Direkt zum Seiteninhalt springen

Straftaten gegen den Industriezweig Technisches Glas (1)

17. Mai 1973
Information Nr. 417/73 über aufgedeckte feindliche Aktivitäten gegen den Industriezweig Technisches Glas der DDR

Durch das MfS werden gegen die Personen Rudolph, Wilhelm,1 geboren [Tag, Monat] 1927, wohnhaft 114 Berlin-Biesdorf, [Straße, Nr.], ehemaliger stellvertretender Generaldirektor im VE AHB Glas-Keramik, Mitglied der SED, Schneider, Erich,2 geboren [Tag, Monat] 1921, wohnhaft 113 Berlin, [Straße, Nr.], ehemaliger Direktor für Industrie im VE AHB Glas-Keramik Mitglied der SED, Morgenbrodt, Helmut,3 geboren [Tag, Monat] 1928, wohnhaft 6421 Schmiedefeld, [Straße, Nr.], ehemaliger Sonderbeauftragter des Generaldirektors der VVB Technisches Glas,4 Mitglied der SED, Demmler, Werner,5 geboren [Tag, Monat] 1909, wohnhaft 69 Jena, [Straße, Nr.], Okenstraße 38, im VEB Glaswerk Schott & Genossen, Jena,6 Mitglied der SED und [Name, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1936, wohnhaft 1071 Berlin, [Straße, Nr.], ehemaliger Importkaufmann im VE AHB Glas-Keramik, Mitglied der SED, wegen dringenden Verdachts begangener Straftaten gegen die Volkswirtschaft der DDR Ermittlungsverfahren mit Haft durchgeführt.

([Name] fiel unter Amnestieerlass und wurde im Oktober 1972 amnestiert.7)

Die Handlungen der Beschuldigten verfolgten nach bisher vorliegenden Untersuchungsergebnissen das Ziel, die Volkswirtschaft der DDR zu schädigen, indem sie – unabhängig voneinander und im Sinne einer im Pseudounternehmen Schott & Genossen in Mainz8 bzw. im Glaswerk Wertheim/Baden9/BRD existierenden DDR-feindlichen Gruppe handelnd

  • wesentliche Forschungs- und Entwicklungsergebnisse sowie andere Informationen über den Industriezweig Technisches Glas10 an BRD-Unternehmen bzw. an westliche Geheimdienste auslieferten und dazu beitrugen, DDR-Erzeugnisse von internationalen Märkten zu verdrängen,

  • illegale Kooperationsbeziehungen zum Pseudounternehmen in Mainz herstellten und die Exponate der Technischen Glasindustrie der DDR dem Preisdiktat dieses Unternehmens unterwarfen,

  • den Industriezweig Technisches Glas auf die Beibehaltung überwiegend manueller Fertigung als billigen Komplettierungspartner für das im Pseudounternehmen maschinell produzierte Sortiment orientierten,

  • die Rekonstruktion der Technischen Glasindustrie der DDR durch den Import veralteter bzw. technisch unausgereifter Glasbe- und -verarbeitungsmaschinen aus dem NSW behinderten und

  • die sich entwickelnden Beziehungen im Rahmen des RGW11 auf dem Gebiet Technisches Glas störten.

Durch die strafbaren Handlungen der Beschuldigten und der im Pseudounternehmen Schott & Genossen Mainz wirkenden DDR-feindlichen Gruppe entstand der Volkswirtschaft der DDR ein in die Hunderte von Millionen gehender Schaden, der in seiner exakten Höhe nicht mehr feststellbar ist.

Die feindlichen Handlungen trugen wesentlich mit dazu bei, dass die Technische Glasindustrie der DDR mit ihrem Schwerpunktbetrieb, dem VEB Jenaer Glaswerke Schott & Genossen, die früher innegehabte Spitzenposition verloren hat, maßgeblich an Konkurrenz- und Marktfähigkeit einbüßte und zunehmend die Realisierung anderer volkswirtschaftlicher Aufgaben in der DDR gefährdet.

Auf wichtigen Gebieten wurde der Industriezweig Technisches Glas innerhalb des eigenen Produktionsprofils vom Pseudounternehmen in Mainz importabhängig.

