuch die den Grenzverletzer begleitenden beiden Personen als Gehilfen des Grenzverletzers betrachtete.

Die bisherigen Untersuchungen und die Rekonstruktion des Handlungsablaufes erbrachten keine Hinweise auf bewusste feindliche Zielsetzung dieses Postenführers.

Soldat [Name 3] leistet seit Ende Oktober 1972 aktiven Grenzdienst und wurde am 6.2.1973 erstmals zum Dienst in diesem Grenzabschnitt eingesetzt.

Von den Grenzsicherungskräften der NVA wurden insgesamt 55 Schuss abgegeben. Ein Querschläger dieser Schüsse hat ein Fenster der Wohnung der Familie [Name 4] in Berlin-Mitte, Mauerstraße 89, durchschlagen.

Die bisherigen Ergebnisse der Rekonstruktion des verhinderten Grenzdurchbruchs unter Anwendung der Schusswaffe schließen nicht aus, dass unter den gegebenen Umständen während der Feuerführung der Grenzsicherungskräfte auch Geschosseinschläge ohne Personen- und Sachschaden auf Westberliner Territorium verursacht wurden. Auf Westberliner Gebiet befand sich zu diesem Zeitpunkt ein Posten der US-Militärpolizei. Nach der Festnahme des Grenzverletzers erschienen auf Westberliner Seite drei Zivilpersonen.

Provokatorische Handlungen erfolgten nicht.

Der grenzüberschreitende Verkehr über die Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße wurde durch das Vorkommnis nicht beeinträchtigt.

Die Untersuchungen des MfS zur umfassenden Aufklärung der Ursachen und Motive des versuchten Grenzdurchbruches sowie der Täterpersönlichkeit werden weitergeführt.

In Auswertung der im Zusammenhang mit der Festnahme des Grenzverletzers festgestellten Mängel im Zusammenwirken der Sicherungskräfte werden umgehend gemeinsam mit dem MfNV entsprechende Maßnahmen zur Ausschließung derartiger Vorfälle festgelegt.

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    Information Nr. 122/73 über die für den 10. Februar 1973 im Berliner Ensemble vorgesehene Brecht-Ehrung 1973

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