Selbsttötung eines NVA-Offiziers
11. Januar 1973
Information Nr. 29/73 über die Selbsttötung eines Offiziers der Nationalen Volksarmee
Am 31.12.1972, gegen 13.30 Uhr, wurde im Neubaugebiet Karl-Marx-Stadt, Bersarinstraße, der Offizier der NVA, Oberstleutnant [Name, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1916, wohnhaft Karl-Marx-Stadt, [Straße, Nr.], NVA seit [Tag, Monat] 1948, Oberoffizier für Treib- und Schmierstoffe im Wehrbezirkskommando (WBK) Karl-Marx-Stadt, vor dem im Bau befindlichen Wohnblock 38 auf dem Schotterbett eines Baukranes tot aufgefunden.
Die durch das MfS geführten Untersuchungen ergaben:
Oberstleutnant [Name] verließ am 31.12.1972, gegen 11.30 Uhr, in Zivilkleidung seine Wohnung und äußerte gegenüber seiner Ehefrau spazieren gehen zu wollen.
Entsprechend der Spurenlage betrat [Name] den im Bau befindlichen, nicht verschlossenen Wohnblock 38 und stürzte sich aus dem Fenster einer Wohnung im sechsten Stockwerk. Die Fallhöhe betrug ca. 20 Meter. Neben der Leiche wurde die Armbanduhr des [Name] gefunden, die stehengeblieben war und eine Zeit von 12.15 Uhr anzeigte.
Die Sektion der Leiche ergab als Todesursache Rupturen lebenswichtiger Organe und mehrfache Knochenbrüche. Es wurden keine Feststellungen getroffen, die auf das Vorliegen eines Verbrechens hindeuten.
Im Ergebnis dieser Umstände ist einzuschätzen, dass sich [Name] am 31.12.1972, gegen 12.15 Uhr, in Selbsttötungsabsicht aus dem Fenster des Neubaublocks stürzte.
Hinsichtlich des Motivs wurde festgestellt, dass die Familienverhältnisse des [Name] seit Jahren zerrüttet sind, für die ursächlich das rechthaberische und streitsüchtige Verhalten und Auftreten der Ehefrau des [Name] beurteilt wird.
Seitens des WBK wurden wiederholt mit [Name], dessen Ehefrau und Sohn Aussprachen geführt, um eine Normalisierung der Familienverhältnisse zu erreichen, was jedoch offensichtlich ohne Erfolg blieb. Am 28.12.1972 erschien [Name] nicht zum Dienst.
Im Ergebnis eingeleiteter Überprüfungen wurde [Name] in den Vormittagsstunden des 29.12.1972 in seiner Wohnung im tiefen Schlaf aufgefunden und im Ergebnis der durch den herbeigerufenen Bezirksmilitärarzt vorgenommenen Untersuchung und weiteren Überprüfung festgestellt, dass [Name] eine starke Überdosis Schlaftabletten und andere Medikamente eingenommen hatte. Im Ergebnis der medizinischen Betreuung durch den Bezirksmilitärarzt erwachte [Name] in den Abendstunden des 29.12.1972 wieder, wobei er sinngemäß äußerte »ich lebe ja noch«.
Aufgrund dessen ist anzunehmen, dass [Name] bereits zu diesem Zeitpunkt Selbsttötung begehen wollte.
Durch das WBK Karl-Marx-Stadt wurde als Sofortmaßnahme die Dienstwaffe des [Name] eingezogen und er am 30.12.1972 vom Dienst befreit. Der Ehefrau war eine verstärkte Beaufsichtigung des [Name] empfohlen worden.
Weitere Maßnahmen des WBK Karl-Marx-Stadt zur Untersuchung der Ursachen, Motive und Anlässe dieses Selbsttötungsversuches waren für den 2.1.1973 vorgesehen.
Die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben durch [Name] wird als gewissenhaft und zuverlässig eingeschätzt. Für 1973 war aufgrund seiner langjährigen Zugehörigkeit zur NVA und seines Alters vorgesehen, ihn in die Reserve zu versetzen.