Synode des Bundes der Evangelischen Kirche in Schwerin
30. Mai 1973
Information Nr. 486/73 über die Synode des Bundes der Evangelischen Kirche in der DDR vom 25. bis 29. Mai 1973 in Schwerin
Zum Verlauf der Synode in Schwerin wurden dem MfS weiter folgende Einzelheiten bekannt (siehe auch Information Nr. 478/73 vom 26.5.1973):1
Am 26.5.1973, um 9.00 Uhr, erfolgte die offizielle Eröffnung der Synode mit einer von Landesjugendpfarrer Günther,2 Potsdam, gehaltenen Andacht. Er sprach u. a. über seine kürzliche Reise nach Amerika und seinen dortigen Aufenthalt bei einem Pfarrerehepaar in Washington. Er brachte zum Ausdruck, dass Christen überall eine gemeinsame Sprache finden müssten, die man verstehe in der Gemeinde und in der Gesellschaft. Worte müssten Brücken bauen zwischen verschiedenen Meinungen.
Vom Legitimationsausschuss wurde danach die Anwesenheit der Synodalen festgestellt. Von 60 Synodalen waren 58 anwesend, womit die Beschlussfähigkeit der Synode bestätigt wurde.
Anschließend begrüßte der Präses der Synode, Bischof Braecklein,3 die anwesenden Gäste. (Ein Vertreter der Russisch-orthodoxen Kirche war nicht erschienen. Bischof Theissing4 hatte einen Vertreter entsandt; er selbst nahm am Gottesdienst am 27.5.1973 teil.)
Bei der Begrüßung von Prof. Lohse,5 Hamburg, wurde besonders betont, dass erstmalig ein Vertreter der »Evangelischen Kirche in Deutschland« an einer Synode des Bundes teilnimmt.
Als Gast der Ökumene6 überbrachte Piet Bouman7 die Grüße des Generalsekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen Potter.8 Er hob hervor, dass nirgends das Antirassismus-Programm9 des ökumenischen Rates der Kirchen so viel Anklang gefunden habe wie bei den Kirchen in der DDR. Die Mitarbeit des Vertreters des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR10 in der Ökumene in Genf habe sich positiv ausgewirkt.
Die Synode richtete einen Gruß an den erkrankten Staatssekretär für Kirchenfragen, Genosse Seigewasser.11
Der ehemalige Landesbischof von Mecklenburg, Dr. Beste,12 der als Ehrengast an der Synode teilnimmt, sprach ein Grußwort und begrüßte darin die Notwendigkeit der Bildung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR. Die Situation der Kirchen sei, wie sie sich bis 1968 entwickelt hat, nicht mehr haltbar gewesen. Der Bund sei in der DDR das gegebene Kirchenforum.
Organisatorische Veränderungen allein seien jedoch nicht ausreichend. Entscheidend sei nicht, was getan wird, sondern »wie« es getan wird. Er wünschte der Synode für die zweite Legislaturperiode alles Gute.
Prof. Lohse, Hamburg, überbrachte die Grüße der »Evangelischen Kirche in Deutschland« und betonte u. a., dass der »Geist der Verständigung und ökumenischen Zusammenarbeit« weiter gefördert werden sollte. Die Zeugnis- und Dienstgemeinschaft drücke die Aufgaben der Kirchen exakt aus. Die alte Generation, die in der Bekennenden Kirche13 im Widerstand gegen den Hitlerstaat stand, trete ab. Für die neue Legislaturperiode mögen solche Leute gewählt werden, die den Bund fachlich gut leiten können.
Dr. Blauert,14 Berlin, erstattete den Bericht des Sonderausschusses, der seit Juni 1972 viermal zusammengetreten war.15 (Ihm gehören sieben Synodalen, das Präsidium der Synode sowie Mitarbeiter des Sekretariats des Bundes an.)
Aufgabe des Ausschusses war es u. a., das Ergebnis von Aufwand und Ergebnis der Synodenarbeit zu prüfen.16 Dazu erwähnte Blauert, die Gemeinden würden sich an das von der Synode Gesprochene und Beschlossene halten. Die Synodalen hätten in den Landeskirchen und in den Gemeinden nicht ihre Position gefunden; deshalb ergebe sich die Frage, ob die Arbeit überhaupt sinnvoll sei.
