Zerschlagung jugendlicher Terroristen im Kreis Apolda
1. Februar 1973
Information Nr. 102/73 über die Zerschlagung einer Gruppe jugendlicher Terroristen im Kreis Apolda, Bezirk Erfurt
Seit Mitte 1970 waren im Stadtgebiet von Apolda, Bezirk Erfurt, von zunächst trotz intensiver Ermittlungen unerkannt gebliebenen Tätern vorsätzlich Betriebe in Brand gesetzt, Großvieh vergiftet, faschistische Symbole und Hetzlosungen geschmiert sowie durch anonyme Anrufe bei Betrieben und staatlichen Organen die Begehung von Gewaltakten angedroht worden.
Im Verlauf der Aufklärung des Großbrandes im VEB Jenapharm, Laborchemie Apolda,1 am 1.5.1972, konnte am 5.5.1972 durch das MfS der wegen Widerstandes einschlägig vorbestrafte [Name 1, Vorname], 20 Jahre alt, zuletzt Lagerarbeiter im VEB Jenapharm, Laborchemie Apolda, als Brandstifter überführt werden.
Aufgrund seiner Aussagen wurden am 12.5.1972 [Name 2, Vorname], 20 Jahre alt, zuletzt Lagerarbeiter im VEB Jenapharm, Laborchemie Apolda, am 24.8.1972 [Name 3, Vorname], 19 Jahre alt, zuletzt Beifahrer im Kombinat für Milchwirtschaft Weimar, Betriebsteil Apolda, am 31.8.1972 [Name 4, Vorname], 22 Jahre alt, zuletzt Krempler im VEB Textilreißerei Apolda, vorbestraft wegen ungesetzlichem Grenzübertritt, Rowdytum und Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten, alle wohnhaft in Apolda, als Mittäter ermittelt und festgenommen.
Die vom MfS durchgeführten Untersuchungen ergaben, dass die Beschuldigten auf der Grundlage einer nachweislich staatsfeindlichen Zielstellung folgende Verbrechen begingen:
In der Nacht vom 9. zum 10.7.1970 vernichtete [Name 1] durch Brandstiftung im VEB Lederwaren Apolda einen Lagerschuppen mit Rohmaterialien für die Konsumgüterproduktion, wodurch ein Schaden von ca. 36 000 Mark entstand.
Anfang Januar 1971 brannte [Name 1] gemeinsam mit [Name 2] zur Nachtzeit im Stadtgebiet Apolda vier Wohnlauben nieder und versuchte bei weiteren drei ebenfalls eine Brandlegung. Der eingetretene Schaden belief sich auf ca. 6 000 Mark.
Im April 1971 drang [Name 1] in Brandlegungsabsicht zweimal in den Stallkomplex des Volkseigenen Gutes Apolda ein. Von diesem Vorhaben nahm er zwar Abstand, vergiftete jedoch durch Ausstreuen elementaren Phosphors einen Teil des Schaf- und Rinderbestandes. Dem VEG entstand ein Schaden von ca. 184 000 Mark.
Am Abend des 19.1.1972 setzten [Name 1] und [Name 4] den damals halbstaatlichen Textilbetrieb A. P. Ludwig in Apolda in Brand. Dadurch brachten sie bewusst das Leben von zwölf Bürgern in unmittelbare Gefahr und vernichteten Produktionseinrichtungen und Wohnungen im Wert von ca. 700 000 Mark. Der Folgeschaden durch Produktionsausfall betrug 1,8 Millionen Mark.
In der Nacht vom 27. zum 28.4.1972 drangen [Name 1] und [Name 4] in den für die Herstellung hochwertiger Konsumgüter wichtigen Betrieb VEB Apoldaer Strick- und Wirkwaren ein, um im Versandraum Feuer zu legen und Strickwaren im Werte von 3,6 Millionen Mark zu vernichten. Die sie bei der Brandlegung überraschenden zwei Betriebsschutzangehörigen schlugen die Täter brutal nieder und verletzten sie.
Am 1. Mai 1972 legte [Name 1], auf eine möglichst hohe ideelle und materielle Schadenswirkung bedacht, einen Brand im VEB Jenapharm, Laborchemie Apolda. Durch das entstandene Großfeuer wurden volkswirtschaftlich wichtige Rohstoffe sowie vier Lagerbaracken im Wert von ca. 1,8 Millionen Mark vernichtet.
