Straftaten gegen den Industriezweig Technisches Glas (2)
[ohne Datum]
Information Nr. 417a/73 über aufgedeckte feindliche Aktivitäten gegen den Industriezweig Technisches Glas der DDR
Durch das MfS werden gegen die Personen Rudolph, Wilhelm,1 ehemaliger stellvertretender Generaldirektor im VE AHB Glas-Keramik, Mitglied der SED, Schneider, Erich,2 ehemaliger Direktor für Industrie im VE AHB Glas-Keramik, Mitglied der SED, Morgenbrodt, Helmut,3 ehemaliger Sonderbeauftragter des Generaldirektors der VVB Technisches Glas,4 Mitglied der SED, Demmler, Werner,5 ehemaliger Abteilungsleiter im VEB Glaswerk Schott & Genossen Jena,6 Mitglied der SED und [Name, Vorname], ehemaliger Importkaufmann im VE AHB Glas-Keramik, Mitglied der SED (fiel unter Amnestieerlass7 und wurde im Oktober 1972 amnestiert) wegen dringenden Verdachts begangener Straftaten gegen die Volkswirtschaft der DDR Ermittlungsverfahren mit Haft durchgeführt.
Die Handlungen der Beschuldigten verfolgten nach bisher vorliegenden Untersuchungsergebnissen das Ziel, die Volkswirtschaft der DDR zu schädigen, indem sie – unabhängig voneinander und im Sinne einer im Pseudounternehmen Schott & Genossen in Mainz8 bzw. im Glaswerk Wertheim/Baden9 existierenden DDR-feindlichen Gruppe wirkend –
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wesentliche Forschungs- und Entwicklungsergebnisse sowie andere Informationen über den Industriezweig Technisches Glas,10 wie z. B. alle marktstrategischen Maßnahmen, an westliche Geheimdienste bzw. BRD-Unternehmen auslieferten und dazu beitrugen, DDR-Erzeugnisse von internationalen Märkten zu verdrängen,
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illegale Kooperationsbeziehungen zum Pseudounternehmen in Mainz herstellten und die Exponate der Technischen Glasindustrie der DDR dem Preisdiktat dieses Unternehmens unterwarfen,
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den Industriezweig Technisches Glas auf die Beibehaltung überwiegend manueller Fertigung als billigen Komplettierungspartner für das im Pseudounternehmen Mainz maschinell produzierte Sortiment orientierten,
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der DDR rechtmäßig zustehende Valutamittel illegal auf Konten Westberliner Firmen überweisen ließen und dafür nichtgenehmigte Importe von Rationalisierungsmitteln vornahmen und persönliche materielle Wünsche befriedigten,
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wichtige Produktionsmittel aus der Technischen Glasindustrie der DDR – als Warenlieferungen getarnt – nach der BRD verbringen ließen,
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durch Finanzmanipulationen zuungunsten der DDR bei Warenlieferungen nach der BRD die Bildung illegaler Fonds in der BRD ermöglichten, die republikflüchtigen Glasfabrikanten aus der DDR als sogenanntes Startkapital dienten,
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qualifizierte Facharbeiter aus der Technischen Glasindustrie der DDR abwarben und zur Republikflucht veranlassten,
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Kunden aus kapitalistischen Ländern, mit denen sich günstige Außenwirtschaftsbeziehungen anbahnen ließen, an das Pseudounternehmen in Mainz verwiesen und die Marktbearbeitung in westeuropäischen Staaten bewusst derart vernachlässigten, dass der DDR diese Marktpositionen verloren gingen und in der Folgezeit vom Pseudounternehmen in Mainz eingenommen werden konnten,
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die Rekonstruktion der Technischen Glasindustrie der DDR durch den Import veralteter bzw. technisch unausgereifter oder mit Störungen versehener Glasbe- und -verarbeitungsmaschinen aus dem NSW behinderten und
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die sich entwickelnden Beziehungen im Rahmen des RGW11 auf dem Gebiet Technisches Glas störten.
