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Vorbereitung einer Eingabe der Sektion Bildhauer

30. Januar 1973
Information Nr. 84/73 über die Erarbeitung einer Niederschrift der Sektion Bildhauer des Berliner Verbandes bildender Künstler und deren vorgesehene Weiterleitung an das ZK der SED

Dem MfS wurde intern bekannt, dass Mitte 1972 von der Sektion Bildhauer des Berliner Verbandes bildender Künstler1 eine Kommission eingesetzt wurde, welche die Aufgabe haben soll, alle Probleme und Schwierigkeiten der bildenden Künstler in einer entsprechenden Niederschrift darzulegen.

Ausgangspunkt der Bildung dieser Kommission war eine Versammlung der Sektion Bildhauer des Berliner Verbandes bildender Künstler am 1.6.1972, an der ca. 40 Personen teilnahmen.

Planmäßig wurde während dieser Versammlung durch die Sektionsleitung eine Einschätzung der Bezirkskunstausstellung Berlin 1972 vorgenommen und zur Diskussion gestellt.2

Während der Diskussion kam es – offensichtlich auch in Ausnutzung der begründeten Nichtanwesenheit des Vorsitzenden der Sektion Kies,3 gegen den sich im weiteren Verlauf der Diskussion bestimmte Angriffe richteten – zu heftiger Kritik an der gegenwärtigen Lage der Mitglieder der Sektion Bildhauer, wobei besonders Unzufriedenheit zur Auftragssituation geäußert wurde. In dieser Diskussion wurden eine Reihe objektiver Schwierigkeiten in überwiegend sachlicher Form vorgetragen und zum Teil Vorschläge zur Überwindung dieser Situation unterbreitet.

Gleichzeitig wurde jedoch starke und zum Teil unberechtigte Kritik an der Sektionsleitung geübt, in einigen Fällen verbunden mit Ausfällen gegen die Kulturpolitik der DDR. Dabei trat besonders das Sektionsmitglied Siegfried Krepp4 in Erscheinung, der auch als erster Diskussionsredner den Vorschlag unterbreitete, eine Kommission zu bilden, die ein Konzept erarbeitet, in dem alle Probleme und Schwierigkeiten, die bei bildenden Künstlern in den letzten Jahren aufgetreten sind, dargelegt werden.

Diesem Antrag des Krepp, der in der Diskussion von den Sektionsmitgliedern Prof. Balden,5 Werner Stötzer,6 Fitzenreiter7 und Ingeborg Riehl-Hunzinger8 unterstützt wurde, stimmte die Mitgliederversammlung zu. Als Mitglieder der Kommission wurden durch Zurufe aus der Versammlung benannt:

  • Prof. Balden,

  • Werner Stötzer,

  • Siegfried Krepp,

  • Ingeborg Riehl-Hunzinger,

  • Fitzenreiter,

  • Christa Sammler,9

  • Gertrud Classen,10

  • Henkel,11

  • Winkler,12

  • Klein,13

  • Möpert,14

  • Midell.15

Nach dieser Mitgliederversammlung wurde von den Personen Prof. Balden, Siegfried Krepp, Werner Stötzer, Ingeborg Riehl-Hunzinger und Fitzenreiter die Ausarbeitung dieser Niederschrift vorgenommen.

Die übrigen genannten Kommissionsmitglieder nahmen aus den verschiedensten Gründen an diesen Zusammenkünften nicht teil und sind an der Ausarbeitung dieser Schrift nicht beteiligt. Sie blieben auch weiteren Absprachen zwischen den aktiven Mitgliedern der Kommission aus den verschiedensten Gründen fern.

