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Straftaten im VEB Kombinat Baukeramik

5. November 1973
Information Nr. 1106/73 über die Begehung von Straftaten gegen die Volkswirtschaft der DDR durch zwei leitende Mitarbeiter des VEB Kombinat Baukeramik Boizenburg, [Bezirk] Schwerin

Durch das MfS wurden gegen die Personen Janetschek, Rudolf,1 geboren am [Tag, Monat] 1918, ehemaliger Direktor für Beschaffung und Absatz im VEB Kombinat Baukeramik Boizenburg,2 wohnhaft Boizenburg, [Straße, Nr.], Mitglied der SED und [Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1941, ehemaliger Absatzleiter im VEB Kombinat Baukeramik Boizenburg, wohnhaft Boizenburg, [Straße, Nr.], Mitglied der SED, wegen dringenden Verdachtes begangener Straftaten gegen die Volkswirtschaft der DDR Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet.

Beide Personen haben die ihnen im Rahmen ihrer verantwortlichen Tätigkeit übertragene Verfügungs- und Entscheidungsbefugnis missbraucht und entgegen verbindlicher Rechtsvorschriften Entscheidungen getroffen, durch die sie vorsätzlich der Volkswirtschaft der DDR bedeutenden Schaden zufügten.

Seit 1970 haben beide, gemeinschaftlich handelnd, kapitalistischen Wirtschaftsunternehmen – insbesondere einer Westberliner Firma und zwei Firmen der BRD – unberechtigt und zum Nachteil der Volkswirtschaft der DDR Vorteile verschafft, indem sie

  • unbegründete Rabatte gewährten,

  • ungerechtfertigte Reklamationen anerkannten,

  • Falschdeklarierungen bei Exportlieferungen durchführten und

  • unter Umgehung des Außenhandelsmonopols ungesetzliche Exporte organisierten.

Wie die Untersuchungen weiter ergaben, haben die Beschuldigten insbesondere durch Qualitätsmanipulationen sowjetischer Außenhandelspartner des Kombinates betrogen.

So bevorteilten die Beschuldigten z. B. kapitalistische Handelsfirmen, insbesondere der BRD und Westberlins, zum Nachteil der DDR durch Rabattgewährungen, die zum Teil 50 % des Gesamtwertes getätigter Exportlieferungen betrugen.

Bei der Bearbeitung von durch NSW-Kunden vorgebrachten Reklamationen schalteten die Beschuldigten in zunehmendem Maße den betrieblichen Kontrollmechanismus aus und bevorteilten insbesondere die drei genannten Firmen durch »kulante« Reklamationsregulierungen.

Auch in Fällen, wo die Technische Kontrollorganisation des Kombinates und der Produktionsdirektor berechtigt eine Anerkennung geltend gemachter Reklamationsansprüche ablehnten, verfügten die Beschuldigten eigenmächtig die Begleichung der ungerechtfertigten Forderungen.

Die Beschuldigten schmälerten die Außenwirtschaftsergebnisse weiterhin dadurch erheblich, indem sie bei Preisverhandlungen mit NSW-Kontrahenten deren unbegründeten und ungerechtfertigten Preisreduzierungsforderungen bewusst nachgaben.

Die ungerechtfertigte Bevorteilung kapitalistischer Wirtschaftsunternehmen wird weiter durch die Tatsache bestätigt, dass Warenlieferungen der I. Qualität als solche II. oder III. Qualität3 in Rechnung gestellt wurden.

Durch mithilfe der Beschuldigten vorgenommene falsche Gewichtsdeklarierungen konnten sich BRD-Reexportfirmen ebenfalls Vorteile zum Schaden der DDR verschaffen.

Die Beschuldigten fälschten zu diesem Zweck die entsprechenden Lieferdokumente in Form von Unterfakturierung der Warenlieferungen und verwendeten nicht den Tatsachen entsprechende Preisangaben, Warenbezeichnungen, Mengenangaben und Mengeneinheiten.

Besonders verwerflich war das Vorgehen der Beschuldigten im Rahmen des Exportgeschehens mit der UdSSR.

So wurden seit 1972 bei Exporten in die UdSSR den vertraglich vereinbarten Fliesen I. Qualität solche II. Qualität untergemischt, ohne davon die sowjetische Seite zu informieren und notwendige Preiskorrekturen vorzunehmen.

Neben den Betrugshandlungen gegenüber der UdSSR erfolgte in diesem Zusammenhang gleichzeitig eine Manipulierung des Betriebsergebnisses.

Durch vorgenannte Handlungen der Beschuldigten wurde der Volkswirtschaft der DDR vorsätzlich ein hoher finanzieller Schaden zugefügt, der sich bisher nachweislich auf 2,3 Mio. Valutamark und 0,4 Mio. Mark beläuft.

Die Ermittlungen über die effektiv eingetretenen finanziellen Verluste und den verursachten handelspolitischen Schaden dauern noch an.

Obwohl die Untersuchungen zu den Straftaten der Beschuldigten noch nicht abgeschlossen sind, ist erwiesen, dass beide bewusst und skrupellos ihre Pflichten verletzten, gegen eindeutige staatliche Weisungen verstießen und die eingetretenen volkswirtschaftlichen Schäden in Kauf genommen haben.

Charakteristisch für die Haltung der Beschuldigten ist weiter der Umstand, dass sie sich im Gegensatz zum nach außen hin positiven Auftreten durch Vertreter kapitalistischer Firmen materiell korrumpieren und ideologisch negativ beeinflussen ließen.