Zur Bedeutung der Synode wurde zum Ausdruck gebracht, dass diese sich »in die sozialistische Gesellschaft in der DDR gestellt« habe und noch am Anfang einer notwendigen »Bewusstseinsbildung« stehe. Dr. Blauert behandelte dann die Frage des Selbstverständnisses der Christen und brachte zum Ausdruck, dass die Synode die Aufgabe habe, einen »Brückenschlag zu vollziehen zwischen Gesellschaft und Kirche«.
Dr. Blauert stellte heraus, es gäbe Meinungsverschiedenheiten zwischen der Konferenz der Kirchenleitungen17 und der Synode, die u. a. darauf beruhen würden, dass sich die Aufgaben überschneiden. Der Sonderausschuss mache deshalb den Vorschlag, die Legislaturperiode der Synode auf sechs Jahre (bisher vier) zu verlängern.
Bei der Wahl des Präses der Synode sei zu berücksichtigen, ob nicht im stärkeren Maße als bisher eine Aufgliederung der Funktion des Präses innerhalb des Präsidiums möglich sei.18 Außerdem sei zu bedenken:
Kann der Präses, wenn er hauptamtlich bei der Kirche angestellt ist, von anderen Aufgaben freigestellt werden?
Kann er, falls er in einem nichtkirchlichen Berufe steht, die für seine Aufgabe als Präses notwendige Zeit aufbringen?19
Dr. Blauert führte aus, dass der Rechtsausschuss mit einer Verlängerung der Legislaturperiode nicht einverstanden sei. Er empfahl, dass die nächste Synode am Ende ihrer Legislaturperiode eine Verlängerung beschließt.
Der Präses der Synode machte den Vorschlag, den Bericht des Sonderausschusses an die Synode als Arbeitsmaterial zu geben.
Anschließend erfolgte die Bestätigung der vier Tagungsausschüsse:
- –
Berichtsausschuss
- –
Kommissionsausschuss
- –
Synoden- und Konferenzausschuss
- –
Ausschuss für die Bundessynode
Dann verlas Bischof Schönherr20 den Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen,21 der gegenüber dem Entwurf einige positive Veränderungen aufweist.
So heißt es z. B. im Entwurf (S. 8): »… Zum anderen ist es die Herausforderung durch den dialektischen Materialismus, der die ideologische Grundlage der sozialistischen Gesellschaft der DDR ist.« Das ist geändert worden in: »… dialektischer Materialismus, der die ideologische Grundlage der SED ist.«22
Im Entwurf (S. 10): »… Viele junge Christen sind bereit, für ihren sozialistischen Staat einzutreten …«
Das ist geändert in: »… sind bereit, für den Sozialismus einzutreten …«23
Im Entwurf (S. 17): »Der Bund und die anderen Kirchen.« Das ist geändert in: »Die kirchlichen Außenbeziehungen des Bundes.«
Am Abend des 26.5.1973 fand für alle Synodalen ein Empfang bei der Kirchenleitung der Mecklenburgischen Landeskirche statt.
Der zweite Beratungstag begann mit einem Gottesdienst in der Schelfkirche, gehalten von Bischof Rathke,24 Schwerin.
Danach wurde die am Vortag begonnene Generaldebatte zum Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen fortgesetzt. Synodalpräses Cieslak25 eröffnete die Diskussion mit dem Hinweis, dass die Synode nicht mehr »so müde« verlaufen werde wie bisher, da genügend Stoff herangetragen worden sei.
In der Diskussion sprachen u. a.:
Studentenpfarrer Uhle-Wettler,26 Magdeburg. Er nahm in sehr negativer und zynischer Form zum Bericht Stellung und brachte zum Ausdruck, dass die Gemeinden immer mehr »fellachisiert«27 (d. h. versklavt) werden, weil Christen immer weniger akademische Berufe ergreifen können. Dies würde den ständigen Unwillen der christlichen Bevölkerung hervorrufen. Der Sozialismus würde sich so selbst wertvoller Mitarbeiter berauben. Er betonte die »Gemeinsamkeit« mit den westdeutschen Kirchen entsprechend Artikel 4.4. der Ordnung des Bundes.28 Diese »Gemeinsamkeit« sei mehr als »bilaterale Verbindungen«, wie es im Bericht zum Ausdruck kommt.