Von den angeführten Kommissionsmitgliedern wurde entgegen den Festlegungen, ein Konzept zu erarbeiten, sofort eine ausformulierte Niederschrift verfasst.16

Durch die Kommission wurden der Parteisekretär des Berliner Verbandes, Genosse Dr. Schmidt,17 sowie die Vorstandsmitglieder Raue18 und Jura19 zu einer Zusammenkunft am 4.10.1972 eingeladen. Dabei wurde durch Prof. Balden die fertig formulierte Niederschrift verlesen, die nach Meinung der Kommission nach Bestätigung durch die Mitgliederversammlung an das ZK der SED weitergeleitet werden sollte.

Die eingeladenen Genossen lehnten eine Zustimmung zu dieser Niederschrift ab und drängten auf dessen Veränderung.

Eine endgültige Überarbeitung durch die aktiven Mitglieder der Kommission ist derzeitig infolge unterschiedlicher Auffassungen der Verfasser zu einzelnen Formulierungen nicht abgeschlossen. Der Inhalt der Niederschrift ist der Mitgliederversammlung der Sektion Bildhauer bisher nicht zur Kenntnis gebracht worden und wurde lediglich im internen Kreis behandelt. Die Neufassung – die von der Substanz keine Abstriche zulassen soll – könnte jedoch nach individuellen Äußerungen aktiver Kommissionsmitglieder im Februar/März 1973 beendet sein und den Mitgliedern vorgelegt werden. Unmittelbar danach soll die Niederschrift dem ZK der SED zugeleitet werden.20

Diese Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme und wegen Quellengefährdung nicht zur weiteren Auswertung bestimmt.

Anlage zur Information Nr. 84/73

Präambel

Am 1.6.1972 fand eine Sitzung der Sektion Bildhauer des VBK-DDR-Berlin statt. Die Sektionsleitung legte eine Einschätzung der Bezirksausstellung dieses Jahres vor. In der sich anschließenden Diskussion wurde der Bericht, die Ausstellung selbst und die Arbeitsweise des VBK-DDR-Berlin von den Mitgliedern heftig kritisiert. Bislang öffentlich kaum diskutierte, von der Verbandsleitung unberücksichtigt gelassene Probleme der Kunst und der Künstler kamen zur Sprache. Um zu verhindern, dass die angeschnittenen Fragen nicht, wie bisher, von maßgebenden und leitenden Stellen überhört werden, und weil sich die anwesenden Bildhauer ihrer Verantwortung gegenüber der sozialistischen Kultur bewusst sind, wurde eine Kommission gewählt, deren Aufgabe die Niederschrift der anstehenden Probleme unserer kulturellen Entwicklung ist. In der Versammlung der Sektion wurde diese Schrift gebilligt, mit dem Wunsche, sie dem Zentralkomitee der SED zuzuleiten.

Die in der Schrift angeführten Probleme wurden gewissenhaft überprüft und auf die wesentlichen reduziert. Sie stellen das Ergebnis gemeinsam gemachter Erfahrungen der Vergangenheit dar und sollen helfen, eine bereits eingetretene Deformation der sozialistischen Demokratie im Bereich der Kunst, die zu einer teilweisen Stagnation der Entwicklung geführt hat, abzustellen und ein offenes, vertrauensvolles Klima der Arbeit und der Diskussion zu erzeugen. Diese Niederschrift ist entstanden im Vertrauen auf die Führungskraft der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und ermutigt von den Worten des 1. Sekretärs des ZK der SED, Erich Honecker, auf dem VIII. Parteitag,21 in denen es heißt:

»Unsere Partei fühlt sich mit den Schriftstellern und Künstlern freundschaftlich verbunden. Sie können auf unser Verständnis für ihre Fragen und Schaffensprobleme rechnen, weil wir alle zusammen in einem Lande leben, in dem sich das humanistische Ideal der Einheit von Geist und Macht erfüllt hat.«22

Unsere Kulturpolitik fasst die Künste als einen für alle Menschen notwendigen Bestandteil ihres Lebens auf. Sie versteht und nutzt sie als ein Mittel zur Veränderung des gesellschaftlichen Bewusstseins und der sozialistischen Umwelt.

