Verhinderter Grenzdurchbruch von Jugendlichen
28. September 1973
Information Nr. 993/73 über die Verhinderung eines Grenzdurchbruches nach Berlin (West) am 25. September 1973 im Bezirk Potsdam
Am 25.9.1973, gegen 19.50 Uhr, wurden an der Staatsgrenze zu Berlin (West) im Grenzabschnitt Kleinmachnow – Kohlhasenbrück durch Grenzsicherungskräfte der NVA unter Anwendung der Schusswaffe die Schüler [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1960, wohnhaft Güterfelde, [Straße, Nr.], Schüler der 7. Klasse der POS Stahnsdorf; [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1958, wohnhaft Güterfelde, [Straße, Nr.], Schüler der 7 Klasse der POS 3 Teltow; [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1959, wohnhaft Güterfelde, [Straße, Nr.], Schüler der siebten Klasse der POS Stahnsdorf; [Name 4, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1961, wohnhaft Güterfelde, [Straße, Nr.], Schüler der 6. Klasse der POS Stahnsdorf beim Versuch des ungesetzlichen Grenzübertritts festgenommen. Sie erlitten keinerlei Verletzungen.
Insgesamt wurden durch die Grenzsicherungskräfte der NVA (zwei Postenpaare) 80 Schuss abgegeben, wobei durch die Feuerführung mehrere Geschosse in ein auf Westberliner Seite stehendes Haus einschlugen.
Die durch das MfS bisher geführten Untersuchungen ergaben:
Am 25.9.1973, gegen 14.30 Uhr, fuhren die genannten Schüler gemeinsam mit Fahrrädern von Güterfelde zum Südwestfriedhof Stahnsdorf und begaben sich von dort aus, nachdem sie die Fahrräder auf dem Friedhof versteckt hatten, unter Ausnutzung des Waldgeländes zu Fuß in die unmittelbare Nähe der Staatsgrenze.
Nach Einbruch der Dunkelheit versuchten sie gegen 19.50 Uhr, die Grenzsicherungsanlagen zu überwinden und wurden ca. 30 m vor der unmittelbaren Grenzlinie festgenommen, nachdem sie zuvor den Signalzaun unterkrochen hatten, ein weiteres Sicherungsgerät überkletterten und den Kolonnenweg überwanden.
Die Untersuchungen der Persönlichkeitsbilder ergaben, dass die genannten Schüler der Arbeiterklasse entstammen. Die Schüler [Name 3], [Name 2] und [Name 4] sind in geordneten Familienverhältnissen aufgewachsen, jedoch wurde im Elternhaus wenig Wert auf die staatsbürgerliche Erziehung gelegt.
Die Familien unterhalten aktive Verbindungen zu Verwandten in Berlin (West) bzw. in der BRD.
Der Stiefvater des [Vorname Name 1] verließ im Frühjahr 1973 unter Ausnutzung einer Reise in dringenden Familienangelegenheiten in die BRD ungesetzlich die DDR. Er war als Kraftfahrer beim VEB Bau Stahnsdorf1 tätig.
Die Mutter des [Name 1] stellte daraufhin bei den zuständigen staatlichen Organen der DDR einen Antrag auf legale Übersiedlung in die BRD. In Gesprächen brachte sie Bekannten gegenüber zum Ausdruck, im Falle der Ablehnung ihres Antrages die DDR ungesetzlich verlassen zu wollen.
[Vorname Name 1], der ein gutes Verhältnis zu seinem Stiefvater hatte und sich deshalb zu diesem hingezogen fühlt, entschloss sich Ende September 1973 – bedingt durch die politisch negative Beeinflussung seiner Mutter und da er durch diese bei aufgetretenen erzieherischen Problemen teilweise ungerecht behandelt wurde – zum ungesetzlichen Grenzübertritt.
Am 23. und 24.9.1973 bezog der [Vorname Name 1] nacheinander seine Schul- und Spielkameraden [Vorname Name 2], [Vorname Name 3] und [Vorname Name 4] in sein Vorhaben ein, die sich aus Abenteuerlust und infolge kindlicher Leichtfertigkeit zur Teilnahme entschlossen.
Nach der erfolgten Festnahme wurden durch die DDR-Grenzsicherungskräfte im westlichen Vorfeld zahlreiche Aktivitäten Westberliner Sicherheitsorgane (Schutzpolizei, Bereitschaftspolizei, Militärpolizei) sowie von Zivilpersonen festgestellt.
Weiterhin erschienen in der Nacht vom 25. zum 26.9.1973 auf Westberliner Seite mehrere Bildreporter und fotografierten den Tatort.2
Provokatorische Handlungen gegenüber den Grenzsicherungskräften der NVA wurden nicht festgestellt.
Die Untersuchungen zur umfassenden Aufklärung der weiteren Ursachen, Motive und begünstigenden Bedingungen werden fortgesetzt.