Ungesetzliches Verlassen der DDR durch einen Segelflieger
25. Juni 1973
Information Nr. 596/73 über das ungesetzliche Verlassen der DDR durch den Segelflieger Elke, Udo, wohnhaft gewesen in Eisenhüttenstadt
Dem MfS wurde bekannt, dass der am 22.6.1973, 13.30 Uhr, (im Rahmen der im Zeitraum vom 13. bis 24.6.1973 stattgefundenen DDR-Segelflugmeisterschaften1) zum Streckenflug von Neustadt-Glewe über Parchim, Bützow, Wismar, Schwerin und zurück mit dem Segelflugzeug vom Typ »Foka 5«, Kennzeichen DM 22 – 46, gestartete Pilot Elke, Udo,2 geboren am [Tag, Monat] 1941, wohnhaft Eisenhüttenstadt, [Straße, Nr.], Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik im VEB Bandstahlkombinat (EKO) Eisenhüttenstadt, ledig, Mitglied der SED, des FDGB, der GST,3 Träger des Segelflugleistungsabzeichens Stufe »C« in Gold mit drei Diamanten und des Titels »Meister des Sports« die DDR ungesetzlich verlassen hat und gegen 17.50 Uhr bei Ruploh, Kreis Soest, BRD, gelandet ist. Gegenwärtig hält sich Elke in Unna-Massen, BRD, auf.
Die bisherigen Überprüfungen ergaben, dass Elke die Staatsgrenze der DDR in einer Höhe von 800 bis 1 300 Metern überflogen hat. Die gesamte Flugroute des Segelflugzeuges des Elke war von den Erdbeobachtungsposten der GST nicht beobachtet worden. Elke wurde letztmalig etwa gegen 14.07 Uhr mit seinem Flugzeug über dem Lederkombinat in Neustadt-Glewe gesichtet.
Eine Überwachung der GST-Flugzeuge in der Luft erfolgt weder durch Radar noch durch das diensthabende System der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung und ist bei Segelflugzeugen nach Auskunft dieser Dienststellen technisch noch nicht im vollen Maße möglich. Die GST besitzt keine technischen Voraussetzungen zur Überwachung der gestarteten Segelflugzeuge in der Luft.
Bei allen Wettkämpfen – wie auch im vorliegenden Fall – werden lediglich Erdbeobachtungsposten der GST an den Wendepunkten der Flugstrecke eingesetzt. Diese haben vorwiegend Wettkampfaufgaben, beobachten visuell die Flugzeuge, registrieren das Passieren des Wendepunktes und verfügen in der Regel über keine Nachrichtenverbindungen, sodass ein Abweichen von der Flugstrecke dem Flugleiter überwiegend erst nach dem Wettkampf bekannt wird.4
Die bisherigen Untersuchungen zu den Persönlichkeitsmerkmalen des Elke ergaben, dass er von 1948 bis 1951 die polnische Grundschule in Pelcznica-Swiebodzice5 (VR Polen) besuchte und anschließend [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben] zu seinem seit 1945 in Cottbus lebenden Vater übersiedelte. Nach Erlernung des Berufes eines Elektromonteurs leistete Elke von 1959 bis 1962 freiwillig Dienst in der NVA, den er mit dem Dienstgrad Unteroffizier beendete.
Während dieser Zeit legte er das Abitur ab und wurde 1961 mit dem Titel »Meister des Sports«6 (Segelflug) ausgezeichnet. Von 1962 bis 1967 studierte er an der TU Dresden und schloss das Studium als Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik ab. Im Anschluss daran arbeitete Elke im Eisenhüttenkombinat Ost vorwiegend als Projektierungsingenieur. Elke wird ein hohes theoretisches Fachwissen und die Fähigkeit, selbstständig wissenschaftlich zu arbeiten, bestätigt.
Seit 1961 ist Elke Kandidat und seit 1963 Mitglied der SED. Er trat auch 1971 während eines Wettkampfes in der SR Rumänien gegenüber westdeutschen Bürgern positiv auf. Seine Einstellung wird jedoch auch häufig als nicht immer parteilich und als unsachlich eingeschätzt. Zu aktuell-politischen Problemen bezog er häufig eine negierende Haltung, was sich in vielen Gesprächen zeigte. [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben]
Aufgrund seiner fliegerischen Tätigkeit traf Elke in einigen Fällen auf GST-Flugplätzen mit westdeutschen Flugsportlern zusammen, mit denen er Gespräche führte, nach bisherigen Ermittlungen jedoch keine engeren Kontakte herstellte.
Wie die Untersuchungen weiter ergaben, bestanden bei Elke seit etwa 1971 einige Unzufriedenheiten im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit beim EKO. Bereits 1971 bewarb sich Elke um eine Tätigkeit bei der Deutschen Seereederei,7 um sich angeblich beruflich zu verbessern. Nach Ablehnung seines Antrages äußerte er, er suche eine Tätigkeit, durch welche er »die Welt kennenlernen« könne, da er »die Freiheit« liebe.
Im April 1973 gab Elke eine Eingabe an den Direktor für Instandhaltung des EKO und kritisierte seinen für zwei Tage vorgesehenen Einsatz als Fachkader in der Produktion. Er begründete seine Eingabe mit fehlenden spezifischen Kenntnissen. In einer mit ihm geführten Aussprache wurde ihm die Notwendigkeit des Einsatzes aufgezeigt. Gleichzeitig wurde ihm erklärt, dass auch er im letzten Jahr an einem Projekt gearbeitet habe, das wegen technischer Unvollkommenheit neu überarbeitet werden müsse und deshalb ein Einsatz direkt an den Produktionsanlagen zur Vertiefung der Kenntnisse positiv sein könnte.
Mit dem Ausgang der Aussprache war Elke nicht zufrieden, da seiner Meinung nach die Probleme nicht geklärt worden seien. Deshalb wandte er sich erneut schriftlich an die Direktion für Instandhaltung und brachte zum Ausdruck, dass er mit seinem Aufgabenbereich nicht zufrieden sei. Am 29.5.1973 fand daraufhin mit Elke eine erneute Aussprache statt, in deren Ergebnis er sich damit einverstanden erklärte, dass er nach seiner Rückkehr von den DDR-Meisterschaften in der Produktion tätig wird, um sich praxiswirksame Anlagenkenntnisse anzueignen. Weiter wurde in dieser Aussprache festgelegt, dass er ab 1974 als Anlageningenieur tätig wird.
Elke äußerte im Anschluss an diese Aussprache, dass ihm die Funktion des Anlageningenieurs sehr zusage. Er wolle sich aber trotzdem beim Generaldirektor des Bandstahlkombinates Eisenhüttenstadt beschweren, da ihm in der Aussprache das Verhalten des Direktors für Instandhaltung nicht gefallen habe.
(Eine Aussprache beim Generaldirektor, um die Elke inzwischen ersucht hatte, war für den 26.6.[1973] zugesagt worden.)
Andere Hinweise aus dem Arbeits-, Wohn- und Freizeitbereich, die auf Vorbereitungshandlungen bzw. mögliche Motive des Elke auf einen ungesetzlichen Grenzübertritt hindeuten, sind bisher – außer, dass seine Zeugnisse sowie Qualifizierungsnachweise nicht auffindbar sind – nicht festgestellt worden. Es gab keinerlei Abweichungen zu seinem sonstigen Verhalten.
Die Untersuchungen zur weiteren Aufklärung der Hintergründe, Ursachen, Motive und begünstigenden Bedingungen des ungesetzlichen Verlassens der DDR durch Elke werden durch das MfS fortgesetzt.