Auf dieser Basis hat das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft im Laufe der Entwicklung eine sich qualitativ abzeichnende Veränderung erfahren: Die Schwelle des anfänglichen bloßen Interesses an der Kunst wird überschritten zugunsten wachsender Bedürfnisse – Bedürfnisse, an deren Zustandekommen auch die bildenden Künstler jahrelang geistige und materielle Kräfte investiert haben. Nicht nur deshalb, sondern weil es unser erstrebenswertes Ziel ist, eine im sozialistischen Sinne gebildete Gesellschaft zu sein, sollten diese Bedürfnisse mit erwartungsgemäßem Recht und in Wahrung gesellschaftlicher Entwicklungsproportionen befriedigt werden. Diese Bedürfnisse könnten – im Sinne der Forderung des VIII. Parteitages der SED – weitaus umfassender befriedigt werden, wenn nicht Hemmnisse verschiedenster Art vorhanden wären, die offenkundig im mangelhaften Verhältnis zur sozialistischen Demokratie und damit zum Sozialismus überhaupt stehen bzw. dort ihren Ursprung haben. Sie behindern die kontinuierliche Vorwärtsentwicklung zu einem lebendigen, vielgestaltigen und verantwortungsbewussten Realismus. Wir sehen im noch immer praktizierten bürokratischen Verhalten, der Nichtachtung demokratischer Grundsätze und Ideale durch Manipulationen einzelner und kleiner Gruppen die Ursache dafür, dass schöpferische Kräfte gelähmt werden, anstatt sie zu entfalten, dass das künstlerische Verantwortungsgefühl abstumpft, wie überhaupt das für eine fruchtbare künstlerische Arbeit notwendige schöpferische Klima verkümmert.

Wir aber begreifen die sozialistische Demokratie als die unveräußerliche Grundlage aller schöpferischen Leistungen und Prozesse, sowohl die der Arbeiterklasse als auch die der Künstler. Nur wahre Vertrauensverhältnisse in allen Verbandsgremien und ein echter Meinungsstreit schaffen entsprechende Voraussetzungen für ein schöpferisches Klima und fördern die Ermittlung künstlerischer Wahrheit und die Gewinnung von Überzeugungen. Wo ein kritisch-schöpferischer Meinungsstreit behindert wird, bildet sich Gleichgültigkeit, Entmutigung, Abkehr und insbesondere Opportunismus.

Wir stimmen überein mit den Worten Prof. Kurt Hagers in seinem Referat »Arbeiterklasse und Künstler«: »… sich zuerst und vor allem mit den gesellschaftlichen Zielsetzungen der Arbeiterklasse im Kampf um Frieden, Demokratie und Sozialismus zu identifizieren«.23 Wir gehen davon aus, dass dies die Zielsetzung der Mehrheit der Künstler ist.

Die Kunst, vor allem die sozialistische Kunst, hat ihre Wurzeln in der Gesellschaft, und notwendigerweise ist die Gesellschaft auch ihr Förderer. Förderung aber bedeutet, den Künstler zu fordern. Von der Gesellschaft gefordert zu werden, beinhaltet nicht nur, den Beitrag zur Entfaltung und Bildung der Gesellschaft zu leisten, sondern diese Veränderung, die der Künstler mitbewirkt, verändert auch ihn.

Fragen der sozialistischen Demokratie

Ohne Anwendung sozialistisch-demokratischer Prinzipien ist keine produktive künstlerische und politische Arbeit des Künstlers innerhalb der Gesellschaft möglich.