Gleichzeitig verloren sozialistische Partnerländer teilweise das Vertrauen in das Leistungsvermögen und die Zuverlässigkeit des Industriezweiges Technisches Glas der DDR.

Damit wurden objektiv die Expansionsbestrebungen des Pseudounternehmens in Mainz unterstützt, das sich in den letzten Jahren besonders stark um den Markt der RGW-Länder bemühte und sich feste Marktpositionen in der VR Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der SR Rumänien geschaffen hat.

Begünstigend für die strafbaren Handlungen der Beschuldigten wirkte sich die Tatsache aus, wonach die Situation im Industriezweig Technisches Glas der DDR insbesondere durch Konzeptionslosigkeit in der perspektivischen Gestaltung des Industriezweiges, in der Forschung und Entwicklung der Technologie, bei der Einführung qualitativ neuartiger und das Weltniveau bestimmender Erzeugnisse in die Produktion sowie durch eine nicht den Erfordernissen entsprechende Absatzpolitik gekennzeichnet war.

Andererseits haben die strafbaren Handlungen des genannten Personenkreises in großem Umfang dazu beigetragen, die geschilderte Situation zuungunsten der DDR zu verschärfen.

Im Verlaufe der bisherigen Untersuchungen wurden den einzelnen Beschuldigten folgende strafbare Handlungen nachgewiesen:

Der Beschuldigte Rudolph hat unter Ausnutzung seiner Funktion seit 1966 mit dem Inhaber einer Westberliner Firma umfangreiche Manipulationen zum Schaden der DDR durchgeführt, indem er dieser Firma

  • eine Monopolstellung für den Export bestimmter Warengruppen aus der DDR nach Westberlin verschaffte,

  • Sonderprovisionssätze bis zu 25 % des Warenpreises gewährte (die branchenübliche Provision liegt bei 6–7 %) und

  • umfangreiche, geheim zu haltende Informationen übermittelte, die diese Firma in die Lage versetzten, ihre Tätigkeit zum Schaden der DDR auch auf Industriebetriebe des Zweiges Technisches Glas auszudehnen.

Zur Tarnung seiner strafbaren Handlungen fälschte Rudolph vorsätzlich Weisungen des Ministeriums für Außenwirtschaft bzw. fertigte er gefälschte Dokumentationen an.

Der Beschuldigte Rudolph ordnete ferner an, dem AHB rechtmäßig zustehende Valutamittel illegal auf Konten zweier Westberliner Firmen zu überweisen. Von diesen Valutamitteln, deren genaue Höhe noch nicht ermittelt ist, wurden nichtgenehmigte Rationalisierungsmittel für den AHB importiert bzw. materielle Wünsche von Rudolph und anderen Personen befriedigt.

Rudolph genehmigte dem inhaftierten Schneider illegale »Kooperationsverhandlungen« mit dem Pseudounternehmen in Mainz und dem Glaswerk Wertheim, wobei er davon ausging, damit einer »notwendigen gesamtdeutschen Annäherung« zu dienen.

Er täuschte in diesem Zusammenhang andere staatliche Organe der DDR, indem er zum gleichen Zeitpunkt das Bestehen irgendwelcher Kontakte zu diesen Firmen schriftlich bestritt.

Rudolph, der sich durch diese Handlungen in völlige Abhängigkeit von der Westberliner Firma begab, erhielt von dieser umfangreiche Zuwendungen wie z. B. einen Pkw »Wartburg«, andere wertvolle Gegenstände sowie hohe Bargeldbeträge.

Rudolph ließ auch zu, dass der ihm unterstellte Mitarbeiter [Name] ebenfalls korrumpiert wurde.

(Der durch die Handlungen des Rudolph entstandene materielle Schaden wird gegenwärtig von einer Gutachtergruppe festgestellt. Schon jetzt ist abzusehen, dass er sich auf mehrere Millionen Valutamark belaufen wird.)

