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Vorkommnis in der Anmeldung des Hauses des ZK der SED

16. August 1973
Information Nr. 818/73 über ein Vorkommnis in der Anmeldung des Hauses des ZK der SED

Am 15.8.1973, gegen 13.00 Uhr, erschienen in der Besucherberatung des ZK zwei Männer im Alter von 45 und 30 bis 35 Jahren, um einen Brief an den Ersten Sekretär des ZK der SED abzugeben.

Zu diesem Zeitpunkt versahen die Genossinnen [Vorname Name 1] und [Vorname Name 2], beide Mitarbeiterinnen des ZK, ihren Dienst am Schalter der Besucherberatung bzw. am Postschalter.

Während der ältere der beiden Männer den Brief übergab, fotografierte der jüngere die Übergabe des Briefes. Als die Genossin [Name 2] die Besucher darauf aufmerksam machte, dass das Fotografieren in diesen Räumen nicht statthaft sei, fragte der Jüngere: »Warum denn nicht?« Auf die Antwort der Genossin [Name 2]: »Weil wir nicht in einem Fotoladen sind!« erwiderte der Jüngere: »Wir brauchen das aber als Beweis.« Die Frage der Genossin [Name 2]: »Wer sind Sie denn eigentlich?« wurde von dem Jüngeren wie folgt beantwortet: »Wir sind ein Briefträger und kommen aus Westberlin.«

Unmittelbar darauf verließen sie die Räume der Anmeldung und bestiegen ein bereitstehendes Taxi.

Der in der Nähe des Eingangs der Anmeldung diensttuende Posten des Wachregiments1 stellte fest, dass die beiden männlichen Personen mit diesem Taxi in Richtung Französische Straße abfuhren.

Es ist damit zu rechnen, dass das Foto und ein entsprechender Artikel in der Westpresse veröffentlicht wird, um in der Angelegenheit Ingrid Brückmann2 – in der dieser Brief geschrieben wurde – Druck und Zwang gegenüber der DDR auszuüben.3

Eine Kopie des Briefes, dessen Wortlaut in der Anlage wiedergegeben ist, wollte Genossin [Name 3], Büro des Politbüros, an das Sekretariat des Ersten Sekretärs des ZK der SED übergeben.

Dieser Vorgang zeigt, dass in der vorbeugenden Sicherung und im Schutz noch Lücken vorhanden sind. Es werden deshalb Überprüfungen und Maßnahmen eingeleitet, um festzustellen und vorzuschlagen, mit welchen Mitteln und Methoden, insbesondere auch technischen Mitteln, die notwendige Ordnung in den betreffenden Räumen gewährleistet werden kann und Personen, die diese Ordnung zu verletzen suchen, dokumentiert und identifiziert bzw. am Verlassen der Räume oder des Gebäudes gehindert werden.4

Anlage zur Information Nr. 818/73

Offener Brief

West-Berlin, den 16.8.1973 | Gerda Krüger | [Straße, Nr.]

An | Herrn Erich Honecker | I. Sekretär des ZK der SED | 108 Berlin | Marx-Engels-Platz 2

Sehr geehrter Herr Honecker!

Am 7. Mai 1973 hat der Generalstaatsanwalt der DDR um die Zulieferung meiner Tochter Ingrid Brückmann zum Zwecke der Strafverfolgung wegen vorsätzlicher Tötung ihres Vaters Harry Brückmann gebeten. Seitdem lebe ich in unbeschreiblicher Verzweiflung.

Mein Kind hat hier in West-Berlin aus Gewissensgründen, weil sie mit ihrer Tat nicht fertig wurde, die Ermittlungen gegen sich selbst in Gang gebracht. Seit nunmehr drei Monaten sehe ich bei meinen Besuchen in der Haftanstalt, wie meine Tochter unter den Qualen der Ungewissheit leidet. Ich muss ständig den entsetzlichen Gedanken haben, dass Ingrid sich jeden Augenblick das Leben nimmt. Auch Psychologen haben diese Gefahr bestätigt.

Ingrid hat niemals daran gedacht, sich einer gerechten Strafe zu entziehen. Ihr Wunsch nach einem Prozess in West-Berlin ist ausschließlich damit zu begründen, dass ich als ihre Mutter ihr dann zur Seite stehen könnte.

Sehr geehrter Herr Honecker, Sie allein können diesem schrecklichen Zustand ein Ende bereiten, der ein junges Menschenleben kosten könnte.

Als Ingrids Mutter flehe ich Sie an, mein Kind bei mir zu lassen und den Antrag auf Zulieferung in die DDR zurückzunehmen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Gerda Krüger

Abs.: Gerda Krüger, West-Berlin, [Straße, Nr.]

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    17. August 1973
    Information Nr. 819/73 über die Festnahme eines BRD-Bürgers wegen versuchter Ausschleusung einer DDR-Bürgerin nach der BRD

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    16. August 1973
    Information Nr. 814/73 über provokatorische Handlungen von Westberlin aus gegen die Staatsgrenze der DDR am 14. August 1973