Tätlicher Angriff auf sowjetische Staatsbürger in Motzen
5. Juni 1973
Information Nr. 500/73 über einen tätlichen Angriff auf zwei sowjetische Staatsbürger in Motzen, Kreis Königs Wusterhausen, Bezirk Potsdam
Am 20.5.1973, gegen 1.30 Uhr, wurden in Motzen, Kreis Königs Wusterhausen, Bezirk Potsdam, zwei Sowjetbürger, Zivilangestellte der Sowjetarmee, vorsätzlich durch fünf Jugendliche brutal niedergeschlagen und mit Zaunlatten sowie durch Steinwürfe misshandelt. Die sowjetischen Bürger erlitten Schwellungen, Blutergüsse und Hautabschürfungen.
Als Täter wurden nachfolgend aufgeführte Personen ermittelt und vom MfS gegen sie nach § 215 – Rowdytum1 – bzw. § 102 StGB – Terror2 – Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet:
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[Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1956, Schüler der zehnten Klasse, wohnhaft Bestensee, [Straße, Nr.],
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[Name 2, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1952, zuletzt Bäcker in einer privaten Bäckerei in Bestensee, wohnhaft Motzen, [Straße, Nr.],
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[Name 3, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1955, zuletzt Beifahrer beim GHG Obst und Gemüse Niederlehme, wohnhaft Bestensee, [Straße, Nr.],
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[Name 4, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1952 in Bautzen, zuletzt Schmied im Schwermaschinenbaukombinat »Ernst Thälmann« in Wildau, wohnhaft Bestensee, [Straße, Nr.],
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[Name 5, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1950 in Dargun, zuletzt Bohrer im Schwermaschinenbaukombinat »Ernst Thälmann« in Wildau, wohnhaft Toepchin, [Straße, Nr.].
Die durchgeführten Untersuchungen ergaben, dass die Jugendlichen [Name 1] und [Name 2] während des Besuchs einer Tanzveranstaltung in der Konsumgaststätte Motzen zunächst übereinkamen, beliebige Personen zur Schlägerei zu provozieren, da sie »Lust zu tätlichen Auseinandersetzungen« verspürten. Unter Alkoholeinfluss stehend verfolgten sie nach Beendigung der Tanzveranstaltung zwei Personen, in denen [Name 2] Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit vermutete. Seine Vermutung teilte er [Name 1] mit.
Besonders [Name 1] fasste dabei aus einer feindlichen Einstellung gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR und gegen die Sicherheitsorgane der DDR, durch deren Bestehen er sich angeblich in seiner »Bewegungsfreiheit« behindert fühlt, heraus den Entschluss, sich an den vermutlichen Mitarbeitern des MfS und ihrer Aufgabenstellung zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit zu »rächen«.
Nachdem [Name 1] und [Name 2] die beiden Personen eingeholt hatten, schlugen sie diese ohne jeden äußeren Anlass durch Fausthiebe und Fußtritte nieder.
Aufgrund der daraufhin einsetzenden Gegenwehr der Geschädigten erhielt [Name 2] eine Stichverletzung am rechten Oberarm und ergriff daraufhin die Flucht, während [Name 1] mittels abgebrochener Zaunlatten auf die Geschädigten einschlug, wobei er durch den geführten Wortwechsel erkannte, dass es sich um sowjetische Staatsbürger handelt.
Die inzwischen am Tatort angelangten Jugendlichen [Name 3], [Name 4] und [Name 5] beteiligten sich aktiv an dem Überfall – trotz Kenntnis dessen, dass es sich um sowjetische Staatsbürger handelt –, schlugen mit abgerissenen Zaunlatten brutal auf die sowjetischen Bürger ein und bewarfen sie mit Mauerziegeln, selbst nachdem einer der Geschädigten bereits am Boden lag.
Die bisherigen Untersuchungen zur Persönlichkeitsstruktur der Täter und zµ den Motiven dieser Handlungsweise ergab, dass [Name 1], [Name 2] und [Name 3] eifrige Hörer westlicher Rundfunk- und Fernsehsender sind und dadurch sowie durch Gespräche innerhalb ihres negativen Umgangskreises zu einer ablehnenden Einstellung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR gelangten. Sie fühlten sich in der DDR in »ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt«, da die staatlichen und gesellschaftlichen Organe der DDR dekadente Lebensweisen bekämpfen. In der Vergangenheit begingen sie, teilweise in Verbindung mit übermäßigem Alkoholgenuss, des Öfteren rowdyhafte Handlungen bei Tanz- und ähnlichen Veranstaltungen.
Während [Name 3] nach den bisherigen Feststellungen aus Hass auf Bürger der Sowjetunion in die Schlägerei eingriff und seine Freunde »unterstützen« wollte, haben [Name 4] und [Name 5], um gegenüber den anderen Beschuldigten nicht als »Feiglinge« zu gelten, auf die sowjetischen Bürger eingeschlagen.
Bei [Name 4] handelt es sich um den Sohn eines Oberstleutnants der NVA-Grenztruppen; seine Mutter ist als Lehrerin tätig. Seit seiner Entlassung aus der NVA im April 1973, wo [Name 4] vom November 1971 an seinen Dienst versah, unterhielt er Verbindung zu dem Beschuldigten [Name 2], durch den seine bis zu diesem Zeitpunkt normal verlaufende Entwicklung negativ beeinflusst wurde.
[Name 5] ist der Sohn eines freischaffenden Zeichners. Seine Mutter ist als Gemeindeschwester tätig. Er ist, wie auch [Name 4], bisher nicht feindlich-negativ in Erscheinung getreten.
Die Untersuchungen zur umfassenden Aufklärung der Ursachen, Motive und begünstigenden Bedingungen werden durch das MfS fortgesetzt.