Mit diesen Handlungen, an denen sich die Beschuldigten mit unterschiedlicher Intensität und Gesellschaftsgefährlichkeit beteiligten, trugen sie faktisch dazu bei, die langjährig bestehende und der jeweiligen politischen Situation weitgehend angepasste Konzeption bestimmter westdeutscher Industriekreise – insbesondere jedoch der DDR-feindlichen Gruppe im Pseudounternehmen Schott & Genossen in Mainz bzw. im Glaswerk Wertheim/Baden – zu verwirklichen.
Ziel dieser Konzeption war und ist, die planmäßige Entwicklung der ökonomischen Grundlagen der DDR im Allgemeinen und des Industriezweiges Technisches Glas als wichtigen Kooperationspartner der chemischen Industrie, des wissenschaftlichen Gerätebaus, der Elektronik, der Verteidigungsindustrie u. a. im Besonderen zu durchkreuzen und zu desorganisieren.
Zur Durchsetzung dieser Konzeption richtete die DDR-feindliche Gruppe ihre Anstrengungen darauf, die Technische Glasindustrie der DDR in Abhängigkeit zu den westdeutschen Glaszentren zu bringen, um dieses Potenzial als Kooperations- und billigen Komplettierungspartner ausnutzen zu können, wobei die volkseigenen Betriebe die kosten- und arbeitsaufwendigen Komplettierungsteile für die von den westdeutschen Wirtschaftsunternehmen fast ausschließlich mechanisiert gefertigten Erzeugnisse liefern sollten.
Durch die strafbaren Handlungen der Beschuldigten und der im Pseudounternehmen Schott & Genossen Mainz sowie im Glaswerk Wertheim/Baden wirkenden DDR-feindlichen Gruppe entstand der Volkswirtschaft der DDR ein in die Hunderte von Millionen gehender Schaden, der in seiner exakten Höhe nicht mehr feststellbar ist.
Die feindlichen Handlungen trugen wesentlich mit dazu bei, dass die Technische Glasindustrie der DDR mit ihrem Schwerpunktbetrieb, dem VEB Jenaer Glaswerke Schott & Genossen, die früher innegehabte Spitzenposition verloren hat, maßgeblich an Konkurrenz- und Marktfähigkeit einbüßte und zunehmend die Realisierung anderer volkswirtschaftlicher Aufgaben in der DDR gefährdet.
Auf wichtigen Gebieten wurde der Industriezweig Technisches Glas innerhalb des eigenen Produktionsprofils vom Pseudounternehmen in Mainz importabhängig.
Gleichzeitig verloren sozialistische Partnerländer teilweise das Vertrauen in das Leistungsvermögen und die Zuverlässigkeit des Industriezweiges Technisches Glas der DDR.
Damit wurden objektiv die Expansionsbestrebungen des Pseudounternehmens in Mainz unterstützt, das sich in den letzten Jahren besonders stark um den Markt der RGW-Länder bemühte und sich feste Marktpositionen in der VR Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der SR Rumänien geschaffen hat.
Begünstigend für die strafbaren Handlungen der Beschuldigten wirkte sich die Tatsache aus, wonach die Situation im Industriezweig Technisches Glas der DDR insbesondere durch
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Konzeptionslosigkeit in der perspektivischen Gestaltung des Industriezweiges, in der Forschung und Entwicklung der Technologie, bei der Einführung qualitativ neuartiger und das Weltniveau bestimmender Erzeugnisse in die Produktion sowie
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durch eine nicht den Erfordernissen entsprechende Absatzpolitik
gekennzeichnet war.
Andererseits haben die strafbaren Handlungen des genannten Personenkreises in großem Umfang dazu beigetragen, die geschilderte Situation zuungunsten der DDR zu verschärfen.
Eine ausführliche Darstellung der im Zusammenhang mit der Aufdeckung der feindlichen Aktivitäten im Industriezweig Technisches Glas bekannt gewordenen Einzelheiten haben die Genossen Stoph,12 Mittag,13 Sindermann,14 Jarowinsky,15 Kleiber,16 Sölle17 und Greiner-Petter18 erhalten.