Verstöße im Umgang mit dem Nachlass einer Genossin
20. August 1973
Information Nr. 827/73 über Verletzung der Wachsamkeit und Verstöße gegen Sicherheit und Ordnung im Umgang mit dem Nachlass der Genossin Edith Baumann
Am 30.7.1973 wurde dem MfS bekannt, dass im Objekt des Magistrats in 1055 Berlin, Saarbrücker Straße 22/24 (Fahrbereitschaft), Nachlass der im Frühjahr verstorbenen Genossin Edith Baumann1 gelagert wurde.
Wie die weiteren Feststellungen ergaben, umfasste dieser Nachlass neben einigen Möbelstücken mehrere Körbe und Kisten mit einer großen Menge von Schriftstücken und Büchern.
Unter den Schriftstücken befanden sich
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Dokumente aus der Tätigkeit der Genossin Baumann im Zentralkomitee, so z. B. Redemanuskripte der Genossen Walter Ulbricht2 und Wilhelm Pieck,3 die mit handschriftlichen Bemerkungen von Genossin Edith Baumann und Genossen Erich Honecker4 versehen waren,
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Korrespondenz zwischen der Genossin Baumann und anderen führenden Genossen während der Zeit des Widerstandskampfes gegen den Faschismus,
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privater Schriftwechsel zwischen ihr und den genannten Genossen.
Neben Urkunden und anderen Auszeichnungsschreiben waren auch zahlreiche Fotos, Protokolle, Berichte und anderes wertvolles Material unter diesem als »Müll« behandelten Nachlass.
Die vom MfS sofort eingeleiteten Überprüfungen und Untersuchungen mit dem Ziel der Sicherstellung dieser Materialien ergaben:
Die bereits Mitte Juni 1973 erfolgte Anlieferung und Ablagerung des Nachlasses der Genossin Baumann wurde durch ihren damaligen persönlichen Mitarbeiter im Magistrat, den Genossen [Name, Vorname], veranlasst. ([Name] hat aufgrund des Todesfalles enge persönliche Beziehungen zur Familie der Verstorbenen angeknüpft und die Regelung der Nachlassangelegenheiten übernommen.)
Die Behälter mit den Schriftstücken waren offen abgestellt worden und von Mitarbeitern aus diesem Objekt, zu denen neben den Mitarbeitern der Fahrbereitschaft auch Arbeiter aus PGHen und Betrieben gehören, durchwühlt.
Der überwiegende Teil der Dokumente und Materialien wurde dabei entwendet.
Eine Reihe von Unterlagen und wertvolle Bücher, darunter auch signierte Erstausgaben, wurden auf Veranlassung des Objektverantwortlichen zum Altstoffhandel gegeben, bzw. wenige »wertlose« Schriftstücke wurden verbrannt.
So konnten trotz sofortigen Eingreifens des MfS nach Bekanntwerden dieser Angelegenheit nur ganz wenige Materialien (u. a. die Ehrenurkunde für 40-jährige Parteimitgliedschaft der Genossin Edith Baumann) sichergestellt werden.
Die beschriebene Behandlung des Nachlasses führte darüber hinaus zu negativen Diskussionen unter Mitarbeitern des Objektes hinsichtlich der »Wertschätzung« verschiedener Genossen nach ihrem Tode.
Der Zweite Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin wurde von diesen Vorgängen durch das MfS informiert und hat eine entsprechende Untersuchung eingeleitet.