Synode der Evangelischen Kirche des Kirchengebietes Görlitz
11. April 1973
Information Nr. 336/73 über die in der Zeit vom 30. März bis 2. April 1973 in der Frauenkirche in Görlitz stattgefundene Frühjahrssynode der Evangelischen Kirche des Kirchengebietes Görlitz
Dem MfS wurden über den Verlauf der oben genannten Frühjahrssynode Einzelheiten bekannt, die über bisherige offizielle Veröffentlichungen in westdeutschen Kommunikationsmitteln hinausgehen.
Bischof Fränkel1 hielt am 30.3.1973 um 20.00 Uhr in Anwesenheit von ca. 500 Personen einen Vortrag mit dem Thema: »Ein Wort zur öffentlichen Verantwortung der Kirche in der gegenwärtigen Stunde«.2 In diesem Vortrag wandte sich Fränkel offen gegen bestimmte Praktiken des Staatsapparates in der DDR hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Geistlichen und Christen und trat in diesem Zusammenhang mit provozierenden Äußerungen und Forderungen auf.
(Unter anderem führte er aus, bei Gesprächen mit staatlichen Vertretern und während der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR3 sei wiederholt zum Ausdruck gekommen, dass die Kirche kein Recht zur Mitsprache habe.
In Bezug auf die Veranstaltungsverordnung brachte er zum Ausdruck, dass die Kirchenleitung jeden kirchlichen Mitarbeiter unterstützen werde, den staatliche Stellen wegen Nichteinhaltung der Veranstaltungsverordnung »zur Rechenschaft ziehen«4 sollten.5
Fränkel ging weiter auf die sozialistische Erziehung an den Schulen ein und stellte hierbei die führende Rolle der Partei und die marxistische Ideologie infrage.
Ein weiterer Punkt seiner Ausführungen befasste sich mit Voraussetzungen für die Mitarbeit der DDR im Rahmen der UNO.6 Er verband dies mit Forderungen an die Regierung der DDR, die sich mit den Zielen der Politik der SPD decken, wie z. B. »die Grenzen durchlässig zu machen«7 und den »Sozialismus humaner zu gestalten«.8
Den von der SED erhobenen Führungsanspruch müsse die Kirche einengen.9
Er ging weiter auf die zwischen der DDR und der BRD abgeschlossenen Verträge10 ein und erklärte in diesem Zusammenhang, dass den Kirchen in der DDR nicht das Recht beschnitten werden dürfe, ihre Meinung zu öffentlichen Fragen zu äußern.)11
Die provokatorischen Aussagen im Bericht Fränkels werden bei breiter Zitierung bestimmter Passagen gegenwärtig in westlichen Kommunikationsmitteln zum Anlass genommen, Bischof Fränkel als »besonders mutigen Kirchenmann« herauszustellen. (Unter anderem RIAS, »Süddeutsche Zeitung«,12 »Tagesspiegel«,13 »Morgenpost«14) Dabei wird Fränkel eingeräumt, er habe ein »Plädoyer für die Respektierung der Menschenrechte und für echte Toleranz« gehalten. (Der volle Wortlaut des Berichts von Fränkel liegt dem MfS vor und kann bei Bedarf angefordert werden.)
Am 1.4.1973 tagten die Arbeitsausschüsse der Synode u. a. auch zum Bericht von Bischof Fränkel.
Am 2.4.1973 wurde die Tagung mit der Berichterstattung des ersten Berichtsausschusses speziell zum Bischofsbericht und dem ersten Teil des Tätigkeitsberichts der Kirchenleitung fortgesetzt.
Aus dem Bericht des Ausschusses 1 (Anlage) ist erkennbar, dass dieser Ausschuss sich voll hinter den Bericht von Bischof Fränkel stellte.
Nachdem der Berichterstatter, Pfarrer Wähner,15 Buchholz, den Beschluss des Ausschusses 1 begründete, wurde durch den Synodalen May,16 Görlitz, die Diskussion eingeleitet.
May brachte in seinem Diskussionsbeitrag zum Ausdruck, dass die von Bischof Fränkel in seinem Bericht angeführten Fakten keinesfalls dazu beitragen würden, das Verhältnis Staat und Kirche zu normalisieren.
Er unterbreitete den Vorschlag, als Vermittler sachlicher Gespräche über die CDU zwischen Staatsapparat und Kirche zu fungieren.
Für die Aussagen im Bericht von Fränkel sprachen sich nachdrücklich vor allem folgende Synodale aus:
Der Synodale Bast,17 Rentner, Laie, Kirchenkreis Hoyerswerda, pflichtete den Ausführungen Bischof Fränkels bei und betonte, es gehe heute darum, die Rechte der Kirche wahrzunehmen. In diesem Zusammenhang sprach er sich auch gegen die Veranstaltungsverordnung aus.
