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Verhinderung eines ungesetzlichen Grenzübertrittes zu Fuß

17. September 1973
Information Nr. 957/73 über die Verhinderung eines ungesetzlichen Grenzübertrittes nach Westberlin in Berlin-Mitte, Jerusalemer Straße, am 16. September 1973

Am 16.9.1973, gegen 1.35 Uhr, beobachteten die im Grenzabschnitt Berlin-Mitte, Jerusalemer Straße, zur Grenzsicherung eingesetzten NVA-Angehörigen, dass sich zwei unbekannte männliche Personen, ca. 200 m von ihnen entfernt, im Bereich der Grenzsicherungsanlagen befanden und in Richtung auf die Staatsgrenze bewegten.

Da die Personen auf die Aufforderung der Grenzsicherungskräfte zum Stehenbleiben nicht reagierten, gab der verantwortliche Postenführer drei Warnschüsse ab. Durch die Feuerführung wurden die Täter nicht verletzt.

Die Personen versuchten daraufhin, in das Hinterland zu entkommen.

Die sofort eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen führten zur Festnahme der beiden Grenzverletzer [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1951, wohnhaft Heidenau, [Straße, Nr.], Zellstoffmacher im VEB Vereinigte Zellstoffwerke Pirna, Werk II Heidenau, vorbestraft im Jahre 1969 wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts und [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1952, wohnhaft Heidenau, [Straße, Nr.], Mischer im VEB Reifenwerk Heidenau, vorbestraft wegen krimineller Handlungen in den Jahren 1970 und 1973.

Die bisherigen Untersuchungen des MfS ergaben, dass [Name 1] und [Name 2] am 14.9.1973 mit einem Schnellzug von Dresden nach Berlin fuhren mit dem Ziel, »sich zu amüsieren«.

Zuvor hatten sie in Dresden vom 13. zum 14.9.1 973 im Interhotel Königstein übernachtet.

Während ihres Aufenthalts in Berlin suchten sie am 15.9.1973 gegen 19.00 Uhr die Mitropa-Gaststätte1 im Bahnhof Friedrichstraße auf.

Dort seien sie übereingekommen, gemeinsam einen ungesetzlichen Grenzübertritt von der Hauptstadt der DDR aus nach Westberlin durchzuführen.

Gegen 23.00 Uhr verließen sie die Mitropa-Gaststätte und besuchten anschließend eine weitere bisher noch unbekannte Gaststätte in der Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße.

In dieser Gaststätte wollen sie einen Bürger der BRD kennengelernt haben, bei dem sie sich nach Möglichkeiten zum ungesetzlichen Grenzübertritt erkundigt hätten.

Der BRD-Bürger will nach Aussagen der Täter ihnen jedoch erklärt haben, erstmals die Hauptstadt der DDR zu besuchen und aus diesem Grund keine derartigen Möglichkeiten zu kennen.

Nachdem die Täter den BRD-Bürger zur Ausreisehalle nach Berlin (West) im Bahnhof Friedrichstraße begleitet hätten, entschlossen sie sich, ihre Absicht zum ungesetzlichen Verlassen der DDR sofort zu realisieren und zu diesem Zweck sofort eine geeignete Stelle zu erkunden.

Mit diesem Ziel gingen sie die Friedrichstraße in Richtung Zimmerstraße, bogen in die Leipziger Straße ein und gelangten nach dem Überqueren des Bauplatzes (Höhe des Druckkombinates) auf die Reinhold-Huhn-Straße.2

Vom Gelände des Druckkombinates drangen sie bis zur Hinterlandmauer der Staatsgrenze vor, überkletterten diese und überwanden anschließend einen Drahtzaun. Beim Versuch, den anschließenden Signalzaun zu unterkriechen, lösten sie diesen aus, sodass ihr Vorhaben durch die Grenzsicherungskräfte der NVA bemerkt wurde und ihr Vorhaben verhindert werden konnte.

Durch die Abgabe eines Feuerstoßes (drei Schuss) wurde das Westberliner Territorium nicht verletzt.

(Die Schussrichtung liegt entlang der Staatsgrenze. Die Projektile schlugen in die Mauer des Gebäudes des Union-Verlages3 ein.)

Die Festnahme der Grenzverletzer erfolgte ohne besondere Vorkommnisse.

Als Motiv für den versuchten ungesetzlichen Grenzübertritt nannte der [Name 2] seine ablehnende Haltung zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR und die Vorstellung von besseren Lebensverhältnissen in der BRD.

Der Grenzverletzer [Name 1], ein geistig primitiver Mensch, gibt in der bisherigen Untersuchung an, sich kurzfristig dem Vorhaben [Name 2] angeschlossen zu haben, um diesen nicht im »Stich« zu lassen.

Gegen beide Täter wurden Ermittlungsverfahren nach § 213 StGB – Ungesetzlicher Grenzübertritt4 – eingeleitet und auf der gleichen Rechtsgrundlage Haftbefehle erlassen.

Auf Westberliner Seite erschienen unmittelbar nach der Feuerführung ein US-Jeep mit drei Besatzern, ein Funkstreifenwagen der Westberliner Schutzpolizei, fünf Westberliner Schutzpolizisten auf dem Besucherpodest Charlottenstraße und sieben Zivilpersonen auf der Verladerampe des Springer-Gebäudes.5

Diese Kräfte haben keine provokatorischen Handlungen gegen die Staatsgrenze und die Grenzsicherungskräfte durchgeführt.

Nach bisherigen Feststellungen haben sie die Festnahme der Grenzverletzer beobachtet.

Die Untersuchungen werden fortgesetzt.

  1. Zum nächsten Dokument Luftgewehrschüsse von Westberlin gegen die Staatsgrenze

    17. September 1973
    Information Nr. 959/73 über provokatorische Handlungen von Westberlin aus gegen die Staatsgrenze der DDR

  2. Zum vorherigen Dokument Schusswaffengebrauch durch NVA-Grenzer bei Kontrolle

    17. September 1973
    Information Nr. 956/73 über einen Schusswaffengebrauch durch Angehörige der NVA-Grenze bei einer Kontrollhandlung in unmittelbarer Nähe der Grenzübergangsstelle Bornholmer Straße am 15. September 1973