Bischof Hempel,29 Dresden, ging auf das Verhältnis Synode – Kirchenleitungskonferenz ein. Nach seiner Meinung werde die Synode unterbewertet, da sie zu wenig Entscheidungen treffe. Die Konferenz der Kirchenleitungen sei der Kopf des Bundes.
Es müsse die Frage gestellt werden, ob es auf die Dauer so weitergehen oder ob man nach anderen Möglichkeiten suchen solle. Man solle die Synode stärker in Anspruch nehmen für Entscheidungsfindungen des Bundes. Bisher würde die Rückkopplung zu den Landeskirchen fehlen.
Landesjugendpfarrer Günther, Potsdam, betonte, dass die Bilanz der Konferenz der Kirchenleitungen bewirkt habe, festgestellte Mängel abzustellen. Er kritisierte die fehlende politische Aktualität im Bericht. Es sei ein Mangel, dass nichts gesagt werde zur neuen Situation in Europa, zu Vietnam30 usw. Mit dem Begriff »Weltverantwortung« könne man nicht hausieren gehen, da müsse man sich konkreter fassen. Die Teilnahme der DDR an der UNO erfordere aktive Mitarbeit, nicht nur Repräsentanz.31 Er hoffe, dass die Synode noch etwas zu dieser Problematik sagen werde. Bisher sei alles nur zaghaft und ohne ein entscheidendes Wort zugeschnitten worden.
Oberkirchenrat von Brück,32 Radebeul, bezog sich auf die Veranstaltungsverordnung33 und führte aus, diese Problematik habe seit zwei Jahren auf der Tagesordnung gestanden. Er sprach den Dank für die erfolgte Lösung dieser Frage an Staat und Kirche aus und brachte zum Ausdruck, dass ein sachgerechter Weg gefunden wurde. Er gab zu, dass in dieser Frage auch »Missbrauch« getrieben worden wäre.34 Er forderte Aktivierung der Bundessynode. Man solle nicht resignieren, sondern seine Stimme geltend machen.
Der Synodale Diplom-Landwirt Herrmann,35 Schmiedeberg, sprach in negativer Form über die Veranstaltungsverordnung und kennzeichnete die ab 1.6.1973 in Kraft tretende Neuregelung als einen »Erfolg des engen Zusammenhaltens der Kirchen«.36 Diesen Erfolg müsse man ausbauen und in Anwendung bringen bei solchen Fragen wie Konfirmation und Jugendweihe.37
Pfarrer Kramer,38 Magdeburg, erklärte, es sei wichtig, dass man an der »Gemeinschaft der Christen« festhalten müsse. Er wandte sich insbesondere gegen einen Artikel des Abteilungsleiters Kirchenfragen im Hauptvorstand der CDU Quast39 in der »Neuen Zeit«40 (in dem dieser sich mit den Ausführungen von Albert Norden41 über den »Staatsbürger christlichen Glaubens« beschäftigte42) und sprach sich gegen die »Unterbewertung der Christen« aus.43
Bischof Fränkel,44 Görlitz, sprach insbesondere über die Probleme der Volksbildung. Er bemerkte, dass es harte Einzelfälle gegeben habe, die behoben werden konnten. Wichtig sei, was dahinterstehe. Dahinter stehe doch eben das einheitliche marxistische Erziehungsideal und Erziehungsziel. Von den Marxisten werde die Unteilbarkeit der marxistischen Weltanschauung vertreten, die die Christen nicht akzeptieren können. Jeder Einsatz und jedes Engagement im sozialistischen Staat bedeute eine Ausklammerung der atheistischen Forderung, die mit dem unteilbaren dialektischen Materialismus verbunden ist.45 Dies bedeute, dass der christliche Glaube dieses marxistische absolute Erziehungsziel relativiert.46 Von der christlichen Gemeinde »müsse diese Spannung ausgehalten werden«. Dies würde junge Christen prinzipiell vor große Schwierigkeiten stellen. Er wies auf die Notwendigkeit des konstitutiven Toleranzprinzips hin, dass nur durch Beschränkung jeder Benachteiligung erreicht werden könne.47