Ob den begangenen Straftaten außer der Erlangung persönlicher Vorteile andere Motive zugrunde lagen, kann beim derzeitigen Stand der eingeleiteten Untersuchungen noch nicht beurteilt werden.

Es wird gegenwärtig geprüft, ob die Straftaten der Beschuldigten im Zusammenhang mit den aufgedeckten feindlichen Aktivitäten gegen die Glas- und Keramikindustrie der DDR stehen.4

Der Beschuldigte Janetschek hat im Zusammenwirken mit dem zu zehn Jahren Freiheitsentzug rechtskräftig verurteilten ehemaligen stellvertretenden Generaldirektor des VE AHB Glas-Keramik, Rudolph,5 unter Täuschung der Zollorgane der DDR und der damit verbundenen Verletzung des Außenhandelsmonopols ungesetzliche Exporte in die BRD und nach Westberlin vorgenommen, indem über den Rahmen vorliegender Bezugsgenehmigungen hinaus Fliesenlieferungen in die BRD und nach Westberlin erfolgten.

Zu diesem Zweck wurden die entsprechenden Währungsfakturen gefälscht und Falschdeklarierungen der gelieferten Waren vorgenommen. In diesem Zusammenhang wurde von den Beschuldigten bereits teilweise auf einzelne Lieferbetriebe dahingehend Einfluss genommen, auf der Verpackung keine bzw. falsche Mengen- und Gewichtsangaben anzubringen.

Im Rahmen der Untersuchungen zur Aufklärung der Straftaten von Janetschek und [Name 1] wurden zugleich Mängel in der Leitungs- und Kontrolltätigkeit – insbesondere die Außenwirtschaftsbeziehungen auf dem Gebiet Glas-Keramik und den VEB Kombinat Baukeramik Boizenburg betreffend – bekannt, die die strafbaren Handlungen der Personen begünstigten.

Bereits im Verlaufe der Aufklärungsarbeit wurden deshalb vom MfS im engen Zusammenwirken mit den zuständigen staats- und wirtschaftsleitenden Organen sowie gesellschaftlichen Organisationen zweckmäßige Maßnahmen eingeleitet, um diese begünstigenden Bedingungen weiter einzuschränken und den gegen die Glas- und Keramikindustrie der DDR gerichteten Aktivitäten entgegenzuwirken.

Außer der Realisierung von Maßnahmen, die sich direkt aus der aufgedeckten Feindtätigkeit im Industriezweig Glas und Keramik ergaben, wurde im Zusammenhang mit der Situation im VEB Kombinat Baukeramik Boizenburg bisher u. a. Folgendes unternommen:

  • Im November 1971 wurde aufgrund vorliegender Hinweise auf Unregelmäßigkeiten im Verantwortungsbereich des Janetschek gegen den stellvertretenden Leiter der Bilanzstelle im VEB Fliesenwerke Boizenburg, [Name 2], ein Verfahren vor dem Kreisgericht Schwerin angestrengt, in dessen Ergebnis [Name 2] wegen passiver Bestechung rechtskräftig verurteilt wurde.

Janetschek, dem die Bilanzstelle unterstand, wurde damals bereits auf Pflichtverletzungen und Manipulationen in seinem Direktionsbereich hingewiesen, war jedoch bemüht, die erhobenen Vorwürfe abzuwerten.

  • Zur Untersuchung der strafbaren Handlungen von Janetschek und [Name 1] insbesondere auf dem Gebiet der Exporttätigkeit wurde vom MfS eine Expertenkommission eingesetzt, deren Aufgabe darin bestand, neben der Erarbeitung von Beweismaterial zum Nachweis der Pflichtverletzungen des J. und [Name 1] weitere Kräfte zur Herstellung der gesetzlichen Ordnung und zur Durchsetzung der Prinzipien von Sicherheit und Ordnung zu mobilisieren.

  • Eine weitere Expertenkommission, die im November 1973 ihre Tätigkeit aufnimmt, soll sowohl die subjektiven als auch objektiven Ursachen, die zu den vorgefundenen Missständen im VEB Kombinat Baukeramik geführt haben, allseitig aufdecken und entsprechende Vorschläge zu deren Überwindung unterbreiten.

  • Es ist seitens des MfS weiter vorgesehen, die zuständigen staats- und wirtschaftsleitenden Organe bei der Überwindung aufgedeckter Mängel und Schwächen in geeigneter Form zu unterstützen sowie zur Stabilisierung der Leitungstätigkeit im Direktionsbereich Beschaffung und Absatz des VEB Kombinat Baukeramik und zum schrittweisen Abbau der Störeinflüsse speziell im Bereich der Exporttätigkeit des Kombinates beizutragen.

  1. Zum nächsten Dokument 2. Vollversammlung der Pastoralsynode in der DDR

    8. November 1973
    Information Nr. 1124 über die zweite Vollversammlung der Pastoralsynode der katholischen Kirche in der DDR vom 19. bis 21. Oktober 1973 in Dresden

  2. Zum vorherigen Dokument Explosion im VEB Faserplattenwerk Ribnitz-Damgarten

    31. Oktober 1973
    Information Nr. 1119/73 über das Ergebnis der Untersuchung einer Explosion mit Brandfolge im VEB Faserplattenwerk Ribnitz-Damgarten am 24. September 1973 und daraus resultierende Maßnahmen