Der Synodale Scheibert,18 Rentner, ehemals Lehrer der kaufmännischen Berufsschule Görlitz, sagte, er sei Lehrer in einer sozialistischen Schule und Mitglied der CDU gewesen. Die CDU sei niemals für die Christen eingetreten, und da sie immer Sprachrohr des Staates gewesen wäre, sei er ausgetreten.
Da es bei den Beiträgen Bast und Scheibert großen Beifall gab, sah sich Superintendent Maiwald19 als Leiter des Präsidiums der Synode veranlasst, darauf hinzuweisen, Beifallsbekundungen zu unterlassen; die Synode solle nüchtern und sachlich, ohne Emotionen beraten.
Der Synodale Pfarrer Hennig,20 Kirchenkreis Niesky, brachte zum Ausdruck, dass seine Meinung mit dem Bischofsbericht und dem Beschluss des Berichtsausschusses übereinstimme. Er verstehe den Synodalen May nicht. Durch die völkerrechtliche Anerkennung der DDR werde die außenpolitische Funktion des Staates sicherer. Im gleichen Maße müsste aber auch innenpolitisch die Meinung der Christen gehört und akzeptiert werden.
Der Synodale Linke,21 Diakon in Rothenburg, Kreis Niesky, erklärte, es sei gut, dass der Bischof zur öffentlichen Verantwortung der Kirche Stellung genommen habe. Er habe in seinem Bericht aber nur einen kleinen Teil dessen angeführt, was die Christen täglich bedrücke.
Synodaler Hamann,22 LPG-Buchhalter Königshain, Kreis Görlitz, betonte, er stehe voll hinter den Ausführungen des Bischofs. Eine Bestätigung habe er darin erfahren, dass an der POS Königshain einem Schüler aufgrund seines Glaubens der Besuch der Vorbereitungsklasse der EOS verweigert werde. (Es handelt sich dabei um den Sohn des Kirchenleitungsmitglieds Pfarrer Günter Dreßler23 aus Königshain.)
Der Präses der Synode, Superintendent Holzhey,24 Kirchenkreis Ruhland, äußerte, die Christen wüssten, dass Bischof Fränkel schon immer »leidenschaftlich für die Einhaltung der Menschenrechte in der ganzen Welt« eingetreten sei.
Die Kirche in Görlitz habe in der Vergangenheit und heute immer »das gesagt, was andere Kirchen dachten, aber nicht aussprachen«.
Die Vertreter des Staates sollten »alles so ernst nehmen, was sie hier gehört haben, wie wir es gesagt haben«.
Es sei doch bedenklich, wenn immer stärker für die Evangeliumsverkündung Polizeistrafen und Pfändungsbescheide verfügt würden. Die Kirche sei nicht bereit, sich mit der jetzt gültigen Veranstaltungsverordnung abzufinden.
Zustimmung zu den Ausführungen von Holzhey gab es von den Synodalen Pfarrer Mildner,25 Synodaler Urban,26 Laie, LPG Friedersdorf, Kreis Görlitz.
Im Anschluss daran ergriff Bischof Fränkel das Wort, um diese Diskussion, von der er offensichtlich sehr befriedigt war, abzuschließen.
Dabei lehnte er den Vorschlag des Synodalen May ab und erklärte dazu, er betrachte den Beitrag von May nicht als einen Angriff, sondern jeder Satz sei »aus innerer Not« gesprochen. Vor ihm liege ein ausgezeichneter Satz von Werner Krolikowski,27 Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED, den er in einer Rede anlässlich einer Jugendweihefeier zitiert habe: »Der Marxismus-Leninismus ist der zuverlässige Kompass …« Aus diesem Satz spreche die innere Überzeugung dieses Mannes für seine Sache. Wenn die Synode in diesem Satz Marxismus-Leninismus streichen und »Christus« einsetzen würde, dann sei die Aussage voll richtig.
In seinen Ausführungen verwies Fränkel weiter auf einen Empfang anlässlich des Jahrestages der DDR in Görlitz, an dem Pastor Niemöller28 aus der BRD teilgenommen hatte. Er bezeichnete in diesem Zusammenhang die Bausoldatenlösung als einen »Silberstreifen am Horizont«.29 Dieses Problem sei aber in der DDR noch unbewältigt, und er wünsche eine »Lösung in echter Toleranz«.
Der Beschluss des Berichtsausschusses 1 (Bericht von Bischof Fränkel an die Synode) wurde mit zwei Stimmenthaltungen von den Synodalen angenommen. (Stärke der Synode: 76 Synodale.)
Die Arbeit der zwei weiteren Berichtsausschüsse behandelte im Wesentlichen innerkirchliche Probleme.