Parallel zu den Brandlegungen drohten [Name 1], [Name 4] und [Name 3] insbesondere im Frühjahr 1972 durch eine Vielzahl anonymer Anrufe bei staatlichen Dienststellen und Betrieben die Durchführung von Gewaltakten an. Entsprechend vorher getroffenen Vereinbarungen setzten [Name 4] und [Name 3] diese Handlungen nach der Inhaftierung des [Name 1] fort.
Im Zeitraum von 1970 bis Mai 1972 schmierte [Name 1] im Stadtkern von Apolda unter teilweiser Einbeziehung der anderen Beschuldigten planmäßig in mindestens 14 Fällen ca. 75 faschistische Symbole und zwei Hetzlosungen an.
Bei der Durchführung der einzelnen Straftaten setzten sich die Beschuldigten über alle Verhaltensnormen hinweg. Sie gefährdeten bei den Brandstiftungen skrupellos das Leben von Menschen, die z. T. mit Rauchvergiftungen und Verletzungen nur unter Einsatz des eigenen Lebens von Angehörigen der Feuerwehr gerettet werden konnten.
Bei der Bekämpfung der von den Beschuldigten gelegten Brände, von denen einige Katastrophencharakter anzunehmen drohten, erlitt ein Angehöriger der Feuerwehr schwere Verletzungen, 24 mussten wegen hochgradiger Rauchvergiftung behandelt werden und ein Feuerwehrmann verstarb infolge Überanstrengungen beim Brandeinsatz.
Der von den Tätern verursachte unmittelbare Schaden beträgt über 2,7 Millionen Mark, der insbesondere durch Produktionsausfall und Vernichtung von Rohstoffen entstandene Folgeschaden liegt bei Weitem höher.
Im Rahmen der gegen die Beschuldigten geführten Untersuchungen wurden darüber hinaus [Name 3], [Name 1] und [Name 4] der Durchführung einer Vielzahl krimineller Straftaten überführt.
Diese begingen sie allein, gemeinsam beziehungsweise im Zusammenwirken mit einer weiteren Gruppe mehrfach vorbestrafter Jugendlicher und Jungerwachsener in Apolda, welche inzwischen aufgeklärt und zerschlagen wurde. (Gegen bisher vier Personen der letztgenannten Gruppe erfolgte die Einleitung von Ermittlungsverfahren mit Haft, die von der zuständigen Volkspolizeidienststelle bearbeitet werden.) Von beiden Gruppierungen wurden entsprechend dem gegenwärtigen Untersuchungsstadium etwa 120 Straftaten, insbesondere vorsätzliche Körperverletzungen, Diebstähle von sozialistischem und persönlichem Eigentum, rowdyhafte Handlungen und unbefugtes Benutzen von Kraftfahrzeugen begangen.
Bei den Beschuldigten handelt es sich um Jugendliche, die in zerrütteten familiären Verhältnissen aufwuchsen.
Infolge Fehlens positiver Erziehungseinflüsse und Vorbildwirkungen der fast ausnahmslos getrennt lebenden, asozial anfälligen und teils verwahrlosten Eltern bildeten sich bei den Beschuldigten frühzeitig parasitär-kriminelle Lebensauffassungen wie Arbeitsscheu, Schmarotzertum und Lebensverachtung heraus. Aufgrund ihres ausgeprägten Lernunwillens erreichten sie weder das Ziel der Grundschule noch erlernten sie einen Beruf, weshalb sie nach der Schulentlassung in verschiedenen Betrieben lediglich Anstellung als Lager- bzw. Transportarbeiter fanden.
Wegen Arbeitsbummelei, ungenügender Leistung und rowdyhaften Verhaltens mussten die Beschuldigten seitens der Betriebsleitungen mehrfach disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden.