Der Beschuldigte Schneider, der bereits 1946 mit dem ehemaligen Ilmenauer Firmeninhaber Brand12 versuchte, die Überführung von privatkapitalistischen Betrieben der Glasindustrie des Kreises Ilmenau in Volkseigentum zu verhindern und der wegen Verbreitens von Hetzschriften des SPD-Ostbüros13 von sowjetischen Organen zeitweilig inhaftiert war, hat

  • wichtige Produktionsmittel aus der Technischen Glasindustrie der DDR als Warenlieferungen getarnt nach der BRD verbracht,

  • durch Finanzmanipulationen bei Warenlieferungen in die BRD ermöglicht, illegale finanzielle Fonds in der BRD zu bilden, die republikflüchtigen Glasfabrikanten als sogenanntes Startkapital dienten und

  • qualifizierte Facharbeiter aus den Glasbetrieben des Ilmenauer Raumes abgeworben und zur Republikflucht veranlasst.

Anlässlich der ACHEMA-Tagung 195814 in der BRD wurde Schneider von Brand in dessen politische Konzeption eingeweiht, wonach bei der »Wiedervereinigung Deutschlands« die alten Machtverhältnisse wiederhergestellt werden müssten. Im gleichen Zusammenhang wurde Schneider in der Firma Brandt eine leitende Stellung zugesagt.

In den Jahren 1961 bis 1964 ließ sich Schneider durch Vertreter der DDR-feindlichen Gruppe im Pseudounternehmen Mainz bzw. im Glaswerk Wertheim in eine sogenannte Preisabstimmung einbeziehen.

Diese zielte darauf ab, das westdeutsche Preisdiktat widerspruchslos zu akzeptieren. Die westdeutschen Firmen wurden dadurch in die Lage versetzt, die Exporttätigkeit der DDR und anderer sozialistischer Länder auf dem westeuropäischen Markt weitgehend zu beeinflussen.

Gleichzeitig nutzte Schneider seine Funktion als Mitglied der DDR-Delegation bei den mehrseitigen Vereinbarungen von Mitgliedsländern des RGW über Preisbildungsprinzipien und Lieferbedingungen auf dem Gebiet des Exports von Erzeugnissen der Technischen Glasindustrie, um die Interessen des Pseudounternehmens durchzusetzen.

Ab 1965 unterstützte Schneider Vertreter der DDR-feindlichen Gruppe in der westdeutschen Glasindustrie unter teilweiser Anwendung konspirativer Methoden bei dem Versuch, durch ein sogenanntes Kooperationsprogramm die völlige Unterwerfung der Technischen Glasindustrie der DDR unter das Diktat des Pseudounternehmens in Mainz zu vollziehen.

(Dieser Versuch konnte durch progressive Kräfte verhindert werden.)

In seiner späteren Funktion als Direktor für Industrie im VE AHB Glas-Keramik war Schneider bestrebt, das unrentable, breite, manuelle Produktionssortiment der Technischen Glasindustrie der DDR beizubehalten.

Der Beschuldigte Morgenbrodt, der Agent des amerikanischen Geheimdienstes war, hat in dessen Auftrag und unter Ausnutzung seiner leitenden Funktionen in verschiedenen Glasbetrieben der DDR technische Störungen verursacht, über die er den Geheimdienst ausführlich informierte.

Später wurde Morgenbrodt auch in die Spionagetätigkeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) einbezogen und lieferte umfangreiche und detaillierte Informationen über den technischen Glassektor der DDR, insbesondere über neue Investvorhaben, wie z. B. das Kombinat Technisches Glas Ilmenau und das Glaswerk Maura.

Im Auftrage eines westdeutschen Unternehmers, der Morgenbrodt für den Bundesnachrichtendienst geworben hatte, schaffte Morgenbrodt die Voraussetzungen dafür, dass von diesem Unternehmer entsprechend vorbereitete Maschinen von der Technischen Glasindustrie der DDR importiert wurden.

Das geschah dadurch, indem er als amtierender Generaldirektor der VVB Technisches Glas im Jahre 1966 die grundsätzliche Entscheidung traf, für zukünftige Investvorhaben nur Maschinen der Firma dieses Unternehmers einzusetzen.

Die tatsächlich importierten Glasverarbeitungsmaschinen dieser Firma erwiesen sich bei ihrem Einsatz in den Betrieben der Glasindustrie der DDR größtenteils als funktionsuntüchtig.