Aber er wolle nicht grenzenloser Liberalisierung und dem Pluralismus das Wort reden. Er polemisiere nicht gegen das Erziehungsprinzip unseres Staates, aber es müsse mit dem Toleranzprinzip in Einklang gebracht werden.48 Keine Ordnung, auch nicht die des Sozialismus, könne ausklammern, dass sie nach christlichem Verständnis auch unter den Gesetzen des Schöpfers stehe. Es gäbe keinen letzten theologischen Grund, sich dem Engagement im Staat – auch nicht in einem sozialistischen – zu entziehen, denn alle Ordnung sei nach christlicher Vorstellung von Gott gewollt. Unser Staat habe ja vor einigen Jahren ein Beispiel gegeben mit dem Wehrersatzdienst.49 Er sprach weiter von der »Weltverantwortung« und gab seiner Freude Ausdruck über die abgeschlossenen Verträge. Er sagte, dass neben der Koexistenz auch eine Kooperation notwendig sei. Es gäbe ja nicht nur eine Koexistenz zwischen Staaten und Völkern, sondern auch zwischen den Menschen. Auch im weltweiten Maßstab müsse das Toleranzprinzip angewandt werden. Das wiederum sei eine moralische Hilfe für unseren Staat, die inneren Spannungen zwischen dem Erziehungsziel (marxistische, d. h. atheistische Weltanschauung) und dem Toleranzprinzip auszuhalten.
»Wir müssen sehen, dass eine Reihe beschwerlicher Fälle geregelt werden konnte, aber man kann das Problem nicht auf solche Fälle abtun.« Nicht übersehen werden dürfe die »große Spannung« zwischen dem Bildungsziel unseres Staates und der Glaubensgebundenheit christlicher Kinder. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit sei verfassungsmäßig50 garantiert.51
Es bestehe die Gefahr, dass eine »Liberalisierung und Erweichung des Standpunktes der Kirche« erfolgen könnte. Er habe Verständnis für das Bemühen der sozialistischen Gesellschaft, ihre Identität zu wahren. Er bestehe aber auch darauf, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit als vorgegeben anerkannt werde, d. h. dass die vorgegebenen Menschenrechte (UNO) bewusst angewandt werden. Geschieht das nicht, könne die Gesellschaft ihre Identität verlieren.52
Der Synodale Chefarzt Dr. Hasse,53 Eisenach, erklärte, dass religiös gebundene Staatsbürger manchmal »schizophren« seien. Einmal seien sie Christen und zum anderen Staatsbürger eines sozialistischen Staates und befänden sich dadurch in Widerspruch. Er sprach von den »Schwierigkeiten« christlicher Eltern, für die es ein Problem sei, wenn die Kinder Mitglied der FDJ seien und zur Jugendweihe gehen. Er verwies auf Aufgaben für die Christen, z. B. bei der Bekämpfung der Rauschgiftsucht, des Alkoholismus usw.
Oberkirchenrat Siegert,54 Schwerin, ging auf die Frage der Volksbildung im Zusammenhang mit dem Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen ein. Er sagte, die Konferenz der Kirchenleitungen habe sich bemüht, mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen in dieser Angelegenheit ins Gespräch zu kommen. Auf den Brief der Synode an den Staatssekretär in dieser Angelegenheit habe es jedoch noch keine Antwort gegeben. Es sei kein Grund, dass der Staatssekretär selbst erkrankt ist. Wenn es zu keinem Gespräch komme, müsse die Synode selbst die Initiative ergreifen und sich einen anderen Gesprächspartner wählen, wie z. B. das Diakonische Werk in Fragen der Schwangerschaftsunterbrechung sich an die Volkskammer wandte und dadurch die Möglichkeit zu einem Gespräch mit dem Minister für Gesundheitsweisen hatte.55 Die Synode sollte auch die Volkskammer ansprechen, um ein Gespräch mit dem Volksbildungsminister zu bekommen. Taktische Überlegungen wären nicht angebracht. »Seit 1953 erleben wir, dass unsere Kinder der atheistischen Propaganda ausgesetzt sind. Wenn die Kirche sich für hirngeschädigte Kinder einsetzen darf, dann müsste sie sich auch für gesunde Kinder einsetzen dürfen.«56
Siegert verwies auf Mathäi 18 im Neuen Testament, ohne konkret zu werden oder einen bestimmten Vers zu zitieren und sagte, »so wird Gott mit denen umgehen, die uns die Kinder abspenstig machen«. (»Ev. Mathäi 18« siehe Anlage)
Bischof Braecklein, Eisenach, erklärte, dass das Volksbildungsproblem sicher eine »beschwerliche Frage« sei für die Christen. Man müsse jedoch die ganze Wahrheit sehen.