Der Beschuldigte [Name 1], wegen seiner Fehlentwicklung und seines Besserungsunwillens in Spezialkinderheime und später in einen Jugendwerkhof eingewiesen, verschloss sich auch dort jeglicher erzieherischer Einflussnahme, suchte Kontakt zu insbesondere politisch negativ eingestellten Personen und gelangte dadurch zu einer staatsfeindlichen Einstellung.2
Aufgrund dieser politischen Grundhaltung fasste er nach seiner im Februar 1970 erfolgten Entlassung aus dem Jugendwerkhof den Entschluss, Verbrechen gegen die Deutsche Demokratische Republik zu begehen, um damit Widerstand gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung zu bekunden und andere Personen zu gleichartigen Handlungen aufzuwiegeln. Aus der gleichen Absicht heraus suchte er zielstrebig im Kreise negativer Jugendlicher in Apolda nach solchen, die zur Ausführung einer staatsfeindlichen Tätigkeit geeignet und bereit waren. Auf diese Weise brachte er ab Sommer 1970 seine damaligen Arbeitskollegen [Name 2] und [Name 3] sowie den ihm bekannten [Name 4] unter seinen Einfluss.
Entsprechend seiner Absicht gelang es ihm, die Genannten zu einer Terrorgruppe zusammenzuschließen mit dem Ziel, durch gemeinsames, organisiertes und arbeitsteiliges Wirken zur Schädigung der sozialistischen Verhältnisse in der DDR beizutragen. Als Hauptmethoden schlug [Name 1] Brandstiftungen in Großbetrieben und das Anbringen faschistischer Symbole vor, womit er gleichzeitig Unruhe unter der Bevölkerung hervorrufen und die Existenz einer faschistischen Widerstandsorganisation vortäuschen wollte.
Nachdem sich alle Beschuldigten auf der Grundlage ihrer feindlichen Einstellung mit der terroristischen Zielsetzung identifiziert hatten, war ihr weitgehend auf Initiative [Name 1] basierendes Wirken von einer zunehmenden Konspirierung, einer bewussteren Auswahl der Angriffsobjekte zur Erreichung möglichst hoher ideeller und materieller Schäden und einer zunehmenden Intensität koordiniert durchgeführter Straftaten gekennzeichnet.
Bei der Aufklärung der Verbrechen der Beschuldigten [Name 1], [Name 4], [Name 2] und [Name 3] wurden eine Vielzahl von Missständen, darunter von Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit, seitens verantwortlicher Leiter bzw. Mitarbeiter der geschädigten Betriebe festgestellt.
Im Wesentlichen handelt es sich dabei um
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unzureichende Sicherung der Betriebe,
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Verstöße gegen das Giftgesetz3 und die Festlegungen dazu erlassener Durchführungsbestimmungen,
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Verletzungen der gesetzlichen Bestimmungen des Brandschutzes, des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie
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Verstöße gegen Weisungen des Geheimnisschutzes.
Im Verlaufe der daraufhin vom Bezirksstaatsanwalt Erfurt im Zusammenwirken mit dem MfS in weiteren Betrieben, vorwiegend des Kreises Apolda, durchgeführten Überprüfungen wurden im Wesentlichen die gleichen Feststellungen getroffen.
Gegen die Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit legte der Staatsanwalt des Bezirkes Erfurt Protest bei den dafür verantwortlichen wirtschaftsleitenden Organen ein, erteilte zur Wiederherstellung beziehungsweise Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit dienende Auflagen und führte Kontrollen bezüglich ihrer Erfüllung durch.
Gleichzeitig gab er dem Rat des Kreises Apolda sowie den verantwortlichen VVB Empfehlungen zur besseren Durchsetzung der sich aus staatlichen Regelungen ergebenden Kontrollverpflichtungen und zur Wahrnehmung verbindlich festgelegter Verantwortlichkeiten.
Aufgrund der Verbrechen wurde gegen alle Beschuldigten am 29.1.1973 vor dem Ersten Strafsenat des Bezirksgerichtes Erfurt Anklage wegen Terror4 im besonders schweren Fall, schwerer Brandstiftung5 und staatsfeindlicher Hetze6 – gegen [Name 1] und [Name 4] darüber hinaus wegen Diversion im schweren Fall7 – erhoben.
Seitens des Anklagevertreters ist vorgesehen, gegen [Name 1] lebenslängliche Freiheitsstrafe und gegen [Name 4], [Name 2] und [Name 3] in der Reihenfolge 15, zehn und acht Jahre Freiheitsstrafe zu beantragen.
Am Prozess nimmt auf Vorschlag des MfS ein ausgewählter Kreis von Sicherheitsbeauftragten, verantwortlichen wirtschaftsleitenden Funktionären und Mitarbeitern staatlicher Organe teil.