Nachdem Morgenbrodt von einem italienischen Firmeninhaber korrumpiert worden war, stellte er vorsätzlich falsche Gutachten über die von diesem angebotenen Maschinen aus, worauf durch zuständige Außenhandelsorgane der DDR auch verschiedene dieser technisch und technologisch noch nicht ausgereiften bzw. mit Störungen versehenen Maschinen importiert wurden.

Dadurch entstand der Volkswirtschaft der DDR umfangreicher Schaden, dessen Ausmaß gegenwärtig von Gutachtern festgestellt wird.

Durch die Gesamtheit der strafbaren Handlungen des Morgenbrodt wurde die planmäßige Rekonstruktion der Glasindustrie der DDR wesentlich behindert.

Demmler war langjähriger Spion des amerikanischen Geheimdienstes. Er übermittelte umfangreiche Informationen über die Technische Glasindustrie der DDR, über zahlreiche Angehörige der wissenschaftlichen, technischen und medizinischen Intelligenz aus dem Raum Jena.

(Außerdem lieferte er Informationen über in der Garnison Jena stationierte Einheiten der Sowjetarmee an seine Auftraggeber.)

Demmler missbrauchte – ausgehend von seiner feindlichen ideologischen Grundposition – seine Vertrauensstellung im Betrieb insbesondere dazu,

  • das Pseudounternehmen in Mainz unter Anwendung konspirativer Methoden über alle marktstrategischen Maßnahmen (z. B. beabsichtigte Preisveränderungen) seines Betriebes zu informieren,

  • Kunden aus kapitalistischen Ländern, mit denen sich günstige Außenwirtschaftsbeziehungen anbahnen ließen, an das Pseudounternehmen in Mainz zu verweisen und

  • die ihm übertragene Marktbearbeitung in westeuropäischen Ländern derart zu vernachlässigen und den Abschluss von Verträgen so hinauszuzögern, dass der DDR diese Marktpositionen verloren gingen und in der Folgezeit vom Pseudounternehmen in Mainz eingenommen werden konnten.

Der Beschuldigte [Name] hat – gemeinschaftlich handelnd mit seinem damaligen Dienstvorgesetzten Westerschell,15 der zwischenzeitlich zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde – dazu beigetragen, dem Pseudounternehmen in Mainz die Monopolstellung bei der Lieferung von Erzeugnissen an technischem und optischem Glas in die DDR einzuräumen.

Er war außerdem am illegalen Verbringen von Valutamitteln der DDR nach Westberlin beteiligt, wofür er, wie bereits zum Beschuldigten Rudolph angeführt, umfangreiche materielle Zuwendungen erhielt.

Die durch das MfS geführten Untersuchungen erbrachten weiter eindeutige Beweise dafür, dass im Pseudounternehmen Schott & Genossen, Mainz, und dem mit diesem Konzern kapitalmäßig verflochtenen Glaswerk Wertheim eine Gruppe existiert, deren leitende Kräfte im arbeitsteiligen Zusammenwirken untereinander und mit in ihrem Sinne handelnden Interessenvertretern im Bereich der Außenwirtschaft der DDR, in wirtschaftsleitenden Organen sowie volkseigenen Betrieben bzw. Kombinaten der DDR auf der Basis einer weitestgehend aufgeklärten feindlichen Konzeption ein System ökonomischer Störtätigkeit organisiert und durchgesetzt haben.

Bei diesen leitenden Kräften handelt es sich um Dr. Schott, Erich,16 ehemaliger Geschäftsführer des Pseudounternehmens Schott & Genossen, Mainz, Schott, Rolf,17 geschäftsführendes Mitglied des Glaswerkes Wertheim, Dr. Löber, Hans,18 Gesellschafter und Leiter des Glaswerkes Wertheim, Eichhorn, Ernst,19 Prokurist des Glaswerkes Wertheim und Hofmann, Karl-Joachim,20 Leiter der Abteilung Koordinierung Ausland im Pseudounternehmen Schott & Genossen Mainz.

Ziel dieser Konzeption war und ist, die planmäßige Entwicklung der ökonomischen Grundlagen der DDR im allgemeinen und des Industriezweiges Technisches Glas als wichtigen Kooperationspartner der chemischen Industrie, des wissenschaftlichen Gerätebaus, der Elektronik, der Verteidigungsindustrie u. a. im besonderen zu durchkreuzen und zu desorganisieren.