Es sei ohne Zweifel so, dass die Christen seit geraumer Zeit in dieser Frage unruhig sind; aber auf der anderen Seite habe der Staat klare Gesetze, nach denen christliche Praxis und christliches Zeugnis erlaubt seien.
Es sei auch wahr, dass es keine Kirchenleitung gäbe, die nicht in den letzten eineinhalb Jahren mit Organen des Staates im Gespräch war, und es sei die Wahrheit, dass in den Fällen, wo eine Überspitzung nachgewiesen werden konnte, von den staatlichen Organen Abhilfe geschaffen worden sei.
Es wäre bedrückend, wenn die Synodalen aus dieser Synode mit Klagen und Anklagen herausgehen würden. »Wo solche Dinge passieren, sollten die Gemeinden aktiv werden und die Fragen gemeinsam mit den staatlichen Organen klären.« Pfarrer Hartmut Grüber,57 Hohenbruch, wandte sich gegen den Beitrag von Oberkirchenrat Siegert und erklärte sinngemäß, man dürfe nichts überspitzen. Für ihn sei es »befremdlich«, dass so geredet werde, als wenn es für Christen nicht normal sei, dass sie aus ihrem Glauben auch gewisse Konsequenzen tragen müssten. »Christsein« schließe von jeher Entsagung und Anpassung ein.
Oberkirchenrat Gerhard,58 Dessau, brachte zum Ausdruck, dass es in den meisten Landeskirchen keine »christliche Unterweisung« mehr gäbe, nicht weil der Staat dies verhindere, sondern weil Katecheten fehlen. Auch die meisten Ausbildungsstätten würden aus Mangel an Nachwuchs geschlossen.
Landessuperintendent Schröder,59 Parchim, wandte sich vor allem gegen die Ausführungen von Grüber und führte Beispiele an, wonach Kinder wegen ihres christlichen Glaubens trotz guter Leistungen nicht zur Fachschule zugelassen wurden. Hier gehe es nicht um eine Synode des Staates, sondern um eine Synode der Kirche. Dem Staat müsse es peinlich sein, dass derartige Dinge vorkommen.
Der Synodale Facharzt Dr. Opitz,60 Bad Salzungen, wandte sich ebenfalls gegen Grüber und erklärte, wenn die Christen »leiden müssen«, dann sollten die Pastoren sich erst einmal mit ihnen solidarisieren. Die Pastoren hätten ihre Privilegien, ihre Auslandsreisen, ihre Limousine aus dem Westen.
Dozent Dr. Seils,61 Naumburg, versuchte auf ein anderes Thema abzulenken und ging auf theologische Fragen ein. Er forderte die Synodalen auf, über das Thema »Kirche für andere«62 doch noch weiter zu diskutieren. Man sollte auch untersuchen, wie die Kirche sich zur sozialistischen Gesellschaft verhält.
Bischof Schönherr hielt das Schlusswort zur Diskussion. Er brachte zum Ausdruck, dass es nicht Schuld des staatlichen Partners sei, dass das Gespräch vom 26.6.1972 noch nicht fortgesetzt wurde.63 Der Kirchenbund habe bis Mitte Januar gebraucht, um eine Antwort zu formulieren. Dann habe er ein Angebot zum Gespräch gemacht. Ursprünglich sei hierfür der 22./23.5.1973 vorgesehen gewesen, aber nun sei der Staatssekretär erkrankt und er lege großen Wert darauf, das Gespräch selbst zu führen. Das müsse respektiert werden.
Die Fragen der Volksbildung seien nicht zum ersten Mal angesprochen worden. Das sei schon auf der Dresdener Synode64 der Fall gewesen, und auch die Konferenz der Kirchenleitungen habe sich mit dieser Angelegenheit beschäftigt. Er wolle noch einige Gesichtspunkte hinzufügen:
- 1.
