Zentrale Tagungen der evangelischen Kirche
9. April 1973
Information Nr. 334/73 über stattfindende bemerkenswerte zentrale Tagungen der evangelischen Kirche und einige damit im Zusammenhang stehende Probleme
Dem MfS wurde intern bekannt, dass der Zentralausschuss des ökumenischen Rates der Kirchen1 im August 1974 in Westberlin seine Tagung durchführen wird. Neben den Mitgliedern des Zentralausschusses wird der gesamte Stab des Weltkirchenrates2 sowie Vertreter der kirchlichen und weltlichen Presse anwesend sein (ca. 300 Personen).
Bereits vorliegende Hinweise lassen die Schlussfolgerung zu, dass viele Teilnehmer bei dieser Gelegenheit in die DDR zum Besuch von Kirchen und kirchlichen Amtsträgern einreisen werden. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass von diesen Personen der Wunsch geäußert wird, in Kirchen der DDR zu predigen.
Weiter wurde intern bekannt, dass in leitenden evangelischen Kirchenkreisen der BRD und Westberlins vertrauliche Gespräche in der Hinsicht geführt werden, mit welchen Mitteln die Aufhebung der Einreisesperre für Bischof Scharf3 in die DDR erwirkt werden könnte.
Es wurde in Erwägung gezogen, über zuständige Institutionen eine Verhandlung mit verantwortlichen Vertretern der DDR über einen annehmbaren Einreisemodus für Scharf zu veranlassen.4
In diesem Zusammenhang solle Scharf
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sich bis zu einem noch zu vereinbarenden Zeitpunkt jeglicher politischer Äußerungen gegen die DDR enthalten;
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vorläufig keinen Antrag auf Einreise in die DDR stellen, um bei einer Ablehnung westlichen Presseorganen keinen Anlass für eine Kampagne gegen die DDR zu geben;
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zu einem vorher zu vereinbarenden Zeitpunkt einen Antrag für einen Privatbesuch bei Verwandten oder einem Patenkind stellen. Danach könne zu einer normalen Behandlung seiner Anträge übergegangen werden.
Eine solche Regelung wäre nach Ansicht dieser kirchenleitenden Kreise auch im Hinblick auf die 1974 in Westberlin stattfindende Tagung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen von Bedeutung.
Weiterhin erscheinen folgende internen Hinweise bemerkenswert:
Im Juni 1973 findet in Coburg/BRD die Synode der »Evangelischen Kirche in Deutschland« (EKD) statt, auf der die leitenden Organe (Präsidium der Synode, Rat der »EKD«) neu gewählt werden.5
Der jetzige Vorsitzende des Rates, Bischof Dietzfelbinger,6 München, und der Präses der Synode, Prof. Raiser,7 Tübingen, werden für diese Funktionen nicht wieder kandidieren.
Aussichtsreichster Kandidat für die Funktion des Ratsvorsitzenden soll Präses Thimme,8 Bielefeld, sein.
Unmittelbar vor der Synode der »EKD« tagt in Schwerin die Synode des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR.9 Der Präses der Synode des Bundes, Bischof Braecklein,10 Eisenach, hat offiziell den Rat der »EKD« hierzu eingeladen.11
Der Rat hat die Einladung angenommen und Präses Raiser beauftragt, als Gast an der Synode des Bundes teilzunehmen.
(Prof. Raiser war 1965 in seiner damaligen Funktion als Vorsitzender der Kammer für öffentliche Verantwortung der »EKD« maßgeblich an der Erarbeitung der Denkschrift »Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn«12 beteiligt. Diese Denkschrift sowie die ebenfalls von der Kammer für öffentliche Verantwortung erarbeitete Studie »Friedensaufgaben der Deutschen«13 (1968) hatten zum Zeitpunkt der Erarbeitung und in den Jahren danach die Zustimmung der Bundesregierung und maßgeblicher Kreise in der BRD gefunden.)
Es muss eingeschätzt werden, dass eine Ablehnung der Einreise von Prof. Raiser, der seit zwei Jahrzehnten eine anerkannte Persönlichkeit auf dem Gebiet der politischen Wissenschaften in der BRD ist, auf Proteste aus maßgeblichen Kreisen der BRD stoßen könnte.
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