Unzufriedenheit auf dem Fischereischiff »Junge Welt«
23. Februar 1973
Information Nr. 164/73 über Unzufriedenheit mit lohnpolitischen Maßnahmen auf dem Transport- und Verarbeitungsschiff »Junge Welt«
Dem MfS wurde inoffiziell bekannt, dass ein Teil der Besatzung des Transport- und Verarbeitungsschiffes (TVS) ROS 316 »Junge Welt«1 um die Jahreswende 1972/73 eine schriftliche Eingabe an den Ersten Sekretär des ZK der SED, Genosse Erich Honecker,2 gerichtet habe, in der gegen lohnpolitische Maßnahmen auf diesem Schiff seitens des VEB Fischkombinat3 Stellung genommen wurde.
Die Eingabe sei mit einem heimkehrenden Schiff abgesandt worden.
Es geht hierbei um 1972 und 1973 vorgenommene Senkungen des Lohnverrechnungspreises (LVP).
Der LVP ist ein auf Erfahrungswerten aus der Fischerei festgelegter Preis je Tonne Fisch. Er dient zur Berechnung des zu zahlenden Lohnes je Tonne Fisch im Rahmen des vorgegebenen Lohnfonds.
Durch die VVB Hochseefischerei und Fischverarbeitung Rostock4 wurde beschlossen, dass der LVP nicht etwas Starres, einmal Festgelegtes sein kann, sondern dass er mit dem jeweiligen Fischaufkommen sowie der konkreten Fangplatzsituation in Übereinstimmung gebracht werden muss, um eine möglichst gerechte und stabile Lohnverteilung vornehmen zu können. Dabei sind die erreichten Leistungen sowie die jeweiligen Arbeits- und Lebensbedingungen konkret zu berücksichtigen. Der jeweils neue LVP muss vor Auslaufen des Schiffes festliegen und die Besatzung darüber informiert sein.
Zu Anfang des Jahres 1972 beabsichtigte die Leitung des VEB Fischkombinat in Abstimmung mit der ZPL und BGL eine Senkung des LVP für TVS um ca. 30 % vorzunehmen. Der Anlass dafür war, dass der Lohn auf diesen Schiffen im Verhältnis zu dem auf Fangschiffen um 30 % und höher angestiegen war. Die Ursache lag in unzureichend neu festgelegten LVP begründet, obwohl das Fischaufkommen sich verbessert hatte.
Beispiele für diese ungerechtfertigt hohen Lohnunterschiede auf den verschiedenen Schiffstypen nach geplantem und gezahltem Lohn pro Seetag in Mark:
Berufsgruppe | TVS Plan | [TVS] Ist | Z-Trawler Plan | [Z-Trawler] Ist | S-Trawler I Plan | [S-Trawler I] Ist |
|---|---|---|---|---|---|---|
Kapitän | 144,22 | 167,53 | 112,87 | 112,76 | 94,33 | 62,30 |
1. TO | 105,69 | 121,50 | 73,96 | 73,90 | 58,59 | 44,11 |
Matrose | 44,00 | 50,49 | 42,50 | 43,46 | 39,80 | 28,25 |
M-Assistent | 42,19 | 48,27 | 39,39 | 39,35 | 36,23 | 27,47 |
- –
TVS – Transport- und Verarbeitungsschiff (moderne Arbeits- und Lebensbedingungen)5
- –
Z-Trawler – Zubringertrawler (moderne Arbeits- und Lebensbedingungen)6
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S-Trawler – Seitentrawler Typ I (schlechteste, teils nicht mehr vertretbare Arbeits- und Lebensbedingungen)7
Im Ergebnis der Diskussion mit den Schiffsbesatzungen der TVS wurde für 1972 nur eine zehnprozentige Senkung der LVP vorgenommen.
Für die jetzige Reise des TVS »Junge Welt«, Kabeljau-Saison, wurde ab 1.1.1973 eine Senkung des LVP für Kabeljau um zehn Prozent vorgenommen unter Berücksichtigung des höheren Verdienstes in anderen Schiffsklassen sowie der besseren Fangsituation im ersten Quartal. Trotz dieser zehnprozentigen Senkung wird der für das Schiff geplante Durchschnittsverdienst noch überschritten, weil ein gutes Kabeljauaufkommen im Fang besteht.
Andererseits wurden die LVP für Heilbutt und Rotbarsch erhöht, weil die Analyse ein Absinken des Fangaufkommens dieser Fischarten von Jahr zu Jahr zeigt. Dadurch soll der Lohn für die Heilbutt- und Rotbarsch-Reisen, die in den Monaten Mai – Juli 1973 stabil gehalten werden, erfolgen.
Auf der Grundlage der Entscheidung der VVB, dass die LVP den jeweiligen Gegebenheiten angeglichen werden müssen, um einen stabilen Durchschnittsverdienst zu gewährleisten, wurden in den Fangbetrieben erforderliche Festlegungen in die Betriebskollektivverträge (BKV) aufgenommen.8 Sie bildet die rechtliche Basis dafür, dass in Abstimmung zwischen Kombinats-, Partei- und Gewerkschaftsleitung des Betriebes die Lohnkonzeption für jedes Jahr neu festgelegt wird.
Die Veränderungen des LVP für 1973 wurden mit der Besatzung des TVS »Junge Welt« in ihren praktischen Auswirkungen nicht bis zu Ende klärend ausdiskutiert.
Wir informieren über diese Angelegenheit, da sich das Schiff zzt. noch am Fangplatz Labrador/Kanada befindet und damit die Möglichkeit besteht, dass es bei einer gewissen Unzufriedenheit an Bord eventuell zu weitergehenden Handlungen oder Zwischenfällen kommen könnte.
Die Besatzung des Schiffes, das im März 1973 wieder im Hafen von Rostock einlaufen soll, besteht aus 165 Personen.