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Straftaten im VEB Filmfabrik Wolfen

17. Mai 1973
Information Nr. 407/73 über die Begehung von Straftaten gegen die Volkswirtschaft der DDR durch zwei leitende Angestellte des Fotoehemischen Kombinates VEB Filmfabrik Wolfen

Durch das MfS wurde gegen die Personen Schiebel, Helmut,1 geboren am [Tag, Monat] 1921, Ingenieur für Chemischen Apparatebau, Leiter des Kraftwerkes im VEB Filmfabrik Wolfen,2 Fotochemisches Kombinat, wohnhaft Wolfen, Kreis Bitterfeld, [Straße, Nr.], Mitglied der SED, und Sandt, Julius,3 geboren am [Tag, Monat] 1933, Diplom-Ingenieur für Regelungstechnik, Direktor für Informations- und Aufzeichnungsmaterialien im Fotochemischen Kombinat, VEB Filmfabrik Wolfen, wohnhaft Dessau, [Straße, Nr.], Mitglied der SED, wegen dringenden Verdachts begangener Straftaten gegen die Volkswirtschaft der DDR Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet.

Schiebel und Sandt haben seit 1964 fortgesetzt und größtenteils gemeinschaftlich handelnd im Bereich der Fotochemischen Industrie der DDR auf den Gebieten Verfahrenstechnik, Fertigung und Technologie der Filmherstellung Abhängigkeitsverhältnisse zu Wirtschaftsunternehmen der BRD geschaffen.

Sie nutzten ihre leitenden Funktionen im VEB Filmfabrik Wolfen als Stellvertreter des Technischen Direktors, Technischer Direktor und Vorsitzender des Importausschusses (Schiebel) bzw. Haupttechnologe, stellvertretender Direktor für Forschung und Entwicklung, Produktionsdirektor und Mitglied des Importausschusses (Sandt) aus, den Beschluss des Politbüros des ZK der SED von 1958 über die Störfreimachung der Fotochemischen Industrie der DDR von Konzernen und Firmen aus dem kapitalistischen Ausland, insbesondere der BRD, zu hintertreiben.4

(Die aus dem Politbürobeschluss entstandenen staatlichen Weisungen, so z. B. eine Reihe von Beschlüssen des Ministerrats, des ehemaligen Volkswirtschaftsrates bzw. des Ministeriums für Chemische Industrie und der ehemaligen VVB Fotochemie und Chemiefasern, werden seit diesem Zeitpunkt in der Fotochemischen Industrie der DDR allgemein als »Foto-Kino-Filmprogramm« bezeichnet.)

Das Ziel des Programms bestand in einer erheblichen Steigerung der Filmproduktion, der Verbesserung der Qualität der Filme und der Steigerung der Arbeitsproduktivität durch den Einsatz moderner technologischer Ausrüstungen zur Filmherstellung.

In den Jahren nach 1965 sollte im Rahmen des Foto-Kino-Filmprogramms eine Abstimmung mit der UdSSR erfolgen, um im Zusammenhang mit der Steigerung der Filmproduktion deren langfristigen Absatz in der UdSSR zu erreichen.5

Eine Schwerpunktaufgabe innerhalb des Foto-Kino-Filmprogramms bestand in der Durchführung des Investitionsvorhabens Begießerei6 VII im VEB Filmfabrik Wolfen. In der Begießerei VII sollten zwei Hochleistungsbegießmaschinen (Maschine FB 6) und fotochemische Spezialausrüstungen zum Einsatz gelangen. Es war vorgesehen, beide Hochleistungsbegießmaschinen aus der Eigenentwicklung im VEB Filmfabrik Wolfen in Zusammenarbeit mit dem VEB Radebeuler Maschinenfabrik etwa 1968/69 produktionsreif zum Einsatz zu bringen.

(Die Zusammenarbeit zwischen dem VEB Filmfabrik Wolfen – ehemals IG-Betrieb Agfa Wolfen – und dem Radebeuler Maschinenfabrik – ehemals kapitalistischer Privatbetrieb August Koebig & Co (ehemaliger Betriebsleiter Hofmann7) – besteht bereits seit mehreren Jahrzehnten. Der ehemalige Betriebsleiter Hofmann dieses kapitalistischen Privatbetriebes wurde nach Verbüßung einer Haftstrafe in der DDR republikflüchtig und gründete 1950 in Krefeld/BRD erneut einen Maschinenbaubetrieb für die Herstellung von Ausrüstungen für die filmherstellende Industrie, die Firma »Hoffmann und Schwabe« Krefeld.)

Schiebel ging in seiner Eigenschaft als Technischer Direktor bei der Realisierung der Ausrüstungsprobleme für die Begießerei VII so vor, dass er an Stelle einer eigenständigen Entwicklung auf dem Sektor der Gieß- und Begießtechnologie für die Filmherstellung sowie der Beschichtungs- und Verstrecktechnologie für die Magnetbandherstellung (Tonband) ungerechtfertigte Maschinenimporte von den BRD-Firmen Hoffmann und Schwabe, Krefeld, (maschinentechnische Ausrüstungen) Kurt Brückner, Leonberg (klima- und trockentechnische Ausrüstungen), durchsetzte.

