Ungesetzlicher Grenzübertritt durch Bürger aus Westberlin
16. Juli 1973
Information Nr. 667/73 über einen ungesetzlichen Grenzübertritt Berlin (West) – DDR durch den Bürger aus Berlin (West) Slawinski
Am 14.7.1973, gegen 23.25 Uhr, verübte der Slawinski, Walter,1 geboren am [Tag, Monat] 1929, wohnhaft Berlin (West) 61 – Kreuzberg, [Straße, Nr.], zuletzt tätig als Bauarbeiter bei der Firma Bleck und Söhne, im Grenzabschnitt Berlin-Mitte, Dresdner Straße, erneut einen ungesetzlichen Grenzübertritt, indem er in angetrunkenem Zustand die Grenzsicherungsanlagen der DDR überstieg.
Er wurde auf frischer Tat ohne Schusswaffenanwendung von den Grenzsicherungskräften der DDR festgenommen.
Zuvor hatte sich Slawinski, von Berlin (West) kommend, zunächst ca. 30 Minuten auf der dort noch vorhandenen und zum Territorium der DDR gehörenden alten Grenzsicherungsanlage aufgehalten. Wenige Minuten nach seinem dortigen Erscheinen traf auf Westberliner Seite ein Funkstreifenwagen der Westberliner Polizei mit drei Mann Besatzung und danach ein Fahrzeug der Westberliner Feuerwehr ein. Die Besatzung des Westberliner Funkstreifenwagens forderte den Slawinski mehrmals zur Rückkehr auf Westberliner Territorium auf. Da dieser den Aufforderungen nicht Folge leistete, versuchte ein Angehöriger der Westberliner Feuerwehr, ihn von der alten Grenzsicherungsanlage herunterzuholen, worauf Slawinski auf die neue Sperrmauer und von dort auf das Territorium der Hauptstadt der DDR sprang.
Nach seiner daraufhin erfolgten Festnahme durch die Grenzsicherungsorgane der DDR entfernten sich die Fahrzeuge der Westberliner Polizei und Feuerwehr mit ihren Besatzungen in das Westberliner Hinterland.
Die Grenzprovokation wurde von in der Umgebung des Tatortes wohnhaften Westberliner Bürgern aus ihren Wohnungsfenstern beobachtet. Zu Personenansammlungen kam es nicht.
Slawinski hatte bereits am 19.5.1973 einen ungesetzlichen Grenzübertritt verübt (Information Nr. 466/73), in dessen Folge ein Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet worden war, das am 22.5.1973 unter Berücksichtigung der damaligen politischen Situation und der bevorstehenden Unterzeichnung des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD2 eingestellt wurde. Danach erfolgte die Entlassung Slawinskis nach Berlin (West).
Die bisherigen Untersuchungen ergaben, dass Slawinski nach eigenen Angaben seit Ende Juni 1973 krankgeschrieben ist und am 14.7.1973 gemeinsam mit einem Arbeitskollegen größere Mengen Alkohol zu sich nahm.
Nach Verlassen der Wohnung entschloss er sich, seinen Angaben zufolge aus eigener Initiative, zum widerrechtlichen Überschreiten der Staatsgrenze der DDR.
Als Motiv führte er erneut, wie bereits im Zusammenhang mit dem am 19.5.1973 von ihm verübten ungesetzlichen Grenzübertritt, an, durch sein Vorhaben beweisen zu wollen, dass die in der Westberliner Presse veröffentlichten Hetzartikel über das Grenzregime in der DDR nicht den Tatsachen entsprechen. Er habe darauf spekuliert, durch seine Handlungsweise in den Blickpunkt der Westberliner Öffentlichkeit zu gelangen. Außerdem wolle er diese Gelegenheit benutzen, um gegen die unzureichenden sozialen Verhältnisse in Berlin (West), insbesondere die schlechte Wohnraumversorgung und Kinderbetreuung für Arbeiterfamilien, aufzutreten.
Slawinski habe, nachdem er durch die DDR-Organe im Zusammenhang mit seinem ersten ungesetzlichen Grenzübertritt wieder nach Berlin (West) entlassen worden sei, Verbindung zu einem Reporter der Springer-Zeitung »BZ«3 aufgenommen und diesen wahrheitsgemäß darüber informiert, dass vonseiten der Grenzsicherungskräfte der DDR bei seinem widerrechtlichen Grenzübertritt keine Schusswaffen zur Anwendung gekommen sind und er von den Sicherheitsorganen der DDR bis zu seiner Entlassung nach Berlin (West) korrekt behandelt wurde.
Ungeachtet dieser Kenntnisse nahm die Springer-Zeitung »BZ« das Vorkommnis am 21.5.19734 zum Anlass, eine großangelegte Hetzkampagne gegen die Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR zu inszenieren und verbreitete in diesem Zusammenhang Zweckmeldungen über ein angebliches Niederschießen des Slawinski durch Grenzsicherungskräfte der DDR.5
Am 28.5.1973 soll Slawinski nach entsprechender Vorladung von Angehörigen der Westberliner Politischen Polizei in Berlin-Tempelhof, Tempelhofer Damm, zu seiner am 19.5.1973 begangenen Genzprovokation vernommen worden sein. Bei dieser Vernehmung habe er ebenfalls angegeben, dass bei seiner damaligen Festnahme durch die Sicherheitsorgane der DDR keine Schusswaffen zur Anwendung kamen und er von diesen Organen korrekt behandelt worden sei.
Aufgrund des bisherigen Verhaltens des Slawinski und der konkreten Umstände des erneuten widerrechtlichen Eindringens in die Hauptstadt der DDR wird es für zweckmäßig erachtet, in einem Ermittlungsverfahren mit Haft gemäß § 213 StGB – Ungesetzlicher Grenzübertritt – (schwerer Fall)6 allseitige Untersuchungen zur Gesamtheit der beiden Grenzverletzungen zu führen und unter Berücksichtigung des Ergebnisses eine entsprechende gerichtliche Verurteilung herbeizuführen.