Zur Durchsetzung dieser Konzeption richtete die DDR-feindliche Gruppe ihre Anstrengungen darauf, die Technische Glasindustrie der DDR in Abhängigkeit zu den westdeutschen Glaszentren zu bringen, um dieses Potenzial als Kooperations- und billigen Komplettierungspartner ausnutzen zu können, wobei die volkseigenen Betriebe die kosten- und arbeitsaufwendigen Komplettierungsteile für die von den westdeutschen kapitalistischen Wirtschaftsunternehmen fast ausschließlich mechanisiert gefertigten Erzeugnisse liefern sollten.

Obwohl die Untersuchungstätigkeit des MfS noch nicht abgeschlossen ist, kann eingeschätzt werden, dass die Handlungen des angeführten Personenkreises, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckten, eine wesentliche Ursache für die Nichterfüllung der seit Jahren von Partei und Regierung dem Industriezweig Technisches Glas gestellten Aufgaben waren und sind.

Auf solchen entscheidenden Gebieten wie Forschung und Entwicklung, Produktion und Absatz des Industriezweiges traten große Rückstände ein.

Die von der angeführten feindlichen Gruppe in der BRD ausgehenden Handlungen stellen gesellschaftsgefährliche Angriffe gegen die Volkswirtschaft der DDR sowie gegen die Rechte und Interessen der Bürger der DDR dar.

Sie sind der Zielstellung und der Art und Weise der konkreten Handlungen nach eine schwerwiegende Missachtung der sozialistischen Gesetzlichkeit, bei der die in der DDR tätigen Interessenvertreter dieser Gruppe im unterschiedlichen Umfang willfährig mitwirkten.

Bereits kurz nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges wurden von westdeutscher Seite aus zielgerichtete Maßnahmen zur schädigenden Einflussnahme auf die Entwicklung des Industriezweiges Technisches Glas in der damaligen sowjetischen Besatzungszone eingeleitet und verwirklicht.

Eine entscheidende Voraussetzung dafür war die durch die amerikanische Besatzungsmacht verfügte Zwangsverlagerung von Wissenschaftlern, Facharbeitern, Maschinen, Ausrüstungen, Patenten und Kapital von Jena nach Westdeutschland, bei der die führenden Kräfte des Schott-Konzerns eine aktive Rolle spielten.

Auf der Basis dieser Zwangsverlagerung und im Zusammenwirken mit der Landesregierung von Baden-Württemberg und Institutionen der westdeutschen Klassenjustiz wurden die Glaszentren in Mainz und Wertheim gegründet, von deren führenden Kräften in der Folgezeit gegen die DDR gerichtete feindliche Aktivitäten ausgingen.21

Diese Kräfte versuchten auch intensiv ihre angeblichen Besitzansprüche auf die in der DDR befindlichen Werke geltend zu machen. Eine juristische Fiktion dieser angeblichen Besitzansprüche erfolgte u. a. durch das nach der widerrechtlichen Gründung des Pseudounternehmens mithilfe der westdeutschen Klassenjustiz willkürlich geschaffene »Warenzeichenrecht«, das dem Pseudounternehmen die alleinige Inanspruchnahme aller Schott-Warenzeichen sichern sollte, wozu eine Vielzahl von Warenzeichenprozessen in Westdeutschland und anderen Ländern angestrebt wurde.

Da mit allen genannten Aktivitäten die geplante Zielstellung, die Glasindustrie der DDR konkurrenzunfähig zu machen, nicht restlos erreicht wurde, orientierten die DDR-feindlichen Kräfte im Pseudounternehmen auf die systematische Durchsetzung ihrer Zielstellung unter dem Deckmantel der kommerziellen Tätigkeit.

