Ungesetzliches Eindringen eines Österreichers in Ostberlin
3. Juli 1973
Information Nr. 620/73 über das ungesetzliche Eindringen eines österreichischen Staatsbürgers in die Hauptstadt der DDR am 1. Juli 1973
Am 1.7.1973, gegen 0.20 Uhr, drang von Westberliner Territorium aus in Höhe des Brandenburger Tores durch Überwinden der Grenzsicherungsanlagen der österreichische Staatsbürger [Name, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1945, Heimatanschrift: Wien, [Straße, Nr.], zurzeit wohnhaft Berlin-Schöneberg, [Straße, Nr.], erlernter Beruf Buchdrucker, verheiratet, ein Kind, in die Hauptstadt der DDR ein, wo er durch Angehörige der Grenztruppen der NVA festgenommen wurde.
[Name] reagierte bei der Überwindung der Grenzsicherungsanlagen auf mehrmaliges Anrufen der Grenzsicherungskräfte der DDR nicht, sodass von diesen zwei Warnschüsse abgegeben wurden.
Bei der anschließenden Festnahme und den weiteren Untersuchungshandlungen leistete [Name] Widerstand, der mit körperlicher Gewalt gebrochen werden musste.
In der bisherigen Untersuchung verweigert [Name] alle den Sachverhalt betreffenden Fragen zu den Ursachen und Motiven seiner Handlungsweise. Er ist äußerst aggressiv in seinem Auftreten, beschimpft die Angehörigen der Untersuchungsorgane und drohte auch mit Gewalttätigkeiten.
Aufgrund des auffälligen psychischen Verhaltens des [Name] erfolgte eine psychiatrische Kurzuntersuchung dessen Persönlichkeit durch Prof. Dr. Werner,1 Direktor des Bereiches Forensische Psychologie der Sektion Kriminalistik der Humboldt-Universität zu Berlin.
Prof. Werner schätzt ein, dass es sich bei [Name] um einen in seiner Lebensführung erheblich verwahrlosten, vermutlich sozial bindungslosen, in seinem Risikoempfinden erheblich reduzierten Menschen handelt, der charakteristische Züge eines enthemmten, hochgradig hysterischen und fanatisierten Psychopaten ohne Intelligenzausfälle erkennen lasse.
Das Vorliegen einer Geisteskrankheit sei nicht völlig auszuschließen.
Bei [Name] wurden am Körper eine Vielzahl von Schürfwunden und Blutergüssen festgestellt, die er sich offensichtlich beim Überwinden der Grenzsicherungsanlagen zugezogen haben muss.
Da durch die Untersuchungen keine Anhaltspunkte für eine organisierte Grenzprovokation erarbeitet werden konnten und aufgrund des geschilderten psychischen Verhaltens des [Name] wurde entschieden, von der weiteren strafrechtlichen Verfolgung des [Name] Abstand zu nehmen.
Am 3.7.1973 wurde durch das MfAA die Botschaft der Republik Österreich in der DDR über dieses Vorkommnis informiert.
Unter Hinweis auf die gegebene strafrechtliche Relevanz der Handlungen des [Name] wurde die Bereitschaft der DDR erklärt, von seiner strafrechtlichen Verfolgung Abstand zu nehmen und ihn den Organen der Republik Österreich zu übergeben bzw., soweit sie dies wünschen, auch nach Berlin (West) zurückzuführen.
Der Erste Sekretär der Botschaft hat sich für dieses Entgegenkommen der DDR außerordentlich bedankt und eine umgehende Klärung zugesagt.
Am 6.7.1973 teilte er mit, [Name] sei den österreichischen Organen als schizophren erkrankt bekannt.
Er bat darum, ihn nach Berlin (West) abzuschieben, was am 6.7.1973 erfolgte.