Der Arbeitsstil des Verbandes und anderer Kulturinstitutionen hat in den letzten Jahren dazu beigetragen, die Anwendung sozialistisch-demokratischer Prinzipien und die künstlerische Produktivität in hohem Maße zu behindern. Das Ergebnis ist Unzufriedenheit unter den Mitgliedern. Vergleichen wir die praktizierten Methoden mit denen, die Prof. Kurt Hager in seiner Akademierede vom 9.3.1972 für die Künstlerverbände fordert,24 z. B.:

  • Vertrauensverhältnis Parteileitung – Künstler,

  • Verantwortlichkeit der Künstler für ihr Werk,

  • keine künstlerischen Tabus unter Voraussetzung der Bereitschaft und des Willens, den Sozialismus zu stärken,

so bestehen gravierende Widersprüche. Statt zufälliger Entscheidungen und persönlicher Willkür, die immer wieder in Erscheinung treten, fordern wir eine kontinuierliche, planvolle Kunstpolitik auf gesetzlicher Grundlage. Anstelle Kräfte verzehrender und Widersprüche erzeugender Verhältnisse sollten echte gesellschaftliche Beziehungen treten, in denen sowohl der gebildete Auftraggeber als auch der Künstler das Recht und die Pflicht gegenseitiger Information und offener Diskussion haben. Da es aber um die Einheit zwischen künstlerischer und staatsbürgerlich-politischer Verantwortung im Verband geht, müsste es insbesondere Anliegen der Verbandsleitung sein, die produktivsten Künstler zusammenzuführen, damit diese das Niveau bestimmen. Bisher wurde durch die Leitungsmethoden eine Anteilnahme und aktive künstlerisch-politische Bestätigung behindert.

Die Unzufriedenheit der Mitglieder über diese Situation, die sich besonders in den letzten Jahren stabilisiert hat, konzentriert sich auf einige besonders wichtige Problemgruppen, von denen ihre Existenz oft unmittelbar abhängt.

a) Unzufriedenheit über mangelnde Rechenschaftslegung

Es kommt zu häufig vor, dass sehr wichtige Beschlüsse gefasst und Verordnungen erlassen werden, über die es vorher weder Diskussion noch nachfolgend Rechenschaftslegung vor der Mitgliederversammlung gibt (z. B. Honorarordnung)25. Es werden Kommissionen eingesetzt, die oft das Vertrauen der Kollegen nicht besitzen. In den meisten Fällen wissen die Kollegen nichts von der Existenz solcher Kommissionen und wer sie einsetzt. Wenn es um so grundlegende und für alle wichtige Fragen geht, muss das bekannt sein, und es muss eine allgemeine Diskussion der betreffenden Probleme geben.

Konkrete und oft katastrophale Auswirkung hat dieser Punkt auf den folgenden Komplex, der für alle Kollegen besonders wichtig ist: das gesamte Ausstellungswesen.

b) Ausstellungs- und Jurytätigkeit

Die Arbeitspraxis führender Verbandsorgane im Ausstellungswesen wurde besonders bei der Bezirkskunstausstellung in Berlin 1972 für alle Mitglieder deutlich. Die bei dieser Ausstellung zu beobachtenden Praktiken stellen das bisher Dagewesene in den Schatten. Mehrere Kommissionen arbeiteten nicht miteinander, sondern gegeneinander. Entscheidungen der einen Kommission wurden von der nächsten verworfen. Wichtige künstlerische Leistungen blieben außerhalb der Ausstellung. Dafür wurden Arbeiten gezeigt, die weder zum Termin eingereicht noch bei der Durchsicht der Sektionsleitung der Bildhauer vorhanden waren.

Im Wesentlichen werden Ausstellungen durch die Tätigkeit der Jury bestimmt. Deshalb kann man nicht akzeptieren, dass es für eine Ausstellung mehrere Jurys gibt und niemand die Verantwortung für getroffene Entscheidungen übernimmt. Eine einzige Jury ist notwendig. Es ist nicht zu akzeptieren, dass der Anteil der Fachleute (also Künstler) in der Jury, gemessen an der Zahl der Vertreter anderer gesellschaftlicher Organe, unverhältnismäßig gering ist.

Wir schlagen vor, dass die Künstler in den Jurys von den Sektionen gewählt werden.