Schiebel wirkte dabei arbeitsteilig mit Sandt zusammen. Sandt legte Anfang 1964 Schiebel eine Konzeption vor, die vorsah, statt der Entwicklung und Bau von zwei Hochleistungs-Begießmaschinenen FB 6 – in Zusammenarbeit mit dem VEB Radebeuler Maschinenfabrik – im VEB Filmfabrik Wolfen nur eine Hochleistungsbegießmaschine FB 6 zu fertigen. Für die zweite Begießmaschine der Begießerei VII sollten die Ausrüstungen aus der BRD importiert werden. Sandt orientierte dabei auf den Import von Ausrüstungen für den langjährig erprobten Typ Begießmaschine M. Dieser Konzeption schloss sich Schiebel vorbehaltlos an.

Bereits bei der Importbegründung für die Importe von Ausrüstungen für die Begießmaschine M im Mai 1964 führte Schiebel nicht den Tatsachen entsprechende Fakten an. Er begründete die Notwendigkeit des Imports aus der BRD u. a. damit, »den konventionellen Stand von Begießmaschinen auf dem kapitalistischen Weltmarkt kennen zu lernen«.

Schiebel war zu jenem Zeitpunkt bereits bekannt, dass das technische Niveau der Ausrüstungen für die Begießmaschine M der BRD-Firma Hoffmann und Schwabe, Krefeld, dem zum damaligen Zeitpunkt vorgesehenen Lieferanten des maschinen-technischen Teils dieser Begießmaschine, unter dem Niveau der in der Filmfabrik im Einsatz befindlichen Begießmaschinen lag.

Außerdem sagte Schiebel bereits vor Unterzeichnung der Importbegründung im Mai 1964 der BRD-Firma Kurt Brückner, Lieferant des klima- und trockentechnischen Teils, einen Auftrag in Höhe von insgesamt zehn Millionen Valutamark zu, ohne sich von der Leistungsfähigkeit der Anlage überzeugt zu haben.

Die Entscheidung über den Ausrüstungsimport (maschinen-, klima- und trockentechnischer Teil für die zweite Begießmaschine M der Begießerei VII) zugunsten der genannten BRD-Firmen veranlasste den VEB Radebeuler Maschinenfabrik im August 1965, in Abstimmung mit der VVB Polygraph dem VEB Filmfabrik Wolfen auch für die Fertigung des maschinen-technischen Teils der Begießmaschine M sozialistische Hilfeleistung anzubieten.

(Das Angebot zur sozialistischen Hilfeleistung entstand, um zukünftig die vorhandenen spezialisierten Fertigungskapazitäten im VEB Radebeuler Maschinenfabrik auslasten zu können.

In diesem Stadium der sich anbahnenden kooperativen Zusammenarbeit mit den BRD-Firmen musste eine Entscheidung unter Einbeziehung der VVB Polygraph gefällt werden, ob die Fertigungskapazitäten des Spezialmaschinenbaus weiter für die filmherstellende Industrie genutzt werden bzw. eine Umprofilierung zugunsten des polygraphischen Maschinenbaus erfolgten sollte.)

In den Verhandlungen mit den Vertretern des VEB Radebeuler Maschinenfabrik trat Schiebel stets mit überspitzten und teilweise technisch falschen Behauptungen auf, um den VEB Radebeuler Maschinenfabrik von Zulieferungen für den maschinen-technischen Teil der Begießmaschine M auszuschalten.

Unter anderem behauptete Schiebel, die Fertigung des maschinen-technischen Teils und des klima- und trockentechnischen Teils der Begießmaschine müsse von einem Betrieb komplett vorgenommen werden bzw. der maschinen-technische Teil müsste völlig neu konstruiert werden, wofür im VEB Filmfabrik Wolfen keine Unterlagen vorhanden wären.

Ihm war jedoch bekannt, dass in der Vergangenheit im VEB Filmfabrik Wolfen mehrfach Begießmaschinen gebaut worden waren und entsprechende Konstruktionszeichnungen vorhanden sein mussten.

Er selbst veranlasste andererseits die ständige Übergabe von Konstruktionsunterlagen aus der Wolfener Filmfabrik an den BRD-Lieferanten Hoffmann und Schwabe, Krefeld. Auf sein Einwirken hin wurde ein erfahrener Konstrukteur aus Wolfen mehrere Wochen zur Firma Hoffmann und Schwabe/Krefeld entsandt. Dieser Konstrukteur beriet die BRD-Lieferfirma in allen Konstruktionsfragen.

(Dem BRD-Lieferanten für Ausrüstungen des maschinen-technischen Teils der Begießmaschine Typ M wurden u. a. auch kostenlos die Erkenntnisse aus der Entwicklung der Hochleistungsbegießmaschine FB 6, die im VEB Filmfabrik im Verlauf der Entwicklungs- und Konstruktionsarbeiten gesammelt wurden, übergeben.)

