Versuch der Ausschleusung von zwei minderjährigen Kindern
18. April 1973
Information Nr. 368/73 über den Versuch der Ausschleusung von zwei minderjährigen Kindern nach Westberlin durch ein in der DDR amnestiertes und in die BRD entlassenes Ehepaar
Am 14.4.1973, gegen 17.30 Uhr, wurden durch die Grenzkontrollorgane an der Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße die Bürger der BRD [Name 1, Vorname 1], geborene [Name 2], geschiedene [Name 3], geboren am [Tag, Monat] 1941, ohne erlernten Beruf, tätig als Schneiderin bei der Firma Michael Lohs in Traunreut/Bayern, wohnhaft Traunreut, Bayern, [Straße, Nr.], verheiratet, zwei Kinder, seit 1965 in der DDR, viermal wegen krimineller Straftaten (Betrug, Fälschung, Diebstahl) und 1972 wegen versuchtem ungesetzlichen Grenzübertritt vorbestraft, am 9.11.1972 amnestiert1 und nach Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR in die BRD entlassen und [Name 1, Vorname 2], geboren am [Tag, Monat] 1944, erlernter Beruf Maschinenformer, tätig als Stricker bei der Firma Michael Lohs in Traunreut, Bayern, wohnhaft Traunreut, Bayern, [Straße, Nr.], verheiratet, drei Kinder, seit 1970 in drei Fällen in der DDR wegen krimineller Straftaten (Betrug, Nötigung, Vergehen gegen das sozialistische Eigentum, Verletzung der Unterhaltspflicht) und 1972 wegen versuchtem ungesetzlichen Grenzübertritt, vorbestraft, am 15.12.1972 amnestiert und nach Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR in die BRD entlassen, bei dem Versuch der Ausschleusung ihrer beiden Kinder [Name 1, Vorname 3], geboren am [Tag, Monat] 1961 und [Name 1, Vorname 4], geboren am [Tag, Monat] 1962, beide Schüler der 34. Oberschule in Berlin-Prenzlauer Berg, [Straße, Nr.], und aufenthältlich im Kinderheim »Joliot-Curie« Berlin-Prenzlauer Berg, Anton-Saefkow-Str. 66–68, nach Westberlin festgenommen und gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen versuchter Kindesentführung nach § 144 (1), (3), (4) StGB2 eingeleitet und Haftbefehl erlassen.
Die bisherigen Untersuchungen des MfS ergaben, dass es sich bei dem Ehepaar [Name 1, Vorname 1] und [Vorname 2] um ehemalige Bürger der DDR handelt, die nach erfolgter Amnestie aufgrund der von ihnen gestellten Anträge zur Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR am 9.11.1972 in die BRD entlassen worden waren.
(Das Ehepaar [Name 1] verbüßte zum Zeitpunkt der Amnestie eine vom Stadtbezirksgericht Berlin-Lichtenberg am 20.1.1972 ausgesprochene Gesamtstrafe (für [Name 1, Vorname 2] = vier Jahre, acht Monate Gefängnis, für [Name 1, Vorname 1] = vier Jahre, zwei Monate Gefängnis) für die von ihnen in den vergangenen Jahren begangenen kriminellen Handlungen sowie für den von ihnen am 19.6.1971 gemeinschaftlich versuchten ungesetzlichen Grenzdurchbruch mit den beiden Kindern [Name 1, Vorname 3] und [Vorname 4] im Raum Oschersleben.)
Vor ihrer Ausreise in die BRD am 9.11.1972 wurde dem Ehepaar [Name 1] auf ihre entsprechenden Anträge die Übersiedlung ihrer beiden Kinder – für die mit der Verurteilung der [Name 1, Vorname 1] eine Heimerziehung angewiesen wurde – nach Prüfung und Entscheidung zuständiger Institutionen der DDR in Aussicht gestellt. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt lag die Entscheidung von den zuständigen Organen der DDR noch nicht vor.
Mit dem Ziel, die Übersiedlung der zwei Kinder durch persönliche Rücksprachen beim Rat des Stadtbezirkes Berlin-Prenzlauer Berg zu erwirken, reiste das Ehepaar [Name 1] am 11.4.1973 in die Hauptstadt der DDR ein. Da von der Abteilung Innere Angelegenheiten des Rates des Stadtbezirkes Berlin-Prenzlauer Berg aufgrund der ausstehenden Entscheidung keine verbindliche Zusage zum Verzug der beiden Kinder – die das Ehepaar [Name 1] während seines Aufenthaltes in der Hauptstadt Berlin im Kinderheim besucht hatte – gegeben werden konnte, entschloss sich das Ehepaar [Name 1] zur illegalen Ausschleusung.
Daraufhin begab sich die [Name 1, Vorname 1] am 13.4.1973 zurück3 zu ihrem jetzigen Wohnsitz Traunreut, Bayern, mit dem Ziel4, von der dortigen örtlichen Polizeibehörde gegen Vorlage von Passfotos der Kinder [Vorname 3] und [Vorname 4] Kinderausweise ausstellen zu lassen, wobei sie dort angab, dass sie ihre Kinder aus der DDR in die BRD holen wolle. Da die Ausstellung von Kinderausweisen – die offiziell bescheinigen, dass die Kinder in Traunreut, Bayern gemeldet sind – acht bis 14 Tage in Anspruch nimmt, erhielt die [Name 1, Vorname 1] eine vorläufige schriftliche Bestätigung bzw. Zustimmungserklärung zur Ausstellung von Kinderausweisen, die durch Unterschrift auch vom Gemeindeamt Traunreut beglaubigt wurde.
Am 14. April 1973 reisten [Vorname 1] und [Vorname 2 Name 1] erneut in die Hauptstadt der DDR ein und holten ihre Kinder, unter dem Vorwand, spazieren gehen zu wollen, von der Tante der [Vorname 1 Name 1], der DDR-Bürgerin [Name 4, Vorname], wohnhaft Berlin-Prenzlauer Berg, [Straße, Nr.], bei der sich die Kinder jeweils an den Wochenende aufhielten, ab. Sie informierten die Kinder über den beabsichtigten ungesetzlichen Grenzübertritt und fuhren mit ihnen zur Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße. Zuvor hatten sie ihren Kindern Bekleidungsstücke westlicher Produktion angezogen, ihnen den ungefähren Kontrollablauf auf der Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße erklärt und ihnen »ihre« Wohnanschriften in der BRD genannt, damit sie diese bei Befragungen durch die Sicherheitsorgane der DDR angeben konnten.
Bei der Ausreisekontrolle gaben [Vorname 1] und [Vorname 2 Name 1] vor, mit ihren Kindern am gleichen Tage aus Westberlin kommend in die Hauptstadt der DDR eingereist zu sein und wiesen die beglaubigten Zustimmungserklärungen vor. Sie behaupteten, die Sicherheitsorgane der DDR hätten bei der Einreise vergessen, die Kinder in die Grenzübertrittsdokumente einzutragen.
Die Kinder [Vorname 3] und [Vorname 4 Name 1] wurden am 14. April 1973 erneut im Kinderheim »Joliot Curie« in Berlin-Prenzlauer Berg, Anton-Saefkow-Straße 66–68, untergebracht.
Die Untersuchungen des MfS zur umfassenden Aufklärung der Kindesentführung werden fortgesetzt.