Verschiedentlich wurden bereits abgenommene und aufgestellte Arbeiten ohne stichhaltige Begründung, ohne Benachrichtigung und Diskussion mit dem Autor abgerissen und eingelagert. Wir betrachten das als ein unserer Gesellschaft unwürdiges Vorgehen und erwarten eine rechtliche Absicherung gegen solche, die Künstler diffamierende, anonyme Willkür Einzelner oder kleiner Gruppen. Der Schaden, der der sozialistischen Humanität daraus erwächst, wiegt mindestens so schwer wie der persönliche, denn er schafft den Nährboden für Unwahrhaftigkeit und Opportunismus.

c) Mangelnde Information

Es gibt nur sehr unvollständige Informationen über Ausstellungen im In- und Ausland. Es ist weder bekannt, wer die einzelnen Künstler für Auslandsausstellungen auswählt, noch nach welchen Gesichtspunkten solche Auswahl erfolgt. Man erfährt meist nachträglich, wer ausgestellt hatte, aber nie die Gründe für gerade diese Wahl.

  • 1.

    Ausstellungstätigkeit

    Die aus den sozialistischen Ländern gezeigten Ausstellungen entsprechen häufig nicht dem tatsächlichen künstlerischen Niveau dieser Länder. Wichtige Ausstellungen, die in anderen Volksdemokratien gezeigt wurden, wurden uns vorenthalten (Chagall in Warschau,26 Moore in Prag,27 Vasarely in Budapest)28.

  • 2.

    Information durch Reisen

    Die Kommission stellt fest, dass Reise- und Informationsmöglichkeiten im Ausland sich bisher auf das sozialistische Ausland beschränken. Diese Informationsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren erweitert und stellen eine wichtige Anregung für das Schaffen der Künstler dar. Diese vorhandenen Möglichkeiten sollten durch Studienreisen und Ausstellungen auch im kapitalistischen Ausland erweitert werden.

    Nicht die Abgrenzung und Abkapselung gegen die Kunstproduktion des kapitalistischen Auslands kann auf die Dauer sinnvoll sein; ihr wohnt das Element der Furcht und Unsicherheit inne. Wir sind der Meinung, dass eine große Anzahl der Künstler genügend Selbstbewusstsein besitzt, um in die aktive Auseinandersetzung mit der westlichen Kunst einzutreten, und zwar in der Diskussion wie im Zeigen von Ausstellungen im westlichen Ausland. Die Abgrenzung möchten wir als aktive Gegenüberstellung und Konfrontation aufgefasst wissen und nicht als Abkapselung, also passiv.

  • 3.

    Information durch Zeitschriften – Publikationen

    Wir sind der Ansicht, dass die Information der Mitglieder durch die Zeitschrift »Bildende Kunst«,29 das »Mitteilungsblatt«30 des Zentralvorstandes sowie das »Informationsblatt«31 des Berliner Bezirksvorstandes sehr ungenügend ist. Es wird festgestellt, dass die genannten Publikationsmedien weder über wirklich vorhandene künstlerische Potenzen noch über einen echten Meinungsstreit informieren. Sie enthalten nur ungenügende Informationen über geplante Ausstellungsvorhaben innerhalb der DDR, wie in den sozialistischen Nachbarländern.

    Die angegebenen Termine sind in der Regel veraltet und so ohne Wert. Über bestimmte große Ausstellungen der Volksdemokratien wird nicht oder ungenügend informiert (beispielsweise Grafikbiennalen Krakau,32 Kleinplastikbiennale Budapest)33.

    Wir vermissen die Möglichkeit und das Recht des Künstlers zur öffentlichen Entgegnung auf Kritik.

    Die Kunstzeitschriften der sozialistischen Länder sind nicht im Handel zu erwerben. Wir sind der Meinung, dass der Erwerb von Fachliteratur aus dem Ausland für die künstlerische Auseinandersetzung notwendig ist.

  • 4.

