Direkt zum Seiteninhalt springen

Widerrechtliche Festnahme von Transport-Kriminalpolizisten

30. Januar 1973
Information Nr. 104/73 über die widerrechtliche Festnahme zweier Angehöriger der Transport-Kriminalpolizei durch die Westberliner Polizei am 31. Januar 1973

Am 31.1.1973, gegen 0.51 Uhr, ereignete sich auf der Strecke zwischen den S-Bahnhöfen Südende – Lankwitz (Westberlin) ein Arbeitsunfall mit tödlichem Ausgang.

Der S-Bahnzug Ps 2764, Umlauf 2/2, überfuhr in Höhe der Teltowkanal-Brücke den Arbeiter Kujanski, Karl,1 Beschäftigter der Westberliner Fa. Stahlbeton und Gleisbau, die im betreffenden Streckenabschnitt im Auftrag der Deutschen Reichsbahn2 Gleisbauarbeiten durchführte.

Obwohl der eingesetzte Sicherungsposten der Deutschen Reichsbahn rechtzeitig das Warnsignal über das Herannahen des Zuges gegeben hatte, verblieb der Verunglückte im Gleisbereich und wurde trotz eingeleiteter Schnellbremsung überfahren.

Der S-Bahnzug wurde von einer Triebfahrzeugführerin des S-Bahnbetriebswerkes Berlin-Nordbahnhof gefahren.

Zur Untersuchung des Unfalls trafen gegen 2.15 Uhr die Angehörigen der Transport-Kriminalpolizei,3 Amt Nordbahnhof, Oberleutnant Pohl4 und Leutnant Daedelow5 am Unfallort ein, wo sich bereits Angehörige der Bahnpolizei (Angehörige der Deutschen Reichsbahn),6 ca. zehn Angehörige der Westberliner Polizei7 und annähernd zwanzig Westberliner Feuerwehrleute aufhielten.

Bei ihrem Eintreffen wurde ihnen von einem Angehörigen der Westberliner Polizei sofort jegliche Tatortuntersuchung verboten.8

Die Angehörigen der Transport-Kriminalpolizei verließen daraufhin unter Protest den Unfallort und begaben sich zum S-Bahnhof Südende, wo sie in der Fahrkartenausgabe die betreffende Triebfahrzeugführerin (DDR-Bürgerin) einer kurzen Befragung unterziehen konnten.

In der Zwischenzeit war die Unfallstelle durch Angehörige der Westberliner Schutzpolizei abgesperrt worden.

Die Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn wurden von diesen an der Ausübung der notwendigen Maßnahmen widerrechtlich gehindert. Forderungen des zuständigen Dienstvorstehers [Name 1] zur Freigabe der Strecke wurden abgelehnt. Als Begründung wurde angegeben, dass die Westberliner Polizei noch auf einen Fotografen warten muss.

Gegen 3.45 Uhr wurde bekannt, dass die genannten Genossen der Transport-Kriminalpolizei durch Angehörige der Westberliner Polizei in den Räumen des S-Bahnhofes Südende durchsucht, festgenommen und anschließend vom Reichsbahngelände geführt wurden.

Der Genosse Oberleutnant der K, Pohl, teilte gegen 4.43 Uhr telefonisch über Westberliner Postapparat der Bahnpolizeiwache Berlin-Zoologischer Garten mit, dass er und Daedelow sich auf dem Westberliner Polizeirevier 193 in Haft befinden und um Einleitung entsprechender Maßnahmen bitten.

Durch Angehörige der Bahnpolizei wurde bekannt, dass ein Westberliner Staatsanwalt am Ereignisort eingetroffen war und von ihm um 4.49 Uhr das Gleis freigegeben wurde.

Aufgrund des Anrufes des Pohl wurde von der zuständigen Dienststelle veranlasst, dass die am Ereignisort anwesenden Bahnpolizisten zum Sachverhalt ausführlich befragt werden.

Eine erste Befragung des Angehörigen der Bahnpolizei [Name 2] bestätigte die bisher vorliegenden Angaben. Er berichtete weiter, dass die Angehörigen der Westberliner Schutz- und Kriminalpolizei in anmaßender und provokatorischer Form gegenüber den Angehörigen der Transport-Kriminalpolizei, der Bahnpolizei und der Deutschen Reichsbahn auftraten.

Nach seinen Schilderungen sind die Angehörigen der Transport-Kriminalpolizei ständig von Angehörigen der Westberliner Schutzpolizei bewacht worden und waren deshalb nicht in der Lage, ihre Tätigkeit auszuführen. Zur eigentlichen Festnahme gab er an, dass die sich im Dienstraum der Aufsicht des S-Bahnhofes Südende aufhaltenden Genossen Pohl und Daedelow einzeln aus dem Dienstraum geholt wurden, sich mit dem Gesicht zur Wand drehen und die Hände an die Wand legen mussten. In dieser Stellung erfolgte eine Leibesvisitation. Danach wurden sie einzeln vom Bahnsteig geführt. Über den Abtransport liegen bisher keine Angaben vor. Die mitgeführten Taschen und Fotoausrüstungsgegenstände wurden ebenfalls von der Westberliner Polizei mitgenommen.

Genosse Oberleutnant Pohl und Leutnant Daedelow befinden sich zurzeit noch in Haft.

Es wird vorgeschlagen, über die Verbindung Genosse Dr. Mitdank9 – Dr. Struve10 beim Westberliner Senat offiziell schärfsten Protest zu erheben und die sofortige Freilassung der festgenommenen Angehörigen der Transport-Kriminalpolizei zu fordern.

Dabei sollte auch unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden, dass sich die DDR weitere Schritte zur Wahrung ihrer Hoheitsrechte und zum Schutz ihrer in Berlin (West) tätigen Bürger vor Übergriffen vorbehält.11

  1. Zum nächsten Dokument Vorbereitung einer Eingabe der Sektion Bildhauer

    30. Januar 1973
    Information Nr. 84/73 über die Erarbeitung einer Niederschrift der Sektion Bildhauer des Berliner Verbandes bildender Künstler und deren vorgesehene Weiterleitung an das ZK der SED

  2. Zum vorherigen Dokument Ergänzung zur Festnahme eines Staatsbürgers Kuweits

    29. Januar 1973
    Information Nr. 92/73 über die Beteiligung eines Staatsbürgers des Scheichtums Kuwait an der Ausschleusung von DDR-Bürgern nach Westberlin