Ungesetzliches Verlassen der DDR mit Wirtschaftsflugzeug
27. August 1973
Information Nr. 855/73 über die missbräuchliche Benutzung eines Wirtschaftsflugzeuges der Interflug zum ungesetzlichen Verlassen der DDR
Am 25.8.1973, gegen 17.10 Uhr, wurde festgestellt, dass ein Wirtschaftsflugzeug der Interflug die Staatsgrenze der DDR im Raum Dechow, Kreis Gadebusch, in etwa 300 m Höhe in Richtung Ratzeburg/BRD überflog. Die daraufhin eingeleiteten Überprüfungen ergaben, dass mit diesem Wirtschaftsflugzeug vom Typ Z-37, Kennzeichen DM – SQL, folgende Personen die DDR ungesetzlich verlassen haben:
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[Name 1, Vorname 2], geboren am [Tag, Monat] 1950 in Dresden, Mechaniker bei der Interflug, Betriebsagrarflug, Produktionsbereich Kyritz, wohnhaft Gadebusch, [Straße, Nr.],
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seine Ehefrau [Name 1], geborene [Name 2, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1951 in Dresden-Klotzsche, Sekretärin im Aviochemischen Zentrum Gadebusch und
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ihr Sohn [Name 1, Vorname 2], geboren am [Tag, Monat] 1971 in Radebeul.
Nach bisherigen Hinweisen ist das Flugzeug auf dem Sportflugplatz für Segel- und Motorflugzeuge Blankensee bei Lübeck gelandet.
Das betreffende Flugzeug war zur Durchführung vertraglich gebundener Aufgaben für die Landwirtschaft auf dem Arbeitsflugplatz Ganzow, Kreis Gadebusch, stationiert.
Die Stammbesetzung des Flugzeuges besteht seit Februar dieses Jahres aus dem Flugzeugführer [Name 3, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1949 in Zielow, Ingenieur für Landtechnik (Arbeitsstätte und Wohnanschrift wie [Name 1] ) und dem oben genannten Mechaniker [Name 1, Vorname 1], der keine Erlaubnis zum Führen eines Luftfahrzeuges besitzt und auch nicht dafür ausgebildet ist.
Die bisherigen Ermittlungen führten zu folgenden Ergebnissen:
Für den 25. August [1973] war kein Flugbetrieb vorgesehen. Das Flugzeug war auf dem Arbeitsflugplatz Ganzow entsprechend den Vorschriften der Interflug (Betriebsordnung Nr. 99) ordnungsgemäß gesichert.1
Gemäß dieser Vorschriften befanden sich die Schlüssel für die Sicherungen am Steuerknüppel und am Gashebel beim Flugzeugführer und für die Sicherung am Gasgestänge beim Mechaniker [Name 1] .
Am 25.8.1973, gegen 13.00 Uhr, erschien [Name 1] bei dem diensthabenden Wächter (Oltersdorf, Gustav,2 geboren am [Tag, Monat] 1896) und teilte diesem mit, dass er etwa ab 16.00 Uhr am Flugzeug Pflegearbeiten ausführt. Gegen 14.00 Uhr erschien [Name 1] beim Flugzeugführer [Name 3] und verlangte unter Hinweis auf die Durchführung der angewiesenen notwendigen Umrüstungsarbeiten für den Einsatz am 27.8.1973 den Schlüssel für die Sicherung am Gashebel, um das Flugzeug an die Waschanlage rollen zu können. Die Pflegearbeiten zu diesem Zeitpunkt erschienen dem Flugzeugführer als nichts Ungewöhnliches, da der Mechaniker sich seine Zeit außerhalb des Flugbetriebes weitgehend selbst einteilen würde.
Vorschriftswidrig händigte der Flugzeugführer [Name 3] dem Mechaniker [Name 1] den von ihm gewünschten Schlüssel aus. Er war an der Erledigung der Arbeiten, ohne selbst mitwirken zu müssen, interessiert und begründete die Schlüsselaushändigung damit, dass er zu [Name 1] Vertrauen hatte.
Gegen 16.00 Uhr erschien [Name 1] auf dem Arbeitsflugplatz Ganzow und übernahm vom diensthabenden Wächter vorschriftsmäßig (Quittung im Wachbuch) das Flugzeug und erklärte dem Wächter, dass er seinen Dienst beenden könne, da er am Flugzeug arbeite und die Bewachung selbst übernehme. Der Wächter verließ daraufhin den Flugplatz.
(Der zweite Wächter, der gegen 17.30 Uhr seinen Dienst antrat, konnte dann nur noch das Fehlen des Flugzeuges feststellen.)
Wie weiter ermittelt wurde, hatte [Name 1] das Flugzeug aufgetankt. Die Schlüssel für die Betankungsanlage befanden sich entsprechend den bestehenden Bestimmungen in seinem Besitz; die Plomben des Tankwagens hat er aufgebrochen. Außerdem ist offensichtlich, dass er die Sicherung des Steuerknüppels, zu der er keinen Schlüssel besaß, gewaltsam entfernt hat. Seine Ehefrau kam per Fahrrad zum Flugplatz (Aussagen von Zeugen und Auffinden des Fahrrades). Der Start des Flugzeuges wurde nicht beobachtet.
Nach bisherigen Feststellungen hatte [Name 1] auf dem Gebiet des Fliegens zwar keine praktischen Kenntnisse und Erfahrungen, war aber im Besitz der Rollgenehmigung und dadurch im Allgemeinen mit der Bedienung des Flugzeuges vertraut. Beim Flug kamen ihm offensichtlich die günstigen Witterungsbedingungen entgegen.
Die Motive und Ursachen des ungesetzlichen Verlassens der DDR konnten bisher nicht aufgeklärt werden. Es gibt auch noch keine Hinweise auf entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen. In der Wohnung sind keine Veränderungen festzustellen (für das Wochenende waren Einkäufe getätigt.) Die Familie [Name 1] lebte in materiell gesicherten Verhältnissen. Sie besaßen eine modern eingerichtete Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung und einen Pkw Skoda.
[Name 1] ist parteilos und von Beruf Kfz-Schlosser (Kraftverkehrskombinat Dresden). Während seines Dienstes in der NVA (2.11.1970 bis 27.4.1972, Kfz-Schlosser und Kraftfahrer) zeichnete er sich bei Einsätzen und Übungen durch gute Leistungen aus. Am 1.10.1972 begann er in Leipzig seine Ausbildung als Stationsmechaniker der Interflug und arbeitet seit dem 1.2.1973 als solcher im Produktionsbereich Kyritz. Er hatte die Perspektive der Ausbildung als Flugzeugführer. Er galt als ein impulsiver, etwas verwegener und mitunter etwas unbeherrschter Mensch. In seiner fachlichen Arbeit zeigte er gute Leistungen. Westverbindungen oder Verbindungen zu negativen Personenkreisen sind nicht bekannt.
Seitens des MfS wurden die notwendigen weiteren Maßnahmen (Ermittlungsverfahren und Maßnahmen zur Aufklärung der Motive, Ursachen, möglicher Verbindungen, Zusammenhänge usw.) eingeleitet. Der Flugzeugführer [Name 3] ist vorerst für einen weiteren Einsatz als Flugzeugführer gesperrt.