    Zur Vertretung des VBK-DDR im Ausland

    Überprüft man die Namenslisten in den Katalogen der vom Zentralvorstand zusammengestellten Beiträge der DDR auf Biennalen und sonstigen Ausstellungen im Ausland, so ergibt sich folgendes Bild: Die benannten Künstler sind oft nicht repräsentativ für den wirklichen Leistungsstand der Kunst in der DDR. Für die Mitglieder bleibt undurchsichtig, nach welchen Kriterien und Auswahlprinzipien hier praktiziert wird. (Eines der eklatantesten Beispiele ist der Beitrag der DDR zur Grafikbiennale in Krakau 1972. Um solche Fehlleistungen künftig zu vermeiden, sollte eine ausgewählte Jury einen repräsentativen Fundus an Kunstwerken für Auslandsausstellungen ermitteln, der jeweils ergänzt wird. Außer Gruppenausstellungen sollten auch Einzelausstellungen zu einer Selbstverständlichkeit werden.)34

d) Nachwuchs- und Absolventen-Probleme

Im Beschluss des VI. Kongresses des VBK-DDR von 197035 heißt es: »Die jungen Künstler sind stärker in die Tätigkeit des Verbandes einzubeziehen. Ihnen muss echte kollegiale Unterstützung beim Übergang von der Ausbildung in die Berufspraxis und in das gesellschaftliche Leben zuteilwerden.«

Wir stellen fest, dass die derzeitige Situation des Künstlernachwuchses, gemessen an oben stehendem Beschluss, katastrophal ist. Viele sind nach dem Studium jahrelang ohne Auftrag und müssen auf anderen Arbeitsgebieten einen Broterwerb suchen. Die künstlerische Entwicklung ist hierdurch nicht nur gestört, sondern meist ganz unterbrochen. Der Verband hat es über lange Zeit versäumt, durch Entwicklungsaufträge junge Begabungen zu fördern.

Es ist nötig, im Zusammenhang mit einer zu entwickelnden neuen Auftragspolitik vorrangig die Situation des Nachwuchses zu behandeln.

Es fehlt in Berlin an kleinen Galerien, in denen sich Künstler, besonders junge, vorstellen können. Trotz vielfacher Forderung der Mitglieder hat die Bezirksleitung des VBK und der Magistrat dieses Problem ignoriert.

e) Einige wirtschaftliche und arbeitstechnische Probleme

Mit einer verantwortungsvollen Kulturpolitik unvereinbar sind die Arbeitsräume vieler Kollegen, die allen arbeitstechnischen und sogar hygienischen Forderungen Hohn sprechen. Es ist erforderlich, dass im Rahmen des Wohnungsbauprogramms36 Ateliers zu erschwinglichen Mieten eingeplant und gebaut werden. Auch die Bereitstellung günstiger Kredite und anderweitige Unterstützung beim Bau von Ateliers wären zu erwägen.

Sehr wichtig für unsere Arbeit sind Erhaltung und Förderung bzw. Aufbau und Ausbau von Ausführungsbetrieben (Gießereien, Keramikwerkstätten, Steinbildhauerwerkstätten, Gipsformereien).

Diese volkswirtschaftlich nicht bedeutenden Berufe sind infolge einer uneinsichtigen Tarifbildung durch Abwanderung von Arbeitskräften in besser bezahlte Berufe vom Aussterben bedroht. Es ist bei der Entlohnung dieser hochqualifizierten Arbeitskräfte zu bedenken, dass z. B. das Formen einer Plastik mit anderen Maßstäben beurteilt werden muss als die industrielle Serienproduktion. Produktionssteigerung geht hier bei gleicher Betriebsstärke immer auf Kosten der Qualität.

