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Vermisster Richter beim Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte

22. Juni 1973
Information Nr. 574/73 über den Richter beim Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte Reiner Breddin

[Faksimile von Deckblatt]

Dem MfS wurde bekannt, dass der Breddin, Reiner,1 geboren am [Tag, Monat] 1944, wohnhaft in Berlin, [Straße, Nr.], Richter beim Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte, Mitglied SED, DSF, FDGB, VDJ, verheiratet, drei Kinder, seit dem 13.6.1973 unbekannten Aufenthaltes ist.

Die in diesem Zusammenhang bisher durchgeführten Überprüfungen ergaben, dass Breddin am 12.6.1973, gegen 6.30 Uhr, unter Mitnahme von persönlichen Gegenständen ohne Angabe seines Reisezieles gegenüber der Ehefrau, seine Wohnung verlassen hat.

Am gleichen Tag mietete er im Rügenhotel Sassnitz unter Vorlage seines Personalausweises ein Zimmer, dass er am 13.6.1973 ohne Bezahlung, unter Zurücklassung seines Parteidokumentes, anderer Mitgliedsbücher und seiner persönlichen Sachen wieder verließ.

Seit diesem Zeitpunkt ist nicht bekannt, wo sich Breddin aufhält.

Die Überprüfungen in der Wohnung ergaben, dass Breddin entgegen den gesetzlichen Bestimmungen dienstliche Unterlagen, Dienstsiegel usw. zu Hause aufbewahrte. In diesem Zusammenhang wurde gegen ihn wegen Geheimnisverrat2 ein Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet.

Zu den Persönlichkeitsmerkmalen des Breddin wurde dem MfS u. a. Folgendes bekannt:

Breddin entstammt einer Arbeiterfamilie. Nach dem Besuch der Volksschule (acht Klassen) und dem Lehrabschluss als Herrenmaßschneider war er von 1962 bis 1965 Angehöriger der Seestreitkräfte der NVA mit dem letzten Dienstgrad Stabsmatrose. Anschließend qualifizierte er sich beim VEB Studiotechnik als Schlosser. Von 1969 bis 1971 war er im gleichen Betrieb als Betriebsfunkredakteur tätig.

1971 absolvierte er einen Acht-Monate-Lehrgang an der Akademie für Staat und Recht der DDR in Potsdam-Babelsberg und danach erfolgte sein Einsatz als Richterassistent am Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte. Nach der Einarbeitung wurde Breddin im September 1972 zum Richter gewählt.3

Obwohl Breddin ständig beruflich – auch im Hinblick auf seine soziale Herkunft – gefördert wurde, gab es bereits während des Lehrgangs in Potsdam-Babelsberg Schwierigkeiten bezüglich seiner Lernhaltung, Disziplin und Einstellung zur sozialistischen Moral und Ethik. In der darauffolgenden Zeit nahmen die Probleme mit Breddin in dieser Hinsicht noch zu, und es mussten mit ihm [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben] mehrere Auseinandersetzungen geführt werden. Außerdem musste er zur Rechenschaft gezogen werden, weil er von elf Lehrveranstaltungen 1973 innerhalb seines Fernstudiums an der Humboldt-Universität Berlin neun unentschuldigt versäumt hatte.

Offensichtlich, um weiteren Auseinandersetzungen seitens der Dienststelle bzw. der gesellschaftlichen Organisationen auszuweichen, ließ sich Breddin aus fadenscheinigen Beweggründen (kleine Verletzung an der Hand u. a.) ab 4.6.1973 krankschreiben. In einem vom Kaderleiter seiner Dienststelle mit ihm geführten Telefongespräch gab Breddin die Zusage, sich am 12.6.1973 auf seiner Arbeitsstelle einzufinden.

Die Ehefrau des Breddin ist als Sekretärin bei der Bezirksleitung der SED Berlin, Abteilung Parteiorgane, beschäftigt.

Die eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen zur Auffindung und Festnahme des Breddin werden intensiv fortgeführt.

  1. Zum nächsten Dokument Grenzüberschreitender Reiseverkehr 1.1.–1.5.1973

    25. Juni 1973
    Information Nr. 579/73 über die Entwicklung des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs in der Zeit vom 1. Januar 1973 bis 31. Mai 1973

  2. Zum vorherigen Dokument Fronleichnamsprozessionen der katholischen Kirche in der DDR

    [ohne Datum]
    Information Nr. 567/73 über die Fronleichnamsprozessionen der katholischen Kirche am 21. Juni 1973 in der DDR