Unsere sozialistischen Partner haben selbst in ihrer Jugend erfahren müssen, wie sie wegen ihrer politischen Überzeugung von den Lehrern diffamiert wurden.
- 2.
Man müsse aus der Geschichte lernen und eine gerechte Gesellschaft für alle schaffen.
Schönherr führte weiter aus, dass es in der Kirche ein großes Reservoir an gutem Willen gäbe, aufgrund des christlichen Glaubens Opfer für andere Menschen zu bringen. Eine Gesellschaft sollte sich dieses guten Willens nicht selbst berauben. Im Sozialismus sollten die Menschen befähigt werden, ihren Egoismus zurückzustellen und zum Wohl des Ganzen tätig zu sein. Man sollte junge Menschen fördern, die eine extrem hohe Begabung haben. Wenn ihnen die Möglichkeit zur Anwendung dieser Gaben nicht gegeben wird, verlieren sie auch für andere Dinge die Lust. Das würde sich auch auf ihre Haltung gegenüber dem Staat negativ auswirken. Diese Dinge sollten noch einmal gründlich durchdacht werden.
Er gab Oberkirchenrat Gerhard recht, dass ein Mangel an Katecheten besteht. Das würde aber auch damit zusammenhängen, dass sie nicht den Status eines Pfarrers haben, also nicht das gleiche Gehalt bekommen. Hier müsste eine Veränderung erfolgen.
Im zweiten Teil seines Schlusswortes beschäftigte sich Bischof Schönherr mit innerkirchlichen und theologischen Problemen.
Am Abend des zweiten Beratungstages trafen sich alle Bischöfe zu einem »gemeinsamen Zusammensein« bei Bischof Rathke, Schwerin.
Dem MfS wurden intern eine Reihe Gespräche bekannt, die im kleinen Kreis bzw. individuell zwischen kirchenleitenden Personen und Synodalen geführt wurden und die im Wesentlichen Meinungen zur Vorbereitung und zum Verlauf der Synode beinhalten:
Von vielen Synodalen wird eingeschätzt, dass der bisherige Verlauf der Synode sehr »müde« sei. Im Allgemeinen würden die Vorgänge auf der Synode mit Desinteresse verfolgt, weil sie teilweise nicht verstanden würden. Die Synodalen würden sich sehr undiszipliniert bewegen und kämen teilweise mit Verspätung zu den Beratungen.
Der Teil des Berichtes der Konferenz der Kirchenleitungen, in dem Ausführungen über die Handhabung der Veranstaltungsverordnung gemacht wurden, sei sehr gut aufgenommen worden und habe den eigentlichen »Zündstoff« abgebaut.
Fränkel äußerte gegenüber leitenden Mitgliedern der Konferenz der Kirchenleitungen, er komme sich auf dieser Synode vor »wie ein geschlagener Hund«. Er habe kein Verständnis für die Haltung der Bischöfe ihm gegenüber.
Er habe mit seinem Vortrag am 30.3.1973 in Görlitz den Staat nicht brüskieren wollen. Über die Reaktion sei er sehr erschrocken.
Bischof Schönherr beklagte sich in internem Kreis über die Doppelzüngigkeit von Oberkonsistorialrat Stolpe.65 Stolpe würde in Gesprächen mit dem Staatsapparat eine loyale Haltung einnehmen, hinter seinem (Schönherrs) Rücken jedoch negative Tendenzen zeigen und unterstützen. Stolpe sei ein »westlich orientierter Managertyp«.
Bischof Hempel, Dresden, erklärte gegenüber den Bischöfen Schönherr und Braecklein, wenn die Eingabe der Theologischen Sektionen verbreitet werden sollte,66 würden die Synodalen der Landeskirche Sachsen (Dresden) darauf bestehen, dass auch das sogenannte Profilpapier im Umlauf gebracht wird.67
Nach diesem Gespräch haben Schönherr und Braecklein festgelegt, dass die Eingabe der Theologischen Sektionen vervielfältigt und jedem Synodalen zugänglich gemacht wird. Das Profilpapier soll nicht in Umlauf gebracht werden.