Im Rahmen der Durchsetzung der genossenschaftlichen Produktion dürften Kunstgießereien und ähnliche Betriebe auf keinen Fall mit artfremden Betrieben gekoppelt werden. Als Beispiel seien nur die Schwierigkeiten in Lauchhammer genannt.37

f) Auftragswesen

Der Beirat für bildende Kunst beim Magistrat ist seinen Aufgaben in keiner Weise gewachsen.38 Seine Arbeitsweise hemmt den Ablauf der Arbeit des Künstlers. Oft verstreichen zwischen Entwurfsabnahme und Auftragserteilung für die Kollegen unerträglich lange Fristen, die eine Arbeitsplanung (auch eine finanzielle) unmöglich machen. Hier müssten gesetzlich verbindliche Termine festgelegt werden. Weiterhin müsste in diesem Rahmen ein Partner klar bestimmt werden, an den sich ein Künstler in Fragen eines Auftrages wenden kann. Die Abnahmekommission sollte während eines Auftrages die gleiche bleiben. Die Zahlung der vereinbarten Honorare erfolgt in vielen Fällen nicht termingemäß.

So wie das Theater, die Musik, die Literatur und der Film ihre vielfältigsten und konstanten Einrichtungen zur Realisierung ihrer Arbeit haben, muss es notwendigerweise auch für bildende Kunst konstante, entsprechend den verschiedenen Gruppen von Auftraggebern variable Einrichtungen geben, die eine Realisierung und Verwirklichung der gestellten Aufgaben bewirken.

Nach dem Wegfall der Zwei-Prozent-Bestimmung für anzuwendende Mittel innerhalb aller Investitionssummen stehen wir heute vor der Tatsache, dass eine im Moment noch nicht als Mussbestimmung gesetzlich verbindliche Regelung nur noch für den Wohnungsbau in der Höhe von 0,5 Prozent des Baupreises vorgesehen ist.39

Wie versteht sich diese Tatsache mit der verkündeten Kulturpolitik unseres Staates? Eine juristisch-ökonomische Verankerung der maximalen Mittel für bildende Kunst im Staatshaushalt ist die einzige Garantie, die zu einer stabilen und konstruktiven Arbeit der Künstler führen kann.

Die Gesellschaft stellt hohe Ansprüche. Um diese Ansprüche verwirklichen zu können, muss die Gesellschaft Sorge tragen, die Existenzgrundlage derer kontinuierlich zu sichern, die diese Ansprüche verwirklichen sollen.

In diesem Zusammenhang ist die Stellung des Verbandes innerhalb der Interessenorganisationen der DDR zu bedenken.

Die meisten älteren Mitglieder waren früher im FDGB und sahen durch diese Mitgliedschaft ihre sozialen Interessen (Krankheit, Kuren, Altersversorgung und Arbeitsbedingungen) vertreten und gewahrt.

In den 1950er-Jahren wurden die bildenden Künstler aus dem FDGB herausgenommen.40 Der Verband aber, der die einzige Interessenvertretung der Künstler ist, kann bis heute durch seine rechtlich ungesicherte Position in der Gesellschaft dieses Vakuum nicht ausfüllen.

Es geht hier in den Kritiken und Forderungen in erster Linie um den fortdauernden Bestand der bildenden Kunst. Wenn der sozialistische Staat die Einheit von Geist und Macht beansprucht, handelt er ideologisch falsch und setzt seine Macht über den Geist, wenn er – je nach Gutdünken – die finanziellen Mittel für bildende Kunst bereitstellt oder abschreibt.

Die Wirksamkeit der bildenden Kunst auf die Menschen, die gerade in ihrer andauernden, langfristigen Beeinflussung, im Gegensatz zu anderen Künsten, besteht, ist von diesen Schwankungen schwer getroffen, ebenso die ideologische Integration der bildenden Künstler und ihre materielle Existenz.

Um Mittel und Wege der Veränderung zu finden, erwarten wir eine gemeinsame Aussprache.

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    30. Januar 1973
    Information Nr. 94/73 über eingeschleuste Hetzschriften

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    30. Januar 1973
    Information Nr. 104/73 über die widerrechtliche Festnahme zweier Angehöriger der Transport-Kriminalpolizei durch die Westberliner Polizei am 31. Januar 1973