Die von der feindlichen Gruppe im Pseudounternehmen Schott & Genossen Mainz bei der versuchten Durchsetzung dieser feindlichen Zielstellung erkannten Mittel und Methoden der wirtschaftlichen Störtätigkeit bestanden in Folgendem:

  • Abwerbung von Spezialisten und Fachkräften aus dem Industriezweig Technisches Glas,

  • Auswahl von »Interessenvertretern« in der DDR, um die feindliche Zielstellung insbesondere unter Vortäuschung kommerzieller Beziehungen verwirklichen zu können und um sich konspirativ umfangreiche Informationen aus dem Industriezweig Technisches Glas zu beschaffen,

  • Störmaßnahmen gegen den Industriezweig auf dritten Märkten,

  • Korrumpierung verantwortlicher Mitarbeiter des Industriezweiges und seines Außenhandelsbetriebes sowie

  • Störmaßnahmen gegen die Entwicklung der Zusammenarbeit der RGW-Länder auf dem Gebiet des Technischen Glases.

Zum Beispiel versuchten Dr. Löber und Eichhorn unter Anwendung konspirativer Methoden und arbeitsteilig handelnd – wie das bereits bei den beschuldigten DDR-Bürgern dargelegt wurde –

  • das Produktionsprofil des Industriezweiges Technisches Glas auf vorwiegend manuelle, arbeitsaufwendige Produktion festzulegen,

  • Preisvereinbarungen mit dem Technischen Glassektor zu erreichen und damit Sortiments- und Marktabstimmungen mit eindeutigen Vorteilen für das Pseudounternehmen durchzusetzen und

  • unter Ausnutzung der DDR-Betriebe den sozialistischen Markt zu gewinnen.

Auf der gleichen Linie lagen auch Bestrebungen zur Schaffung eines einheitlichen, abgestimmten Vertreternetzes sowie zur Bildung einer gemeinsamen Absatzorganisation.

Diese gesamte Zielstellung war in einem sogenannten Elf-Punkte-Programm verankert, das als Versuch zu werten ist, den Bonner Alleinvertretungsanspruch22 konkret auf den Industriezweig Technisches Glas zu übertragen.

Das bestätigt auch ein offizielles Gutachten des Ministeriums für Außenwirtschaft über dieses Programm.

Einen besonderen Schwerpunkt legten die im Pseudounternehmen Mainz tätigen feindlichen Kräfte auf die Schaffung von Voraussetzungen zur Einflussnahme auf die Exportpreisgestaltung der DDR und anderer sozialistischer Länder.

Besonders von Hofmann wurden wesentliche Aktivitäten entwickelt, die Fragen der Preisgestaltung im Interesse der feindlichen Gruppe im Pseudounternehmen zu regeln.

Hofmann äußerte gegenüber Mitarbeitern des VE AHB Glas-Keramik, dass dem Pseudounternehmen durch die von der DDR betriebene Außenwirtschaftstätigkeit auf den Märkten der VAR, Finnlands und der sozialistischen Länder erheblicher Profitverlust entstanden sei und deshalb eine Klärung erzielt werden müsse, »weil es gegenüber der anderen Konkurrenz doch sehr schlecht wäre, wenn die beiden deutschen Staaten einen gegenseitigen Kampf ausfechten«.

Nach Auffassung von Hofmann sollten sich Vertreter des Pseudounternehmens und die verantwortlichen Mitarbeiter des Industriezweiges Technisches Glas der Deutschen Demokratischen Republik in gewissen Zeitabständen zusammensetzen, um über Preise, Rabattsätze und Sortimentsgestaltung sowie über einzelne Märkte und Absatzorganisationen zu beraten.

Ähnlicher Praktiken bedienten sich auch Dr. Löber und Eichhorn.

Wie die bisherigen Untersuchungen durch das MfS beweisen, passte sich die DDR-feindliche Gruppe in ihrem konkreten Vorgehen gegen den Industriezweig Technisches Glas der DDR weitgehend den jeweiligen politischen Gegebenheiten an.

So wurde anlässlich der Glastechnischen Tagung im Juli 1972 in Wiesbaden/BRD von Vertretern der DDR-feindlichen Gruppe im Pseudounternehmen zum Ausdruck gebracht, neue »Kontakte« in der DDR zu brauchen, mit der DDR in »Gedankenaustausch« treten und sich zu diesem Zweck in der DDR selbst »umsehen« zu wollen.