Durch die Machenschaften von Schiebel gelang es zeitweilig, die Entwicklung einer eigenen Fertigung von hochleistungsfähigen Spezialausrüstungen für die Fotochemische Industrie in der DDR (VEB Radebeuler Maschinenfabrik, später auch Sonderanlagenbau Gölzau sowie Werkstätten der Filmfabrik) zu unterbinden bzw. auszuschalten. Schiebel fand dabei in den BRD-Lieferanten Personen mit einer feindlichen Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung in der DDR. Sie waren teilweise ehemalige Besitzer von in der DDR enteigneten kapitalistischen Betrieben. So wurde u. a. der BRD-Firmeninhaber Brückner8 erst 1959 republikflüchtig. Bis zu diesem Zeitpunkt unterhielten Schiebel und Brückner in Wolfen engere Beziehungen.

Schiebel, der 1946 als Schlosser im Kraftwerk der ehemaligen Filmfabrik Agfa-Wolfen zu arbeiten begann und seit 1950 verschiedene leitende Funktionen ausübte, gelangte unter dem Einfluss konzernverbundener Kräfte der I.G. Farben,9 die nach 1945 zeitweilig in Wolfen verblieben waren, zu einer ablehnenden Einstellung zur Wirtschaftspolitik von Partei und Regierung. Besonders seit dem Bekanntwerden der Beschlüsse und Weisungen zur Störfreimachung des VEB Filmfabrik Wolfen von ausländischen Konzernen suchte er Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung und Angleichung des Produktionsprofils des VEB Filmfabrik Wolfen mit dem zwischenzeitlich errichteten und auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig gewordenen westdeutschen IG-Nachfolgeunternehmen Agfa-Leverkusen.10 Auch der ständige politisch-ideologische Einfluss, insbesondere seine Voreingenommenheit für westliche Wirtschafts- und Leitungsmethoden sowie ein ausgeprägter persönlicher Geltungsdrang haben ihn zu dieser die DDR schädigenden Einstellung und Handlungsweise veranlasst.

Der Beschuldigte Sandt hat ebenfalls unter Ausnutzung seiner Leitungsfunktionen als Haupttechnologe, stellvertretender Direktor für Forschung und Entwicklung, Produktionsdirektor und Mitglied des Importausschusses im VEB Filmfabrik Wolfen seine Pflichten als leitender Wirtschaftsfunktionär eines volkseigenen Schwerpunktbetriebes missbraucht.

In den bisherigen Untersuchungen wurde festgestellt, dass Sandt eine feindliche Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung in der DDR und zur Sowjetunion besitzt. Das wird auch darin sichtbar, dass Sandt eine Zusammenarbeit mit der Sowjetunion ablehnte und bemüht war, Kooperationsbeziehungen auf dem Gebiet der Filmproduktion mit BRD-Wirtschaftsunternehmen herzustellen.

Aus diesem Grund unterstützte er rückhaltlos die Machenschaften seines Vorgesetzten Schiebel. Seine Aktivitäten bestanden ebenfalls darin, durch Ausrüstungsimporte aus der BRD die Störfreimachung der Fotoehemischen Industrie der DDR entgegen den staatlichen Weisungen zu hintertreiben.

Aus diesem Grund schloss er sich den Bestrebungen von Schiebel an und wirkte aktiv mit, dass die zwischen dem VEB Filmfabrik und dem VEB Radebeuler Maschinenfabrik bestehende kooperative Zusammenarbeit abgebrochen und eine weitere Zusammenarbeit mit diesem volkseigenen Maschinenbaubetrieb verhindert wurde.

Durch täuschende und teilweise irreführende Behauptungen und Entstellungen begründete er zugunsten der BRD-Firmen Hoffmann & Schwabe, Krefeld, und Kurt Brückner Importforderungen in Gutachterausschusssitzungen. Dabei hob er wider besseres Wissen das technische Niveau dieser BRD-Lieferanten hervor und diskriminierte das Leistungsniveau des volkseigenen Industriebetriebes, welches er mit dem Stand des Jahres 1936 verglich.

Auch der Beschuldigte Sandt ließ sich von den Methoden der Wirtschaftsführung in BRD-Betrieben (Managertum) blenden und nahm diese zu seinem Vorbild. Beide Beschuldigten erhielten von den BRD-Firmen Ersatzteile für Pkw, Nahrungs- und Genussmittel, Westmarkbeträge, kostenlose Aufenthalte in BRD-Erholungszentren usw.

Beide Beschuldigten haben nach bisherigen Berechnungen der Volkswirtschaft der DDR Schaden in Höhe von 20 Mio. Mark zugefügt. In dieser Summe ist der materielle und moralische Schaden der DDR im internationalen Filmgeschäft, insbesondere in der Zusammenarbeit mit der UdSSR, nicht enthalten.

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    17. Mai 1973
    Information Nr. 417/73 über aufgedeckte feindliche Aktivitäten gegen den Industriezweig Technisches Glas der DDR

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    9. Mai 1975
    Information Nr. 428/73 über die Jahreshauptversammlung der Goethe-Gesellschaft im Juni 1973 in Weimar