Die Bischöfe Schönherr und Braecklein schätzten ein, dass die progressiven Kräfte genauso »konzeptionslos« in die Schweriner Synode gegangen seien wie schon in die Dresdner. Das Auftreten einiger leitender Personen, wie z. B. Oberkirchenrat von Brück, sei »beschämend«. Es werde ohne Sachkenntnis geredet. Es sei eine der schwächsten Synoden. Schönherr wolle die Vorbereitung der nächsten Synode selbst aktiv vornehmen. Die Vorbereitung könne nicht mehr – wie bisher – dem Präsidium der Synode überlassen bleiben.
Auf der anderen Seite habe es aber auch bei den negativen Kräften keine Einigkeit geben. Sie seien zerstritten und hätten keine klare Konzeption. Oberkirchenrat Gerhardt, Dessau, äußerte, dass er eine solche Synode »noch nicht mitgemacht« habe. Er sei entrüstet über die Müdigkeit, das Desinteresse und die Disziplinlosigkeit der Synodalen. Inhaltlich sei die Synode bisher bedeutungslos.
Landesjugendpfarrer Günther wird von fünf Synodalen intern wegen seines progressiven Diskussionsbeitrages kritisiert. Er hätte seine Bemerkungen über seine Reise in die USA auch weglassen sollen.
Günther brachte in einem Gespräch mit Dr. Blauert, Berlin, und anderen Synodalen zum Ausdruck, er habe vom Bericht Schönherrs erwartet, dass Ausführungen zu außen- und innenpolitischen Problemen gemacht werden, z. B. zum Grundlagenvertrag68 bzw. zur Beendigung des Krieges in Vietnam. Dr. Blauert reagierte darauf mit einer wegwerfenden Geste.
Verschiedene Synodale brachten in internen Gesprächen zum Ausdruck, dass eine große Gruppe von Synodalen der Meinung sei, die Kirche habe in der Frage der Veranstaltungsverordnung »gesiegt«, und nun könne der nächste Schritt in Fragen der Volksbildung erfolgen. Deshalb sei die Diskussion hierzu unerwartet breit geworden. Selbst die positiven Kräfte seien nicht bereit, in der Frage der Volksbildung eine Stellungnahme im Sinne des Staates abzugeben. Sie seien der Meinung, dass sie mit einer solchen Stellungnahme nicht »ihr Gesicht wahren«.
Bischof Krusche,69 Magdeburg, äußerte, er habe das Gefühl, er werde staatlicherseits »tendenziös« eingeschätzt. Er selbst sei der Meinung, dass er in den letzten Jahren eine positive Entwicklung durchgemacht habe. Er sei von der Position der »kritischen Distanz« zur Position der »mündigen Mitverantwortung« gekommen. Seiner Meinung nach werde es nicht mehr lange dauern, bis er auch für sich die Formel von dem sozialistischen Staatsbürger christlichen Glaubens in Anspruch nehmen könne.
In persönlichen Gesprächen brachte der Gast vom Ökumenischen Rat der Kirchen, Piet Bouman, zum Ausdruck, dass ihm der Verlauf der Synode sehr gefalle, ebenso die Atmosphäre und die Gastfreundschaft in der DDR. Aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit im ökumenischen Jugendrat besitze er sehr viele Kontakte zu leitenden kirchlichen Persönlichkeiten. Ihm gehe es darum, Erfahrungen zu sammeln über die Situation der Kirche in der sozialistischen Gesellschaft. Diese Erfahrungen sollen stärker als bisher in die ökumenische Arbeit einfließen. Ihm liege auch daran, dass besonders im antiimperialistischen Kampf noch stärkere Impulse vom Ökumenischen Rat der Kirchen ausgehen.
Leitende Mitglieder der Konferenz der Kirchenleitungen berieten intern über die eventuelle Nachfolge für die Funktion des Präses der Synode.
Dabei schätzte Bischof Schönherr ein, dass die Wahl Cieslaks einen »Rückschritt in der Arbeit des Bundes« bedeuten würde, weil die negativen Kräfte im Bund damit die Oberhand gewinnen würden.