Als Gäste waren von der Görlitzer Synode folgende Vertreter westdeutscher Kirchen eingeladen worden:
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Präses Liegnius,30 Evangelische Kirche im Rheinland,
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Bischof Harms,31 Oldenburg,
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Superintendent Dr. von Stieglitz,32 Evangelische Kirche von Westfalen.
Die Ablehnung dieser Einreisen durch den Staatsapparat wurde durch Bischof Fränkel und andere Diskussionsredner während der Synode mehrfach zum Anlass provokatorischer Äußerungen gegen den Staatsapparat genommen.
Bei der diesjährigen Synode war erstmalig im Tagungsraum ein Platz mit dem Schild »Presse« ausgezeichnet, auf dem die erforderlichen Arbeitsmaterialien der Synode lagen. Dieser Platz blieb die ganze Zeit unbelegt. Nach bisherigen Überprüfungen des MfS haben sich zum Zeitpunkt der Synode auch keine Journalisten der BRD in Görlitz aufgehalten.
Intern ist dem MfS bekannt, dass Bischof Fränkel dafür Sorge getragen hat, dass die Materialien der Synode noch während der Tagung durch eine Kurierverbindung über die Hauptstadt der DDR an bestimmte Personen in der BRD überbracht wurden.
Offensichtlich ist die ausführliche Berichterstattung über die Görlitzer Synode in westdeutschen Kommunikationsmitteln auf diese Tatsache zurückzuführen.
Die als intern bezeichneten Passagen der Information sind nicht zur öffentlichen Auswertung, sondern nur zur persönlichen Informierung bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 336/73
Berichtsausschuss I. Bischofsbericht
Der Berichtsausschuss legt folgenden Beschlussantrag vor:
Die Synode nimmt den Vortrag »Ein Wort zur öffentlichen Verantwortung der Kirche in der gegenwärtigen Stunde« dankbar entgegen und empfiehlt ihn den Pfarrkonventen und Gemeindekirchenräten zu Studium und Stellungnahme.
Sie weiß sich mit ihrem Bischof darin eins, dass solche öffentliche Verantwortung unverzichtbar und mit dem Auftrag der Kirche unmittelbar gegeben ist, die Versöhnung Gottes mit der Welt zu proklamieren, Taten der Versöhnung zu tun und für Versöhnung einzutreten.
Die Synode stimmt Bischof Fränkel zugleich in dem Urteil zu, dass eine evangelische Kirche in der DDR, die ihre öffentliche Verantwortung erkannt hat, in der gegenwärtigen Stunde nicht daran vorübergehen kann, dass mit dem Abschluss des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland ein bedeutender Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte erreicht ist.
Die Synode dankt Gott, dem Herrn, für die in dem Vertragsabschluss zum Ausdruck gekommene Bereitschaft zur Entspannung und für die in ihm enthaltene Chance zu Schritten der Annäherung und Versöhnung. Sie dankt auch dafür, dass in der gegenwärtigen Stunde neue Möglichkeiten für den einzelnen gegeben sind, etwas zur Verständigung unter den in verschiedenen Gesellschaftssystemen lebenden Menschen zu tun.
Die Synode mahnt die Gemeinden und ihre Glieder, die Aufgaben in dieser neuen Situation zu erkennen und anzunehmen, nämlich die gewachsenen Möglichkeiten der Begegnung für die Vertiefung friedlicher Beziehungen zu nutzen, in den Gesprächen sachlich, offen und wahrhaftig zu sein und sich etwa bietende Reisemöglichkeiten verantwortlich zu gebrauchen.
Die Gemeinden sollten darauf bedacht sein, dass in vielfältiger Form unter Gottes Wort Besinnung und Aufgaben öffentlicher Verantwortung und zugleich Ermutigung zu gesellschaftlicher Mitarbeit geschieht.
Die Synode bittet die Regierung der DDR, bei dem erreichten Status der Verständigung nicht stehen zu bleiben, sondern weitergehende rechtliche Vereinbarungen anzustreben, insbesondere auf dem Gebiet menschlicher Kommunikation und des Austausches von Informationen und Ideen. Sie bittet ferner, besonders im Hinblick auf die bevorstehende Aufnahme unseres Staates in die Vereinten Nationen, den Grundsatz des gleichen Rechts auf Bildung für alle, unter dem die DDR ihren Weg angetreten hat, nicht fallen zu lassen. Gerade im Bereich der Schule sollte auch das anerkannte Recht der Glaubens- und Gewissensfreiheit unbedingt Geltung behalten. Schließlich bittet die Synode die Regierung, die Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung durch ihre christlichen Staatsbürger nicht dadurch zu erschweren, dass sie Zusammenkünfte unter Gottes Wort, die der Besinnung und Zurüstung dafür dienen, administrativ einengt.33