Diese Gedanken entsprachen der seit dem Frühjahr 1972 von den Mitgliedern der DDR-feindlichen Gruppe mit besonderer Intensität vertretenen Konzeption einer »gesamtdeutschen Kooperation auf dem Gebiet der Technischen Glasindustrie«, die es zu verwirklichen gelte und für die »weitblickende Menschen gewonnen werden müssen, die deutsch denken und handeln und Bereitschaft für den Aufbau einer gut funktionierenden indirekten Zusammenarbeit haben«.

Zur Zeit der Verhandlungen über den Grundlagenvertrag zwischen der DDR und der BRD23 wurde die Konzeption der DDR-feindlichen Gruppe im Pseudounternehmen dahingehend präzisiert, dass sich mit dem Abschluss des Grundlagenvertrages zwischen beiden deutschen Staaten für sie neue und legale Möglichkeiten eröffnen, um die seit Langem angestrebten Kooperationsbeziehungen zu verwirklichen.

Darunter verstanden die Angehörigen dieser DDR-feindlichen Gruppe, sich intensiv damit zu beschäftigen, entsprechende Personen in der DDR zu finden, mit deren Hilfe die »bisherigen Gegner einer Kooperation mit dem Pseudounternehmen in die Defensive gedrängt bzw. von ihren Funktionen entfernt werden könnten«.

Weiter sollte es Aufgabe dieser Personen sein, Verbindungen zwischen Konzernvertretern und solchen leitenden Mitarbeitern zentraler staatlicher und wirtschaftsleitender Organe der DDR zu vermitteln, »mit denen konzeptionelle Fragen der Zusammenarbeit beraten werden können und die bereit sind, inoffizielle Absprachen zu treffen«.

Die gegnerischen Kräfte gehen in ihren Überlegungen davon aus, wonach mit dem Grundlagenvertrag neben den Möglichkeiten der Besuche und des »freieren« Meinungsaustausches zugleich die ideologische Basis bereitet wäre, auf »größeres Verständnis und umfassendere Bereitschaft für eine Zusammenarbeit im Rahmen besonderer Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten zu stoßen«.

Durch die Untersuchungstätigkeit und den Einsatz von Gutachtern und Experten wurden Bedingungen aufgedeckt, die das Wirksamwerden gegnerischer Kräfte begünstigten bzw. in diesem Umfang erst ermöglichten.

Neben der bereits eingangs erwähnten Konzeptionslosigkeit für die weitere Gestaltung des Industriezweiges Technisches Glas handelt es sich dabei in erster Linie um

  • die ständige Verletzung von Sicherheit und Ordnung, von Festlegungen des Geheimnisschutzes und anderer staatlicher Regelungen und

  • die Manipulierung staatlicher Pläne und erreichter wirtschaftlicher Ergebnisse mithilfe von Falschmeldungen und Fehlinformationen auf den verschiedensten Leitungsebenen.

Insbesondere haben leitende Mitarbeiter der VVB Technisches Glas, der Werkdirektor, Genosse Eichhorn, und der Technische Direktor, Genosse Matthes,24 aus dem VEB Jenaer Glaswerk Schott & Gen., Jena, sowie der ehemalige Direktor des Wärmetechnischen Institutes der Silikatindustrie, Prof. Dr. Costa,25 in ihrer Berichterstattung gegenüber der Partei- und Staatsführung durch Falschmeldungen und Schönfärberei versucht, über die tatsächliche Lage im Industriezweig zu täuschen.

Diese Lage im Industriezweig war insbesondere gekennzeichnet durch

  • Verschleierung und Vertuschung aufgetretener Schwierigkeiten und Missstände gegenüber übergeordneten Organen,

  • Verletzung grundlegender Prinzipien der sozialistischen Leitungstätigkeit, insbesondere völlige Vernachlässigung der Kontrollpflicht seitens der zuständigen Leiter,

  • politisch-moralisches Fehlverhalten leitender Kader im Umgang mit Kontrahenten aus dem NSW, im Arbeitskollektiv und im Freizeitbereich,

  • Inkonsequenz leitender Kader bei der Verfolgung erkannter Missstände und des

  • Vorhandenseins konkurrenzähnlicher Bedingungen zwischen den Wirtschaftseinheiten des Industriezweiges untereinander und gegenüber anderen sozialistischen Betrieben einschließlich solcher in RGW-Staaten.