Es sei jedoch nicht mehr zu vermeiden, dass Cieslak mit in Vorschlag gebracht werde. Da drei Kandidaten vom Präsidium der Synode vorgeschlagen werden müssen, sollte man neben Cieslak solche Kandidaten aufstellen, die auch Aussicht haben, gewählt zu werden. Schönherr vertrat die Meinung, dass es richtig sei, die jüngere Generation mit einzubeziehen und verwies in diesem Zusammenhang auf Landesjugendpfarrer Günther, Potsdam.
Günther habe das Format und wisse, was er wolle. Sicher werde er auch Anklang beim Staatsapparat finden. Nachteilig sei, dass er Theologe ist, aber nach der Satzung ein Laie diese Funktion ausüben sollte. Vielleicht sollte man aber die Satzung ändern, bevor einem Laien die Leitung der Synode des Bundes überlassen werde.
Dem MfS wurde weiter bekannt, dass in Vorbereitung der Synode in Dresden eine interne Beratung zwischen Oberkirchenrat Juergensohn,70 Görlitz, Präses Cieslak, Seifhennersdorf, Pfarrer Mendt,71 Karl-Marx-Stadt und Oberkirchenrat Tannert72 stattgefunden hat. Sie bereiteten einen Diskussionsbeitrag für die Synode vor, in dem sie in »kluger, versteckter Form« ihren Standpunkt hinsichtlich der »Unterdrückung der Christen in der DDR« zum Ausdruck bringen wollten. Cieslak wurde beauftragt, den bei dieser Beratung gefertigten Entwurf bis zur Synode zu überarbeiten. In Schwerin berieten Cieslak, Juergensohn, Mendt und der Synodale Tischler Roch,73 Görlitz, erneut intern darüber, wer diesen Diskussionsbeitrag vorträgt.
Juergensohn lehnte ab wegen des negativen Inhalts. Cieslak lehnte ebenfalls ab, weil er mit diesem negativen Beitrag seine für ihn sichere Wahl zum Präses der Synode des Bundes nicht gefährden wolle.
Mendt erklärte, dass er mit Bischof Hempel zusammenarbeite und deshalb den Beitrag nicht bringen könne.
Sie gingen schließlich zerstritten und ohne Festlegung auseinander.
Anlage
»Ev. Mathäi 18«
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Anlage zur Information Nr. 486/73
Ev. Matthäi 18. Das 18. Capitel
Von Ärgernis, Gewalt der Schlüssel, und brüderlicher Versöhnung (Evang. am S. Michaelis-Tage)
1. Zu derselbigen Stunde traten die Jünger zu Jesu, und sprachen:
Wer ist doch der Größeste im Himmelreich?
2. Jesus rief ein Kind zu sich, und stellte es mitten unter sie,
3. Und sprach: Wahrlich, ich sage euch, es sei denn, dass ihr euch umkehret, und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. (19, 14. Marc. 10, 15. 1. Cor. 14, 20)
4. Wer sich nun selbst erniedriget, wie dies Kind, der ist der Größeste im Himmelreich.
5. Und wer Ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.
6. Wer aber ärgert dieser geringsten Einen, die an mich glauben, dem wäre besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehänget, und er ersäufet würde im Meer, da es am tiefsten ist. (Marc. 9, 42. Luc. 17, 1.2. Röm. 14,13)
7. Wehe der Welt der Ärgerniß halber! Es muss ja Ärgerniß kommen; doch wehe dem Menschen, durch welchen Ärgerniß kommt! (Luc. 17, 1.2.)
8. So aber deine Hand oder dein Fuß dich ärgert, so haue ihn ab, und wirf ihn von dir. Es ist dir besser, dass du zum Leben lahm, oder ein Krüppel eingehest; denn dass du zwo Hände oder zween Füße habest, und werdest in das ewige Feuer geworfen. (c. 5,30. Marc. 9, 43.45)
9. Und so dich dein Auge ärgert, reiß es aus, und wirf es von dir. Es ist dir besser, dass du einäugig zum Leben eingehest; denn dass du zwei Augen habest, und werdest in das höllische Feuer geworfen. (Marc. 9,47)
10. Sehet zu, dass ihr nicht jemand von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.
11. Denn des Menschen Sohn ist gekommen, selig zu machen, das verloren ist. (c. 9, 13. Marc. 2,17. Luc. 19,10. 1. Tim. 1,15)