Ausgehend von diesen Feststellungen wurden im Industriezweig Technisches Glas durch das MfS in enger Zusammenarbeit mit staatsbewussten Kräften der Betriebe und Einrichtungen geeignete Maßnahmen eingeleitet, um im Industriezweig Technisches Glas Disziplin, Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen.

So wurden z. B. verschiedene verantwortliche Leiter des Industriezweiges wegen grober Verstöße gegen die Staats- und insbesondere Plandisziplin von ihren Funktionen entbunden.

Weitere Verantwortliche wurden durch Umsetzungen in ihren Wirkungsmöglichkeiten eingeschränkt und durch parteiverbundene Kader ersetzt. (Dieser Prozess notwendiger Kaderveränderungen ist noch nicht abgeschlossen.)

Zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung wurden eine Reihe von Regelungen erlassen, die auf

  • eine Verbesserung des Geheimnisschutzes,

  • die Gewährleistung der Disziplin und Ordnung auf Baustellen, einschließlich der Objektsicherung und

  • die Herstellung der Gesetzlichkeit beim Aufenthalt von Bürgern und Kunden aus dem NSW in den Betrieben und Einrichtungen des Industriezweiges sowie im entsprechenden Außenhandelsbetrieb

gerichtet sind.

Zur Überwindung der vom Pseudounternehmen verursachten Hemmnisse bei der Durchsetzung einheitlicher Preisbildungsprinzipien und Lieferbedingungen von Erzeugnissen der Technischen Glasindustrie in Mitgliedsländern des RGW konnte eine Loslösung vom Preisdiktat des Pseudounternehmens erreicht werden.

Diese Maßnahmen reichen jedoch in Anbetracht der neuesten Situation im gesamten Industriezweig Technisches Glas und speziell beim Aufbau des Kombinates Technisches Glas Ilmenau nicht aus, den gegenwärtigen Zustand generell zu überwinden und die Erfüllung der dem Industriezweig gestellten Aufgaben zu gewährleisten.

Um weitere volkswirtschaftliche Verluste zu vermeiden und die restlose Erfüllung der staatlichen Aufgaben zu gewährleisten, erscheint es angebracht, durch die zuständigen staatlichen Organe einen Arbeitsstab aus überprüften und erprobten Kadern zu bilden, der

  • die bisherige Linie der technischen und ökonomischen Politik im Industriezweig Technisches Glas kompromisslos überprüft,

  • vom volkswirtschaftlichen Bedarf ausgehend die realen Grundlagen für die Entwicklung des Industriezweiges bewertet und

  • entsprechende Entscheidungsvorschläge für die Perspektive des Industriezweiges und besonders für die Größenordnung und das künftige Produktionssortiment des Kombinates Technisches Glas Ilmenau unterbreitet.

In diesem Zusammenhang sollten auch Festlegungen getroffen werden zur

  • zielstrebigen Lösung verfahrenstechnischer Grundlagen für die Nutzbarmachung einheimischer Rohstoffe wie Glassand und Feldspat zum schrittweisen Abbau der Abhängigkeit von Rohstoffimporten aus dem NSW und zur

  • Schaffung eigener Produktionskapazitäten auf dem Gebiet der Glasbe- und -verarbeitungsanlagen im Zusammenwirken mit der UdSSR und den anderen sozialistischen Ländern, um die Monopolstellung kapitalistischer Firmen zu brechen.

Das MfS wird zum gegebenen Zeitpunkt über weitere Erkenntnisse zum Vorgehen der DDR-feindlichen Gruppe gegen den Industriezweig Technisches Glas der DDR informieren.

  1. Zum nächsten Dokument Konferenz der Kirchenleitungen des Bundes Ev. Kirchen

    18. Mai 1973
    Information Nr. 452/73 über die Sitzung der Konferenz der Kirchenleitungen des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR vom 11. Mai bis 12. Mai 1973 in der Hauptstadt der DDR

  2. Zum vorherigen Dokument Straftaten im VEB Filmfabrik Wolfen

    17. Mai 1973
    Information Nr. 407/73 über die Begehung von Straftaten gegen die Volkswirtschaft der DDR durch zwei leitende Angestellte des Fotoehemischen Kombinates VEB Filmfabrik Wolfen